Rassistischer Anschlag in Hanau: Ermittlungen eingestellt
Die Bundesanwaltschaft kommt zu dem Schluss, dass der Täter in Hanau allein gehandelt habe. Angehörige der Opfer prüfen dagegen eine Klage.
Der 43-Jährige hatte am 19. Februar 2020 in Hanau an zwei Orten neun Menschen mit Migrationsgeschichte erschossen: Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi. Mehrere weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Anschließend fuhr Tobias R. nach Hause, erschoss dort seine Mutter und dann sich selbst.
In ihrer Einstellungsverfügung schreibt die Bundesanwaltschaft nun noch einmal das Motiv des Anschlags fest: Tobias R. habe „aus einer rassistischen Motivation heraus“ seine Tat begangen. Hier hatte es Diskussionen gegeben, weil R. in seinem Bekennerschreiben neben offenem Rassismus auch Verschwörungs- und Verfolgungswahn offenbart hatte. Ein Gutachter der Bundesanwaltschaft hatte R. posthum eine paranoide Schizophrenie attestiert – auf die eine „rechtsradikale Ideologie“ aufgesetzt gewesen sei.
Weitere Helfer, Mitwisser oder Mittäter beim Anschlag schließt die Bundesanwaltschaft indes aus. Auch hierzu habe man ermittelt, habe Kontaktpersonen von Tobias R. „gleich welcher Art“ überprüft, so die Behörde. „Dabei haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass andere Personen in die Anschlagspläne von Tobias R. eingeweiht gewesen sein könnten“, so die Behörde.
Verdacht gegen Vater nicht bestätigt
Auch die Verkäufer der Schusswaffen von Tobias R., die dieser legal erworben habe, hätten nichts vom Anschlag ahnen können. Ebenso wenig die Mitglieder seines Schützenvereins oder die Veranstalter der Schießtrainings im Ausland, an denen R. teilnahm. Auch die weiteren Tatvorbereitungen – das Erstellen des Bekennerschreibens und Videos sowie die Einrichtung einer Homepage – habe Tobias R. „allein und eigenverantwortlich“ vorgenommen.
Auch den Vater des Attentäters entlastet die Bundesanwaltschaft. Der 74-Jährige hatte mit seiner pflegebedürftigen Frau und dem Sohn zusammengelebt – blieb in der Tatnacht aber am Leben. Die Opferfamilien des Anschlags hatten gegen ihn im Februar Anzeige wegen psychischer Beihilfe zum Mord und Nichtanzeigen von Straftaten gestellt.
Die Angehörigen sind überzeugt, dass der Vater allein schon wegen der engen Wohnsituation etwas von den Tatplanungen mitbekommen haben müsse. Zudem verweisen sie auf Ermittlungsunterlagen, die zeigten, dass dieser den Verschwörungswahn seines Sohnes teilte. Zudem sei er sehr dominant gegenüber seinem Sohn aufgetreten, habe sich bei Behördenangelegenheit für ihn bevollmächtigt.
Und auch nach dem Anschlag hatte der Vater Beschwerden an mehrere Behörden verschickt, in denen er sich ebenfalls rassistisch äußerte und behauptete, nicht sein Sohn habe das Attentat verübt, sondern ein Geheimdienst.
Angehörige der Opfer reagieren enttäuscht
Im Oktober wurde der 74-Jährige dann zu einer Geldstrafe von 5.400 Euro vom Amtsgericht Hanau verurteilt, weil er in einem Schreiben die Angehörigen der Opfer als „wilde Fremde“ bezeichnet hatte, die sich „dem Deutschen Volk unterordnen“ sollten. Zudem nannte er die Polizisten, die sein Haus durchsuchten, ein „Terrorkommando“ und warf Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) Wahlfälschung vor.
Für die Bundesanwaltschaft hat sich der Verdacht gegen den Vater jedoch nicht bestätigt. „Eine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass er die Begehung der Taten für möglich gehalten oder diese sogar gefördert hat, ist nicht vorhanden“, schreibt die Behörde. Das behauptete Dominanzverhältnis zu seinem Sohn habe bei der Tat keine Rolle gespielt. Tobias R. habe vielmehr, trotz psychischer Beeinträchtigung, ein „selbstbestimmtes Leben“ geführt.
Die Bundesanwaltschaft räumt aber ein, dass es ein „in erheblichen Umfang übereinstimmendes Weltbild von Vater und Sohn mit extremistischen und verschwörungstheoretischen Tendenzen“ gibt. Dennoch: Auch dieses begründe noch keine Einflussnahme auf die Tat.
Anwältin Seda Başay-Yıldız, welche drei Opferfamilien des Anschlags vertritt, reagierte enttäuscht auf die Einstellung des Verfahrens. „Wir werden prüfen, ob wir ein Klageerzwingungsverfahren anstrengen“, sagte sie am Donnerstag der taz.
Auch die Initiative 19. Februar, in der Angehörige und Unterstützer aktiv sind, erklärte: „Wir sehen nicht, dass die Rolle des Vaters des Täters in der Tatnacht ausermittelt ist.“ Zudem seien viele weitere Fragen bis heute ungeklärt. „Diese liegen in der Verantwortung der hessischen Landesregierung und müssen hier aufgeklärt werden.“
Für die Betroffenen stellen sich neben der Rolle des Vaters noch Fragen zum kaum erreichbaren Polizeinotruf in der Tatnacht, einem verschlossenen Notausgang an einem Tatort oder warum der Täter trotz psychischer Erkrankung an Waffen kam. Die Bundesanwaltschaft äußerte sich dazu nicht. Den Sachverhalten wrd aktuell in einem laufenden Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag nachgegangen.
Aktualisiert und ergänzt am 16.12.2021 um 14:25 Uhr. d. R.
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