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Rechercheplattform vor GerichtCorrectiv gewinnt

Das Oberlandesgericht Hamburg weist Beschwerden zweier Teilnehmer des „Remigrations“-Treffens endgültig ab. Correctiv darf weiterhin berichten.

Die Recherchen von Correctiv waren begehrt auf der Leipziger Buchmesse Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Die Rechercheplattform Correctiv hat einen wichtigen juristischen Sieg errungen. Das Oberlandesgericht Hamburg hat Beschwerden zweier Teilnehmer des Potsdamer Treffens, an dem rechte Akteure die „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert hatten, abgewiesen. Die Berichterstattung im Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ über das Treffen hatte zu großen Demonstrationen gegen die AfD im ganzen Land geführt.

Der Jurist Ulrich Vosgerau, der bei dem Treffen in Potsdam dabei war, und ein weiterer Teilnehmer, hatten gegen einen Entscheid der unteren Instanz des Landgerichts Hamburg Beschwerde eingelegt. Im Februar hatte dieses die Berichterstattung von Correctiv in einem Punkt beanstandet, jedoch zwei weitere unberührt gelassen. Die Beschwerdeführer wollten vor dem Oberlandesgericht erwirken, dass auch diese beiden Passagen untersagt werden. Damit sind sie unterlegen. Die Verfahrenskosten von je 20.000 Euro müssen die Beschwerdeführer übernehmen.

In den Beschlüssen, die der taz vorliegen, betont das Oberlandesgericht Hamburg das „überragende öffentliche Interesse“ an der Berichterstattung.

Ulrich Vosgerau hatte konkret zwei Darstellungen angefochten: Erstens sei seine Antwort auf eine Anfrage von Correctiv falsch wiedergegeben worden. Correctiv hatte Vosgerau gefragt, wie er „im Nachhinein zu den (in Potsdam) getroffenen zentralen Aussagen“ stehe. Vosgerau hatte geantwortet, es sei nach seiner „Erinnerung von niemandem gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, irgendwie repatriiert werden oder ausgebürgert werden“.

Seiner Antwort fügte er noch den Zusatz hinzu, dass die rechtliche Umsetzung dessen „normalerweise“ auch nicht möglich sei.

Correctiv hatte die Antwort des Anwalts folgendermaßen zusammengefasst veröffentlicht: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“ Das Gericht sieht diese Zusammenfassung als zulässig an.

Auch das Weglassen des zweiten Satzes zur rechtlichen Umsetzung der Remigration sei zulässig, da es in der Natur der Sache liege „dass Informationen und Nachrichten bewertet, gekürzt, zusammengefasst oder auch weggelassen werden müssen“.

Solange kein verzerrtes Bild der Wirklichkeit oder ein „nach der negativen Seite entstelltes Bild“ der Person entstehe, entspreche die gängige journalistische Praxis der journalistischen Sorgfaltspflicht. Juristische Zweifel der Potsdamer Zusammenkunft an der Umsetzung der „Remigration“ seien im Text an anderer Stelle angesprochen.

Des Weiteren moniert Vosgerau, seine von Correctiv veröffentlichten Aussagen zur angeblichen Beeinflussbarkeit junger Wählerinnen mit türkischer Migrationsgeschichte sei in unzulässiger Weise zusammengefasst worden. Das sieht das Oberlandesgericht anders und folgt damit der unteren Instanz.

Es geht um die kleinsten Details wie Artikel

Der neben Vosgerau zweite Kläger gegen die Veröffentlichungen von Correctiv wehrte sich unter anderem gegen die Aussage, er sei „AfD-Großspender“. Das Oberlandesgericht wies seine Klage aber mit einem Hinweis auf wiederholte Spenden des Klägers in Höhe von fast 50.000 Euro an die AfD zurück.

Auch die öffentliche Nennung seines Namens sah das Gericht als unproblematisch an, da das öffentliche Interesse an der Berichterstattung in diesem Fall schwerer wiege als das Recht auf Privatsphäre.

Wie in medienrechtlichen Streitfällen üblich geht es im Weiteren um etliche Details – an einer Stelle sogar darum, ob ein bestimmter oder unbestimmter Artikel korrekt verwendet wurde.

Ob die zwei Kläger weiter rechtliche Schritte erwägen, ist noch nicht entschieden. Der Anwalt Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker, der Vosgerau vor Gericht vertritt, betont in einer Pressemitteilung, dass es Correctiv weiterhin untersagt sei, eine Passage des Texts zu verbreiten. Um diese Stelle ging es jedoch im Verfahren vor dem Oberlandesgericht gar nicht.

Nach dem ersten Verfahren im Februar hatten viele Medien ihr hauptsächliches Augenmerk darauf gerichtet, dass Correctiv eine Stelle korrigieren müsse, obwohl zwei weitere Stellen – und damit der Kern der Berichterstattung – nicht beanstandet wurde.

Die Stelle, die nicht weiter verbreitet werden darf: Vosgerau habe in Potsdam „ein Musterschreiben“ in Erwägung gezogen, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen.

Der zentrale Punkt der Recherche aber darf nun auch laut Oberlandesgericht Hamburg weiterhin öffentlich gemacht werden: dass auf dem Treffen in Potsdam Rechte Geld gesammelt und über die Ausweisung von Linken und Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen haben. Das darf Correctiv weiterhin verbreiten.

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9 Kommentare

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  • Das Schlimme ist: Das wird wahrscheinlich in dieser Bubble praktisch niemanden erreichen. Das Herr Vosgerau bei einem kleinen, unbedeutenden Detail zur Recherche Recht bekommen hat, reicht den stramm Rechten schon völlig als Argument aus, um die ganze Berichterstattung als gesteuert abzutun. Dass der Kern der Recherche davon gar nicht berührt ist, interessiert dort nicht.

  • FEIERTAG!!! Ich bin sehr erleichtert.

  • Das wirklich Spannende an der ganzen Geschichte ist, dass die sonst so klagefreudige AfD keinerlei rechtliche Schritte gegen die Substanz der Berichterstattung von Correctiv unternommen hat. Natürlich kursiert die übliche Opfer-Haltung, sowie die üblichen Lügen aus dem Umfeld auf den sozialen Medien, aber das wars dann auch. Nachtigall, ick hör Dir trapsen ...

    • @Kaboom:

      Na, weil die AfD ja als Partei nicht teilgenommen hat.

      Nur ein bestimmter Kreis von AfDlern.

      • @rero:

        So ist es. Die AfD hat nicht geklagt, sondern Personen die im Correctiv-Bericht genannt wurden. Es waren auch CDU-Mitglieder dabei.

        • @Ernie:

          Ja.

    • @Kaboom:

      Interessant finde ich auch, daß die AfD nach meinem Eindruck mit der üblichen Jammerei, Verharmlosung und Versuchen, Correctiv als unglaubwürdig, weil im Auftrag der Bundesregierung handelnd darzustellen, erst begonnen hat, als die Demonstrationen bundesweit, über Tage und selbst in kleinen Orten stattfanden.

      Zuerst hatte Frau Weidel ja ihren "Persönlichen" gefeuert, weil der zu dem Treffen gegangen war.

      Aber als sich dann zeigte, welche unerwartete Breitenwirkung der Bericht hatte, sind sie umgeschwenkt.

      Wobei die Diskussionen in diversen Foren wieder zeigen, daß diese Leute in ihrer eigenen Welt leben, wohin Argumente nicht mehr durchkommen.

      Das Problem würde auch ein AfD-Verbot nicht lösen.

      • @ PeWi:

        Ein NSDAP Verbot 1932 hätte eventuell Millionen Menschen das Leben gerettet.



        Naja, konnte ja niemand ahnen was danach geschah…

  • Ein gutes Urteil, ein guter Tag. Danke für die Berichterstattung.