Raubkunstschenkung in Hannover: Zeugnisse der Verfolgung
Lange standen von Nazis graubte Einrichtungsgegenstände im Kestner-Museum. Die jüdische Erb*innen entschieden, dass sie dort bleiben sollen.
Das Möbel gehörte einst der jüdischen Fabrikantentochter Klara Berliner (1897–1943), deren Vater Joseph Berliner einstmals die erste europäische Telefonfabrik, aber auch die erste europäische Schallplatten- und Grammophonfabrik errichtete, die Deutsche Grammophon von 1898, die es bis heute gibt. Nur, dass sie nicht mehr in Hannover, sondern in Berlin sitzt. Joseph Berliner starb 1938, seine Tochter war die Alleinerbin – auch der um 1770 gefertigte Wäscheschrank aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern gehörte zum Nachlass.
Doch schon wenige Monate später enteignete der NS-Staat Klara Berliner, Schritt für Schritt. Sie musste antisemitische Steuern und Abgaben zahlen, wie etwa die sogenannte Sühneleistung. Sie wurde gezwungen, ihren Schmuck bei der Städtischen Pfandleihstelle abzugeben, alle Einrichtungsgegenstände, alle ihre Besitztümer wurden beschlagnahmt. Sie lebte in bitterster Armut in verschiedenen „Judenhäusern“ Hannovers, ehe sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wo sie 1943 starb.
Ihr Schrank stand da schon lange zur Versteigerung, fand aber zunächst keinen Käufer. 1942 gelangte er dank dessen Direktor in das örtliche Kestner-Museum. Der Kaufpreis wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, auf das nur die Reichsfinanzverwaltung Zugriff hatte.
Bürgermeister und Erb*innen einigen sich auf Schenkung
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
2014 landete der Schrank in der offiziellen deutschen Onlinedatenbank „Lost Art“ der damaligen Koordinierungsstelle für Kulturgüterverluste. Und die Provenienzforschung der Stadt Hannover bemühte sich, die rechtmäßigen Erben von Klara Berliner zu finden, um ihnen den Rokokoschrank zurückzugeben. Nun aber kommt es anders. Denn die Erb*innengemeinschaft der Familie Berliner und Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay haben jetzt eine Vereinbarung zur Restitution und Schenkung unterzeichnet.
Behalten darf Hannover nun auch einen kunstvollen Kopfkissenbezug, der auf eine Straminplatte gestickt worden ist. Klara Berliner hat ihn am Tag vor ihrer Deportation verschickt. Außerdem gehören zur Schenkung die gesamten deutschsprachigen Dokumente aus dem Manfred Berliner Trust, der die Erb*innengemeinschaften vertritt und in der Familie finanzielle Hilfen für Notlagen vermittelt. Der Schrank steht also weiterhin im kulturgeschichtlichen Museum August Kestner, das vor allem angewandte Kunst beherbergt.
„Die wertvollen Objekte sind Zeugnisse der NS-Verfolgung von Klara Berliner, veranschaulichen symbolisch unterschiedliche Schritte ihrer Verfolgung und haben deshalb einen unermesslichen Wert für die Aufklärung über die NS-Verbrechen in unserer Stadt“, sagt Onay. „Das Museum ist der beste Ort für den Schrank“, sagte die eigens aus den USA angereiste Familiendelegierte Gabriele Berliner: „Hier können ihn viele Menschen sehen.“ 2018/19 stand er bereits im Mittelpunkt einer Sonderausstellung zu dem „Spuren der NS-Verfolgung“ im Kestner-Museum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind