Reaktion auf mögliches Ende von §218: Bayern droht mit Verfassungsklage
Bayern will vor dem Verfassungsgericht klagen, falls die Ampelkoalition den Abtreibungsparagrafen 218 kippt. Dass es so weit kommt, ist unwahrscheinlich.
Anlass der Drohung waren Äußerungen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die eine Abschaffung von Paragraf 218 befürwortete. „Wer anders als die Schwangeren selbst sollten entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können?“, fragte Paus.
Sollte die Ampelkoalition das Strafgesetzbuch entsprechend ändern, könnte ein Viertel der Bundestagsabgeordneten oder jede Landesregierung das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung auffordern. Das Verfahren nennt sich „abstrakte Normenkontrolle“. Bisher sieht es aber nicht danach aus, dass die Ampel den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert.
Im Koalitionsvertrag wird nur eine Kommission angekündigt, die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche jenseits des Strafrechts prüfen soll. Diese ist aber bis heute nicht eingesetzt. Der zuständige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte jüngst, es gebe noch Abstimmungsbedarf.
Liberalisierung schon zweimal in Karlsruhe gescheitert
Vor allem die FDP bremst. Sie befürchtet, dass eine Abschaffung von Paragraf 218 vom Bundesverfassungsgericht gestoppt würde. Tatsächlich hat Karlsruhe schon zwei Mal fortschrittliche Reformen beim Abtreibungsrecht beanstandet.
So hatte die sozialliberale Koalition 1974 eine Fristenlösung beschlossen und Abbrüche in den ersten zwölf Wochen nach Befruchtung erlaubt. Dieses Gesetz stoppte das Bundesverfassungsgericht 1975 auf Antrag der baden-württembergischen CDU-Landesregierung: Das Recht auf Leben gelte von Anfang an, also auch für das ungeborene Leben.
Nach der Wiedervereinigung beschloss der Bundestag 1992 auf Vorschlag der CDU-Politikerin Rita Süssmuth eine Beratungslösung: Abtreibungen waren danach in den ersten zwölf Wochen erlaubt, wenn die Frau sich im Sinne des Lebensschutzes beraten lässt.
1993 blockierte das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der bayerischen CSU-Landesregierung auch diese Reform. Abbrüche nach der Beratungslösung dürfen zwar „straflos“ bleiben, müssen aber formal als „rechtswidrig“ eingestuft werden, so die Karlsruher Vorgabe. 1995 beschloss der Bundestag eine entsprechend angepasste Beratungslösung, die bis heute gilt.
Wie das Bundesverfassungsgericht heute – 30 Jahre später – urteilen würde, weiß niemand. Im zuständigen Zweiten Senat sind inzwischen immerhin fünf von acht Richter:innen Frauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge