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Rassistische Gerichtssprechung in PolenIm Zweifel für Diskriminierung

In Polen entscheiden immer mehr Gerichte im Sinne der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS. Sogar das Verfassungsgericht.

In Polen werden immer häufiger menschenfeindliche Urteile gefällt Foto: ap

Warschau taz | Das „gute Gewissen“ spielt in Polen eine zunehmend politische Rolle, seit die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an der Macht ist. Katholisch kommt das „gute Gewissen“ daher, PiS-freundlich und Frauen-, Ausländer- und LGBT-feindlich.

Seit vergangener Woche diskutiert halb Polen, wer sich auf ein „gutes Gewissen“ berufen darf. Nur Katholiken oder auch Andersgläubige? Nur Männer oder auch Frauen? Schwule und Lesben aber nicht oder doch?

Zbigniew Ziobro, Generalstaatsanwalt und Justizminister in einer Person, begrüßte ausdrücklich das Urteil des Verfassungsgerichts, mit dem einem Drucker das Recht zugestanden wurde, ein LGBT-Veranstaltungsplakat nicht herstellen zu müssen. Kurz darauf ordnete Ziobro ein Ermittlungsverfahren gegen das schwedische Möbelhaus Ikea an, das einem polnischen Mitarbeiter angeblich rechtswidrig „aufgrund seines Glaubens“ gekündigt habe. Dieser hatte gegen eine LGBT-Toleranz-Aktion ­protestiert – mit Bibelzitaten, denen zufolge Homosexuelle sich einer „Blutschuld“ schuldig machten und des Todes sterben müssten.

Zwar kennt in Polen jedes Kind den Aphorismus des polnischen Juden Staniłsaw Jerzy Lec: „Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.“ Doch die universelle Bedeutung geht verloren. Ein „reines Gewissen“ im Sinne von „unbenutzt“ wird mehr und mehr Andersgläubigen zugeschrieben, auch Frauen, die vergewaltigt wurden und die „Pille danach“ fordern. Oder Schwulen und Lesben, die nicht dem katholischen Ideal einer Mann-Frau-Kind-Familie entsprechen.

Das „gute Gewissen“

Ein „gutes Gewissen“ hingegen schreiben sich PiS-Anhänger und bigotte Katholiken in Polen gern selbst zu. In den Genuss dieses selbstgerechten „Ich gehöre zu den Guten“-Gefühls kamen bislang vor allem Ärzte. Apotheker und Kirchenmänner. Während sich Pädophile unter den Klerikern darauf verlassen konnten, von Bischöfen in immer neue Gemeinden versetzt zu werden, wo sie weitere Kinder sexuell missbrauchen konnten, können es Gynäkologen wie Apotheker mit Berufung auf ihr „gutes Gewissen“ ablehnen, Verhütungsmittel zu verschreiben oder zu verkaufen.

Seit einiger Zeit aber landet das „polnische Gewissen“ immer öfter vor Gericht. PiS-loyale Richter sorgen dafür, wie jetzt im Verfassungsgericht, dass das Urteil im Sinne der PiS ausfällt. Angeblich sei das Diskriminierungsverbot, auf das sich die erste und zweite Instanz wie auch später das oberste Gericht beriefen, „nicht verfassungskonform“. Zbigniew Ziobro freute sich am Mittwoch unverhohlen darüber, dass seine „Argumente vom Verfassungsgericht geteilt“ würden. „Die Freiheit kommt allen zu. Niemand soll unter dem Vorwand der Toleranz den Staatsapparat einschalten, um die anderen zur Vergewaltigung ihrer Gewissens-, Glaubens- oder Wirtschaftsfreiheit zu zwingen.“ Triumphierend setzte Ziobro hinzu: „Endlich leben wir in einem freien Land!“

Jarosław Jagura von der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte wies darauf hin, dass zahlreiche Diskriminierungsprozesse neu aufgerollt werden könnten und die Diskriminierten – Rollstuhlfahrer, Blinde mit Blindenhund, Mütter mit Kinderwagen, Schwule und Lesben – den Kürzeren ziehen könnten. Mirosław Makuchowski von der Kampagne gegen Homophobie fragt: „Wir erinnern uns an die Zeiten, als in den Läden Schilder mit der Aufschrift hingen ‚Juden – Zutritt verboten‘. Müssen wir uns an Schilder gewöhnen wie ‚Homosexuelle bedienen wir nicht‘ oder ‚Rollstuhlfahrer – ungern gesehen‘?“

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10 Kommentare

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  • Frau Lesser betreibt keinen Journalismus, sondern Propaganda.



    Wo im Text ist vom "Rassismus" die Rede?

  • Was ist "Gerichtssprechung"?

  • Seit über 3 Jahren Verfolge ich den streit. Ich Glaube es geht hier um mehr Freiheit, wie Unterdrückung. Weil jeder Unternehmer soll selber Entscheiden, mit wenn er Geschäfte tätigen will, Es gibt wie Gewissen, wenn sein Gewissen in das verbieten , warum nicht. Das Gesetz wo sich LGBT berufen ist ein kommunistisches Gesetz, was in 70jahre gemacht wurde, der Grund war in eine Planwirtschaft hatte der Staat das Monopol über Dienstleistung, das heißt es gab keine Konkurrenz. Heute ist so wenn eine das mir nicht Druckt dann gehe ich zu der konkurenz die Drücken mir das schon. In Lodz gibt es über 100 Druckerei, bestimmt bei den Geschäft fleißigen Polen, wird irgendeine das schon aus Drücken. Hat mit Diskriminierung nicht zu tun. Es geht um Weltveranschaulichung, jeder hat eine eigene, wichtig ist das man anderen toleriert und in Polen sehe ich die Gefahr nicht.

  • "...und des Todes sterben müssten."

    Wat?

    • @Snip Snap:

      Den nehm ich als Schlagobers 😎

      • @Lowandorder:

        “&…in Italien ist immer August!“

  • Ja wie^¿* “Gerichtssprechung“ 🎭

    “ Rassistische Gerichtssprechung in Polen…“

    Na Mahlzeit - 👹

    unterm——Im Namen Volkers - 👄 kerr



    You made my day 😈

  • Der Artikel lässt bei mir leider mehr Fragen zurück als er beantwortet. Ging es bei dem "Drucker" um ein Unternehmen oder um einen Arbeitnehmer. Wenn man den Fall ins deutsche Recht überträgt, würde sich ein Unternehmen mit der Begründung schadenersatzpflichtig machen. Handelt es sich um einen Arbeitnehmer, der einen Arbeitsauftrag nicht ausführen möchte, würde er in Deutschland wohl Recht bekommen. Zumindest deuten die entschiedenen Fälle darauf hin, die es einem AN muslimischen Glaubens erlauben, sich zu weigern, alkoholische Getränke einzuräumen oder einem Biologen an einem Medikament mit zu wirken, welches Soldaten im Falle eines Atomkriegs "kampfbereit" hält (alte Entscheidung aus den Zeiten des kalten Kriegs). In beiden Fällen dürfte der Arbeitnehmer seine Gewissensentscheidung treffen und der Arbeitgeber musste darauf Rücksicht nehmen.

    • @Strolch:

      Es geht ein Kunde wollte LGTB Plakat ausgedrückt bekommen. Der Besitzer der Druckerei hat in diesen Auftrag abgelehnt, wegen sein geschultes Gewissen, das er das nicht vereinbaren kann und der Kunde fühlt sich Diskriminiert.

  • Das Phänomen hat zwei Seiten:

    Zum einen ist die PiS nur ein Ausdruck dafür, dass eine Mehrheit der Polen Ressentiments hegt (was angesichts der Geschichte Polens und der Macht seiner katholischen Kirche zwar erklärlich ist, aber trotzdem dämlich). Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass unter den polnischen Juristen Leute sind, die Ressentiments pflegen, ist also relativ hoch, denn polnische Juristen werden (wie alle anderen ) aus der Bevölkerung „herausgesiebt“.

    Andererseits steigt die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Ressentiments pflegende Juristen Recht sprechen in Polen, um so stärker und schneller an, je länger und unangefochtener die PiS regiert. Das „Sieb“ nämlich, mit dem in Polen (wie überall sonst) Richter selektiert werden, liegt in der Hand des Staates. Und den kontrolliert wer? Genau.

    Es gibt also einen gewissen Anpassungsdruck. Nein zu sagen zu den Verlockungen und Drohungen der Herrschenden, ist für Karrieristen eher keine Option. Jurist zu werden, um anschließend Recht zu sprechen, schon. Wenn Karrieristen ein „reines“ weil unbenutztes Gewissen haben, liegt das genau daran: Sie haben gelernt, ich anzupassen, nicht Abstand zu halten. Hauptsache, sie überstehen die wichtigsten Prüfungen.

    So ist das übrigens nicht nur in Polen. In Deutschland, den USA und überhaupt überall auf der Welt ist Moral eine Machtfrage. Weil alle Machthaber die Stellen, an denen über Moral entschieden wird, mit Leuten besetzen, die sie quasi handverlesen haben. Mit Leuten, deren Ehre Treue heißt, nicht Menschlichkeit, und die für diese ihre Ehre alles tun würden.

    Sage also keiner, in Deutschland sei kein drittes Reich mehr möglich. Die Strukturen dafür gibt es noch. Und die „Moral“ auch. Es ist eine Moral, derzufolge einige „gleicher“ sind als andere, wertvoller also. Besser, wir fragen uns nicht, ob wir uns an diesen Gedanken „gewöhnen [müssen]“. Besser, wir sagen gleich: „Nein, das wollen wir nicht!“ Alles andere macht noch mehr Scherereien.