Rausschmiss von Zweitwohnsitz-Bewohnern: Kurzsichtiges Herumschubsen
Es sind besondere Zeiten. Aber gerade jetzt sollte Schleswig-Holstein nicht diejenigen schikanieren, von deren Anwesenheit das Land sonst profitiert.
E s kommen ja auch wieder bessere Zeiten. Wenn das Coronavirus erst seinen Schrecken verloren hat, also gerne früher als später, dann wird auch wieder Zeit sein – dafür, zum Beispiel, sich nicht herumzuschummeln um eine echte Abwägung rechtlicher Ansprüche.
Denn das scheint ja geschehen zu sein am Verwaltungsgericht in Schleswig: Es hatte nach eigenem Dafürhalten nicht genügend Zeit, sich wirklich damit zu beschäftigen, ob dieser oder jener schleswig-holsteinische Landkreis berechtigt war, Menschen rauszuschmeißen, die dort leben. Ja: leben, und sei es nicht das ganze Jahr; die währenddessen auch konsumieren und jene Steuern zahlen, die auf so ein Dasein erhoben werden.
Gut möglich also, dass die juristische Klatsche dann keinen Bestand hat, die das Gericht jetzt den gegen solches Herumgeschubstwerden klagenden Nicht-Landeskindern verpasst hat. Zumal spät am Montag die Kieler Landesregierung einen einheitlichen Umgang angeordnet hat mit Ferienimmobilien und denen, die drin wohnen.
Wenn das Virus erst besiegt ist oder wenigstens nicht mehr eine so unkalkulierbare Gefahr darstellt wie dieser Tage, dann werden die sonst ja so gern gesehenen Gäste und die, die von solchen Gästen profitieren – also die, die immer da wohnen, wo andere es nicht immer tun: Sie alle werden ja wieder miteinander auskommen müssen.
Nicht jede Pöbelei – und zu solchen soll es gekommen sein zwischen „denen“ und „uns“ in den touristischen Regionen – lässt sich per Erlass regeln oder per Gerichtsurteil. Es sind ja wirklich besondere Zeiten gerade, da liegen die Nerven bei vielen ums Entscheidende offener da als sonst, ist die Geduld noch etwas schneller ausgereizt, flüchtet sich mancher in einfache, in falsche Lösungen fürs sonst nicht zu fassende Geschehen; Stammesdenken und Abwehrreflexe gegen vermeintlich Fremdes, das erleben wir dieser Tage weiß Gott nicht nur im echten Norden.
Und doch: Wer in ruhigen, in von der Sonne beschienenen Zeiten gut von der Gastfreundschaft lebt, vor allem aber: wer das auch in Zukunft wieder tun will, nach dem gerade aufziehenden Sturm, der ist gut beraten, sie nicht als allererstes über Bord zu werfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge