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Rassistischer Anschlag von HanauTerror-Hinterbliebene wollen nicht aufgeben

Die Eltern des 2020 in Hanau ermordeten Hamza Kurtović reichen Verfassungsbeschwerde ein. Sie fordern eine erneute strafrechtliche Überprüfung.

Ein Graffiti zeigt die beim Anschlag in Hanau 2020 getöteten Menschen Foto: Peter Jülich/imago
Yağmur Ekim Çay

Aus Frankfurt

Yağmur Ekim Çay

Die Eltern des beim Hanau-Anschlag vor mehr als fünf Jahren ermordeten Hamza Kurtović, Dijana und Armin Kurtović, haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Damit setzen sie ihren jahrelangen Kampf für eine erneute strafrechtliche Überprüfung fort – sowohl wegen der mutmaßlich verschlossenen Hintertür der Arena Bar, die die Flucht der Opfer erschwert haben soll, als auch gegen Verantwortliche für das am Anschlagsabend nicht funktionierende polizeiliche Notrufsystem.

Die Kritik am Notruf beruht vor allem auf dem Fall von Vili Viorel Păun. Er hatte am Abend des Anschlags mehrfach versucht, die Polizei telefonisch zu erreichen, um die Flucht des Täters zu melden. Fünf Anrufe setzte er ab, zwei davon mit Fehlwahl, doch keiner davon drang zur Notrufstelle durch.

Im Zentrum für die Familie steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Der Betreiber der Arena Bar soll den Notausgang regelmäßig verschlossen gehalten haben, laut der Familie auf Anweisung der Polizei, um bei Razzien zu verhindern, dass die Gäste durch die Hintertür fliehen. Wäre die Tür offen gewesen und hätten die Gäste der Bar davon gewusst, hätten sie laut der Familiedurch den Notausgang fliehen können.

Klageerzwingungsantrag gescheitert

Im März hatte die Familie Kurtović beim Oberlandesgericht Frankfurt einen umfangreichen Klageerzwingungsantrag eingereicht. Die rund 700 Seiten umfassende Klageschrift richtete sich wegen fahrlässiger Tötung gegen den Betreiber der Arena Bar, gegen Mitarbeiter der Stadt Hanau, mehrere Polizeibeamte, den damaligen hessischen Innenminister Peter Beuth, den Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Südosthessen, Roland Ullmann, den damaligen Leiter der Polizeidirektion Main-Kinzig, Jürgen Fehler, sowie den Leiter der Abteilung Einsatz, Claus S.

Doch Ende Oktober entschied das Oberlandesgericht: Einen Prozess gegen mögliche Verantwortliche wird es nicht geben. Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung wurden als unzulässig verworfen. Die Familie habe, so das Gericht, keine ausreichenden Ermittlungsfehler der Staatsanwaltschaft dargelegt. Zudem sei nicht substantiiert glaubhaft gemacht worden, dass die Tötungen hätten verhindert werden können – weder durch einen geöffneten Notausgang noch durch ein leistungsfähigeres Notrufsystem.

Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte bereits 2021 die Ermittlungen wegen des verschlossenen Notausgangs eingestellt und 2023 eine Wiederaufnahme abgelehnt. Im Januar dieses Jahres wurden schließlich auch die Ermittlungen zum nicht erreichbaren Notruf im Fall Păun erneut eingestellt.

Am 19. Februar 2020 hatte ein 40-jähriger Deutscher in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen erschossen: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst.

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5 Kommentare

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  • Wie kann man denn auch gegen Behörden, gar Polizei verklagen? Dazu noch als "Ausländer" ? Zur Klarstellung: ich will weder pauschal die gesamte Justiz beschuldigen, doch es hat -gerade in Hessen- den Anschein, dass eine neutrale !!! Untersuchung solcher Komplexe nicht schaden kann. Genauso wie im Polizeiapparat. Vermutlich, hoffentlich wird dabei herauskommen, dass es keine strukturellen Rassismusprobleme gibt, wohl aber punktuell. Und genau ein solches Ergebnis wird den Behörden eher nützen als schaden. Wieso ist die Politik so zögerlich? Fürchtet man sich von den Faschos?

  • Der Besitzer des Lokals will wohl sich seiner Verantwortung entziehen und behauptet, daß die Polizei das Abschließen der Tür angeordnet hat. Wer soll dies glauben ?

    • @Puky:

      Der Besitzer des Lokals hat sich diese Geschichte Ihrer Meinung nach also ausgedacht?



      Wer soll das glauben?

  • Die Ausage das der Barbesitzer auf Anordnung der Polizei die Notausgänge permanent verschlossen haben soll ist etwas schwammig. Einen Beweis gibt es dafür nicht. Und letztendlich ist der Betreiber dafür verantwortlich das der Notausgang frei bleibt.

    Dann, wenn es eine Schiesserei in einer Innenstadt gibt wird es wohl sehr viele Menschen geben die die Polizei rufen. Alleine unzählige Gäste werden den Notruf gewählt habe. Und ist auch richtig. Da werden die Leitungen mutmasslich überlastet sein. Hanau hatte zu der Zeit zwei Polizeistationen

  • Ich verstehe nicht ganz wie das Bundesverfassungsgericht da eingreifen soll. Das Oberlandesgericht hat das Klageerzwingungsverfahren abgelehnt. Also müssten die Kläger zuerst vor dem Bundesgerichtshof klagen, weil das Bundesverfassungsgericht besteht darauf das erst alle Instanzen eingehalten werden.

    Und ob es ein vefassungsrechtliches Recht auf eine Klageerzwingung gibt bezweifle ich.

    de.statista.com/th...erfassungsgericht/



    Von den erledigten Verfassungsbeschwerden des Jahres 2023 waren insgesamt 55 Verfassungsbeschwerden erfolgreich, dies entspricht einer Erfolgsquote von 1,66 Prozen