Erdoğans Eiertanz

In Syrien rücken Regimetruppen immer weiter auf Idlib vor, wo die Türkei mit eigenen Stützpunkten präsent ist. Das führt zu Spannungen mit Assads Schutzmacht Russland

Während diese Männer Zeit für ein Selfie finden, sind Zehn­tausende Menschen in der Provinz Idlib vor den Kämpfen auf der Flucht Foto: Anas Alkharboutli/dpa

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul

Der türkische Präsident gerät mit seiner Syrienpolitik in Bedrängnis. Nachdem Recep Tayyip Erdoğan bereits mit den USA wegen deren Zusammenarbeit mit der kurdischen YPG-Miliz heftig aneinander geraten ist, droht nun auch sein Syriendeal mit Russland zu platzen. Ein mutmaßlich von der syrischen Armee ausgeübter Luftangriff auf einen türkischen Militärkonvoi in der Provinz Idlib Anfang der Woche und die massive Unterstützung Russlands für den Vormarsch der Assad-Truppen in Idlib haben das Idlib-Abkommen faktisch beendet, das Erdoğan und Wladimir Putin vergangenen September ausgehandelt hatten.

Damals hatte der russische Präsident zugesagt, auf Assad einzuwirken, Idlib erst einmal nicht anzugreifen. Im Gegenzug wollte die Türkei dafür sorgen, dass sich die Rebellen aus einem Streifen rund um Idlib zurückziehen und aus Idlib heraus keine russischen oder syrischen Truppen mehr angegriffen werden. Obwohl die türkische Armee und ihre syrischen Hilfstruppen diese Zusagen nie umgesetzt haben, hielt Putin Assad monatelang zurück. In dieser Zeit eskalierte der Konflikt zwischen Ankara und Washington, weil Erdoğan trotz massiver Drohungen aus den USA am Kauf russischer Flugabwehrraketen vom Typ S-400 festhielt.

Außerdem drohte Erdoğan, die von den USA protegierte kurdische YPG-Miliz entlang der türkisch-syrischen Grenze östlich des Euphrats anzugreifen, wenn die USA nicht bereit wären, einer 30 Kilometer breiten Pufferzone auf syrischer Seite zuzustimmen, aus der sich die YPG zurückziehen sollte.

Um Erdoğan in dieser Situation nicht in den Rücken zu fallen, tolerierte Putin zunächst, dass sowohl die Dschihadistenmiliz Hai’at Tahrir al-Scham (HTS) als auch von der Türkei unterstützte Kämpfer der syrischen Nationalen Befreiungsfront in Süd-Idlib weiter aktiv blieben. Selbst als Assad im April doch seinen Angriff startete, hielt Russland sich zunächst weitgehend zurück. Entsprechend erfolglos operierten die Assad-Einheiten. Von April bis Juli machten sie kaum Fortschritte. Eingenommene Dörfer wurden von den Rebellen teilweise wieder zurückerobert.

Mit Putins Unterstützung der Assad-Truppen änderte sich das Bild in Idlib

Das änderte sich erst, als Erdoğan sich doch mit der Trump-Administration auf ein gemeinsames Vorgehen östlich des Euphrats einigte. Putin hatte darauf gesetzt, dass der Konflikt zwischen der Türkei und den USA weiter eskaliert und die Türkei womöglich sogar die Nato verlässt.

Diese Enttäuschung Putins über die Einigung zwischen Erdoğan und Trump war womöglich auch ausschlaggebend für die jüngste Eskalation in Idlib: Putin gab nun grünes Licht für eine massive Unterstützung der Assad-Truppen. Damit änderte sich das Bild in Idlib.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat mittlerweile sogar bestätigt, dass auch russische Bodentruppen im Einsatz sind. Der Vormarsch der Assad-Truppen gewann deshalb an Schwung: Am Dienstag gelang ihnen mit der Eroberung der Stadt Chan Scheichun ihr bislang größter Erfolg.

Chan Scheichun, durch die Kämpfe mittlerweile völlig zerstört und von allen Einwohnern verlassen, ist das südliche Tor zur Provinz Idlib. Mit der Eroberung der Stadt ist Assad einem ersten Ziel näher gekommen: die Autobahn M5, die Damaskus mit Aleppo verbindet und von Rebellen blockiert wird, wieder benutzen zu können.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben Kampfflugzeuge der syrischen Armee – einige Beobachter sprechen auch von russischen Kampfflugzeugen – am Montag einen türkischen Militärkonvoi angegriffen, der nach Angaben aus Ankara auf dem Weg zu einem türkischen Militärstützpunkt in Murak südlich von Chan Scheichun war, um die dortige Besatzung zu verstärken.

Dieser – wie der Kolumnist Sedat Ergin der türkischen Tageszeitung Hürriyet schrieb – „beispiellose Angriff“ hat die türkische Regierung empört. Doch Erdoğan hofft immer noch auf eine Verständigung mit Putin, weshalb sich die türkische Kritik bislang auf Assad konzentriert. Im September ist ein Gipfeltreffen von Erdoğan, Assad und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani geplant.