Reaktion auf Kamera-Affäre: Lidl macht auf Saubermann
Nach der Bespitzelungsaffäre verspricht der Discounter, alle Kameras in Filialen abzubauen. Ein Datenschützer soll Lidl künftig kontrollieren. Kritiker halten das für "Alibi-Aktionen".
Der Discounter Lidl versucht mit einer Charmeoffensive, sein ramponiertes Image zu retten. Der Konzern werde bis auf weiteres auf den Einsatz von Videokameras in seinen Filialen verzichten, kündigte das Unternehmen am Montag in großformatigen Zeitungsanzeigen an. "In allen Filialen in Deutschland bauen wir unsere Kameraanlagen ab." In Filialen lagen entsprechende Flugblätter aus. Kritiker glauben jedoch an eine Beschwichtigungskampagne zu PR-Zwecken, die folgenlos bleiben wird.
Lidl reagiert mit der Ankündigung auf die Bespitzelungsaffäre: Ende März wurde öffentlich, dass Detektive in hunderten Filialen Mitarbeiter mit versteckten Minikameras beobachtet und ihre Gewohnheiten protokolliert hatten. Es wurden intime Details ausgespäht, etwa wie häufig Angestellte die Toilette benutzen, wer mit wem ein Liebesverhältnis hat oder wer mit verschwitztem T-Shirt zur Arbeit erscheint.
Ein prominentes Gesicht für seine vertrauensbildenden Maßnahmen hat Lidl ebenfalls gewonnen: Der Jurist Joachim Jacob, von 1993 bis 2003 Bundesdatenschutzbeauftragter, soll den Konzern künftig in Datenschutzfragen beraten. Es sei wichtig, ein "ausgewogenes Verhältnis zwischen dem berechtigten Interesse des Unternehmens, sich vor Diebstahl zu schützen, und den Persönlichkeitsrechten der Mitarbeiter finden", sagte Jacob am Montag der taz. Alle Mitarbeiter, die die Detektive ins Visier nahmen, würden darüber über Aushänge in den Filialen informiert und könnten die Protokolle einsehen. "Auf Wunsch werden die Daten sofort gelöscht." In Erholungsräumen müsse Videoüberwachung tabu sein, in Geschäftsräumen müsse das Filmen "transparent" gemacht werden - etwa mit Schildern.
Lidl baut die Kameras auch ab, weil der Konzern das Ausbleiben von Kunden fürchtet. Verbraucherschützer warnten vor der Bezahlung mit EC-Karte, weil die geheime PIN-Nummer aufgezeichnet werde. Doch dieser Skandal ist eher ein theoretischer, glaubt Jacob. Schließlich müsste ein Filialleiter schon Kunden die EC-Karte klauen, um Missbrauch zu treiben.
Lidl hatte die Überwachung mit Inventurverlusten von 80 Millionen Euro im Jahr begründet. Dies sind Diebstähle von Kunden oder Mitarbeitern. Am Sonntag äußerte sich im "ARD-Fernsehen" erstmals ein Mitglied der Geschäftsführung. "Wir haben nicht systematisch Mitarbeiter überwacht", sagte Lidl-Manager Jürgen Kisseberth. Kameras und Detektive seien nur in Filialen eingesetzt worden, wo der Schwund doppelt so hoch wie der Durchschnitt lag. Laut Geschäftsführung wurde in 8 Prozent der 2.900 Filialen überwacht - also in über 230 Filialen.
Kritiker halten das Gelöbnis zur Besserung für unglaubwürdig. "Lidl gibt sich reumütig und versucht mit Alibi-Aktionen, die Öffentlichkeit zu beruhigen", sagt Andreas Hamann. Der freie Journalist und Autor des 2004 erschienenen "Schwarzbuchs Lidl" ist ein Kenner der Praktiken des Discounters. Er ist sicher: "Wenn die Öffentlichkeit wieder wegschaut, geht es erneut rund." Von "Einzelfällen", von denen die Lidl-Bosse sprechen, könne bei der Mitarbeiterbespitzelung keine Rede sein, so Hamann weiter. Bereits 2004 veröffentlichte er das Beispiel einer Lidl-Angestellten, die erst ausgespäht und später rausgeworfen wurde.
Er sieht auch das Engagement des Ex-Datenschützers kritisch. "Er ist sehr qualifiziert und wird mit Sicherheit eine gute Datenschutzvereinbarung erarbeiten", sagte Hamann. "Aber es fehlen Betriebsräte, um sie in der Praxis durchzusetzen." Bundesweit gibt es nur in 6 Lidl-Filialen einen Betriebsrat. Zudem ändere die Entfernung der Kamera nichts an der Gängelung der Mitarbeiter. Lidl-Kassiererinnen müssten etwa mindestens 40 Produkte pro Minute scannen, Pausenzeiten würden nicht eingehalten, spontane Anrufe an dienstfreien Tagen seien die Regel. Hamann: "Die Einschüchterung und die Hetze geht weiter."
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