Rassismus in Schulbüchern: Besser spät als nie
Die Bremer Bildungsbehörde hat Schulbücher auf diskriminierende Inhalte durchleuchten lassen. Das ist immerhin ein erster Schritt.
Denn logisch muss die Kritik an Rassismus in Schulbüchern an Bestände eines Wissens anknüpfen, das im rassistischen Diskurs etabliert worden ist. Sie kommt also nicht umhin, diesen Diskurs zu reproduzieren und zu bestätigen. Echte Hoffnung gibt es also keine: Wir kommen aus der Nummer nicht raus.
Aber wenn wir uns, so hat es in den 1980ern der Soziologe Stuart Hall in voller Anerkennung dieser Unentrinnbarkeit beschrieben, „mit den verschlungenen Wegen befassen, auf denen ‚Rasse‘ und Rassismus in den Medien konstruiert werden“, dann könnte es uns gelingen, „etwas zu verändern“. Es geht darum, einen Prozess in Gang zu bringen, der kein erreichbares Ziel, aber einen benennbaren Anfang hat.
„Man muss“, so Hall seinerzeit, „bloßlegen, was man auseinandernehmen will.“ Und das ist, was Meral El nun für Bremen getan hat, im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung, an zehn Unterrichtswerken, die im Lernbereich Gesellschaft und Politik Einsatz finden – oder dafür zumindest schulbehördlich zugelassen wurden. Erschienen sind die Bücher zwischen 2013 und 2020.
Nicht mehr zum Lachen
Einschlägige Untersuchungen gibt es seit den 1990er Jahren in Deutschland, mal als universitäre Qualifikationsarbeit, mal als Überblicksstudie der Bundesbeauftragten für Migration. Dass Meral El trotz dieser langjährigen Sensibilisierungspraxis in ihrem Korpus noch Kloppersätze findet wie „Die Industriestaaten erwarben Kolonien“ oder „die Herero wehrten sich gewaltsam gegen die deutschen Kolonialherren“, ist eigentlich schon nicht mehr zum Lachen.
Aber ginge es bloß um diese Skandalisierung, wäre es am Ende des Tages etwas wohlfeil und hätte etwas fälschlich Beruhigendes, weil: Klaro wissen wir es besser, wir sind ja doch alle längst keine Rassist*innen mehr, wir doch nicht. Und wir verwenden auch keine Triggerworte, das haben wir nämlich gelernt, wenn auch noch nicht in der Schule.
Nein, ein wirklich gutes Vorbild ist diese kleine Untersuchung, weil sie direkt im Wirkungskreis der Schulbehörde erstellt worden ist – die Landeszentrale für politische Bildung ist eine Dienststelle der Bildungssenatorin –, sich zudem konsequent auf deren eigenen Kriterienkatalog als Standard bezieht – der von den Publikationen fast ebenso konsequent unterboten wird – und zugleich selbst in die Praxis ausfranst: „Ein dialogischer Austausch mit Expert:innen zur Studie“ bildet das letzte Kapitel der Broschüre. Und das kreist um die Frage, wie sich die Erkenntnisse der Untersuchung in Unterricht übersetzen lassen – etwa indem Lehrkräfte den Schüler*innen mitgeben, dass sie die Bücher verändern können, statt sich ihnen zu unterwerfen.
Ach, es wäre schön, wenn diese Studie ein Anfang eines solchen Unterrichtens wäre, das Autorität nutzt, ihr Verstricktsein in Diskriminierungszusammenhänge einzusehen und zu unterwandern. Wenn es glückt, könnte es autoritäres Denken unmöglich machen. Wenn es dafür mal nicht zu spät ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken