Recht auf Reparatur: Reparieren statt Wegwerfen

Unsere Gesellschaft produziert auf Kosten von Menschen, Umwelt und Klima riesige Abfallberge. Warum wir jetzt ein Recht auf Reparatur brauchen.

Ein gezeichneter Werkzeugkasten.

Alles immer neu? Muss nicht Illustration: Katja Gendikova

Wenn Sie heute ein neues Produkt kaufen, dann ist Ihnen wahrscheinlich schon beim Kauf bewusst, dass dieses Produkt nicht besonders lange hält. Im besten Falle wird es einige Jahre seinen Dienst tun, bis es schließlich den Geist aufgibt und Sie es ersetzen. Eine Normalität, die sich in Deutschland jedes Jahr millionenfach – nein, milliardenfach – wiederholt: Elektrogeräte, Smartphones, Kleidung, Kühlschränke, praktisch alle Produkte unseres Lebens. Die lächerlich kurze – und immer weiter abnehmende – Lebensdauer unserer alltäglichen Begleiter zeigt sich in den riesigen Abfallbergen, die unsere Gesellschaft produziert. 2021 fielen allein unvorstellbare 376.748 Tonnen Elektroschrott an.

Die ökologischen Folgen unseres Neugerätekonsums sind allgemein bekannt und vielen mittlerweile auch bewusst: Treibhausgasausstoß bei der Herstellung, Abhängigkeit von autokratischen Staaten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung entstehen durch die unaufhörliche Extraktion der begrenzten Ressourcen unserer Erde.

Viele Menschen arbeiten daher daran, dass unsere Wirtschaft weniger ressourcenintensiv und zirkulärer wird. Viel zu oft konzentriert man sich aber ausschließlich auf das Recycling. Doch dieser Ansatz allein greift zu kurz, denn auch ein überwiegend aus recyceltem Material erstelltes Produkt wird unter erheblichem Aufwand an Energie und neu extrahierten Ressourcen hergestellt. Um tatsächlich Ressourcen und Energie zu sparen, müssen wir unsere Gegenstände länger nutzen. Das bedeutet: Wenn etwas kaputtgeht, müssen wir es reparieren.

Das Problem ist: Heutzutage werden Reparaturen nur noch selten und vor allem bei besonders teuren Geräten durchgeführt. Nur 24 Prozent aller Elektrogeräte werden bei einem Defekt repariert, der Rest wird zu Elektroschrott. Bei kleinen Geräten wie Toastern und Haartrocknern liegt die Reparaturquote sogar deutlich unter 10 Prozent.

Eine überlebensnotwendige Praxis

Dabei war das Reparieren bis vor wenigen Jahrzehnten eine gesellschaftlich fest verwurzelte, sogar überlebensnotwendige Praxis. Ob es Kleidung, Möbel oder später Elektrogeräte waren: Dinge zu reparieren oder reparieren zu lassen, war technisch möglich und finanziell meist erschwinglicher als ein Neuerwerb.

Der massive Rückgang von Reparaturen lässt sich mit den heutigen Bedingungen von Produktion und Konsum erklären. Zum einen wenden Hersteller Praktiken an, die eine Reparatur erschweren, und damit teurer oder sogar unmöglich machen. Das Design eines Produktes wird zum Beispiel meist nach Kosteneffizienz optimiert – die Reparierbarkeit spielt keine Rolle. Dazu kommen Techniken, die keinen anderen Zweck haben, als Reparatur zu verhindern. Außerdem bieten Hersteller in vielen Fällen weder Information noch Ersatzteile an, die für Reparaturen essenziell sind. Und wenn sie Ersatzteile anbieten, dann oft zu so hohen Preisen, dass eine Reparatur sich finanziell nicht lohnt.

Auf der anderen Seite sind die Preise vieler Neuwaren sehr niedrig. Durch Verlagerung der Produktion ins Ausland können Hersteller elektronische Geräte, Möbel, Textilien und andere Produkte unter schlechten Arbeitsbedingungen zu extrem niedrigen Kosten produzieren. Es muss aber jedem klar sein, dass Neuanschaffungen nur durch Ausbeutung und auf Umweltkosten so günstig sein können.

Darüber hinaus arbeiten Werbemaschinerien seit Jahrzehnten daran, in uns Bedürfnisse nach dem neuesten Produkt zu wecken. Die Anbieter von Reparaturdienstleistungen können leider nicht auf solche Werbeetats zurückgreifen. Und so werden Reparaturen oft noch nicht einmal mehr dort durchgeführt, wo sie finan­ziell sinnvoll sind (und das sind immer noch sehr viele Situationen).

Glücklicherweise steigt das Bewusstsein dafür, dass dieser Zustand aus ökologischer und sozialer Sicht unhaltbar ist. In immer mehr Städten gründen Menschen Reparatur-Cafés. Das Netzwerk Reparatur-Initiativen listet auf seiner Website fast 1.000 Initiativen auf. Eurostat-Umfragen zeigen, dass 77 Prozent der Menschen ihre Geräte lieber reparieren würden, als sie zu ersetzen.

Sowohl in Europa als auch in den USA wächst eine Reparaturbewegung aus Umwelt­aktivist:innen, Wissenschaftler:innen, Verbrau­cher­schützer:innen, Hand­wer­ke­r:in­nen und Ehrenamtlichen. Diese fordern ein universelles und herstellerunabhängiges „Recht auf Reparatur“, um die aktuelle Situation zu durchbrechen. Ein Recht auf Reparatur würde bedeuten, dass Menschen jederzeit in der Lage wären, ihre Dinge günstig entweder selbst zu reparieren oder bei einem Anbieter ihrer Wahl reparieren zu lassen.

Konkret bedeutet das, dass vielfältige Maßnahmen, von Produktpolitik über Verbraucherrecht hin zu Steuerpolitik ergriffen werden müssen. Ein Bruch mit den bestehenden Verhältnissen ist Bedingung dafür, dass die Methode Reparatur ihr volles Potenzial entfalten kann. Einen Überblick über die vielfältigen Weichenstellungen, die die Politik umsetzen muss, hat der Runde Tisch Reparatur gemeinsam mit 24 weiteren Organisationen bereits im Februar veröffentlicht.

Nur beispielhaft seien hier einige erwähnt: umfangreiche Pflichten für Hersteller zum Produktdesign sowie zur langfristigen Bereitstellung von günstigen Ersatzteilen, Informationen und Softwareupdates. Ein Verbot reparaturbehindernder Praktiken und die Einführung eines aussagekräftigen Labels, welches die Reparierbarkeit eines Produkts bewertet.

Außerdem ist die Zahl der unabhängigen Reparaturbetriebe derzeit stark rückläufig. Das bedeutet einen kritischen Verlust von Infrastruktur und Wissen, welches wir für ein Recht auf Reparatur aber brauchen. Dem müssen wir uns durch staatliche Unterstützung, wie den in Österreich und Thüringen bereits erfolgreichen Reparaturbonus, entgegenstellen.

Reparatur-Cafés als soziale Räume

Für ein Recht auf Reparatur muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen, die es einfacher und günstiger machen, Dinge zu reparieren. Aber auch wir Bür­ge­r:in­nen müssen wieder mehr Reparaturerfahrung sammeln. Dafür braucht es offene Räume, in denen wir gemeinsam mit Reparatur in Kontakt kommen können. Der Boom der Reparatur-Cafés ist daher ein wichtiger Trend, den auch die Kommunen aktiv fördern sollten. Reparatur-Cafés bieten darüber hinaus neue soziale Räume, in denen wir gemeinsam kreativ werden, lernen und praktisch handeln können. Gerade solche Orte ohne Konsumorientierung fehlen in unserer Gesellschaft – sie könnten einen zentralen Beitrag zur Wiederbelebung unserer Innenstädte und Dorfzentren leisten.

Für das Recht auf Reparatur gibt es aus ganz verschiedenen Perspektiven gute Gründe. Eine EU-weite Lebensdauerverlängerung von Smartphones, Waschmaschinen, Staubsaugern und Laptops um nur ein Jahr würde bis zum Jahr 2030 2,1 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen – so viele Emissionen, wie 2 Millionen Autos jährlich verursachen. Eine Studie im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen kam zu dem Schluss, dass deutsche Ver­brau­che­r*in­nen durch eine deutlich längere Nutzungsdauer von Smartphones, Fernsehern, Notebooks und Waschmaschinen jährlich 3,67 Milliarden Euro sparen könnten.

Eine andere Studie im Auftrag der EU-Kommission aus dem Jahr 2016 kam zu dem Schluss, dass eine Verbesserung der Reparierbarkeit von Produkten unterm Strich mehr hochwertige Arbeitsplätze in der EU schaffen würde. Das ist plausibel, da die Erhöhung der Reparaturquote die Wertschöpfung verschieben würde: weg vom industriellen Sektor, hin zum Dienstleistungssektor. Durch eine Erhöhung der Reparaturquote reduzieren wir außerdem unseren (Import-)Rohstoffkonsum. Dadurch wiederum verringern wir die negativen Auswirkungen unseres Konsums auf Menschen und Umwelt im Ausland sowie die problematische Rohstoffabhängigkeit unserer Wirtschaft.

Dass Reparatur eine sinnvolle Sache ist, ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Insbesondere auf der europäischen Ebene werden im Rahmen des Green Deal momentan verschiedene Projekte verhandelt oder vorbereitet. Im Prinzip geht die EU mit diesen Schritten in die richtige Richtung, auch wenn zentrale Aspekte wie der hohe Preis von Ersatzteilen bisher noch nicht angegangen werden. Allerdings wird das extrem langsame Tempo, in dem diese Schritte gegangen werden, der Herausforderung der Klimakrise nicht gerecht.

Nicht nur auf die Politik und Hersteller warten

Auf nationaler Ebene muss ebenfalls deutlich mehr getan werden. In ihrem Koalitionsvertrag hat die Regierung das Recht auf Reparatur explizit genannt und möchte im Herbst ein Aktionsprogramm „Reparieren statt Wegwerfen“ veröffentlichen. Leider ist für diesen Posten bisher nur sehr wenig Geld für 2023 eingeplant. Der schlechteste Fall wäre eine Sammlung verstreuter und symbolischer Einzelmaßnahmen, die am Status quo nichts ändern. Statt sich hinter der EU zu verstecken, sollte Deutschland ambitioniert vorangehen.

In den letzten Jahren haben auch einzelne Herstellerunternehmen Programme aufgelegt, um die Reparatur ihrer Produkte zu ermöglichen. Grundsätzlich ist das begrüßenswert, doch sind diese Programme oft nicht mehr als ein Feigenblatt. Und gerade die großen Hersteller wehren sich auf politischer Ebene besonders heftig gegen ein Recht auf Reparatur. Deshalb braucht es einen politischen Rahmen, der das Recht auf Reparatur garantiert und auch Unternehmen schützt, welche die Reparierbarkeit ihrer Produkte tatsächlich ernst nehmen.

Wir sollten aber nicht nur auf die Politik und die Hersteller warten. Ob man sich öfter für die Reparatur eines Geräts entscheidet, selbst das Reparieren lernt oder sogar im Repair-Café sein Wissen teilt – die Möglichkeiten, sich praktisch für den Wandel einzusetzen, sind vielfältig. Gemeinsam können wir eine Zukunft schaffen, in der wir so selbstverständlich reparieren, wie wir gestern in Geschäften eingekauft haben und heute bei Amazon shoppen.

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