Rassismus im Fußball: Spielverderber-Studie
Jeder Fünfte wünscht sich eine weißere EM-Mannschaft. Die Studie, die das belegt, steht in der Kritik. Dabei verdeutlicht sie Rassismus unter Fans.
Z u einer richtigen Europameisterschaft scheinen drei Dinge zu gehören: an Autofenstern befestigte Deutschland-Flaggen, ausreichend kaltes Bier und eine Debatte über Spieler mit Migrationsgeschichte. Alle Jahre wieder bricht bei Europa- und Weltmeisterschaften eine reflexartige Auseinandersetzung darüber aus, wer die deutsche Hymne mitgrölt und wer nicht, wen man als Nachbarn haben möchte und wen nicht und wer der deutschen Verfassung am patriotischsten gegenübersteht – wobei all diese Fragen natürlich ausschließlich auf Spieler mit Migrationsgeschichte angewandt werden.
Auch in diesem Jahr ist es wieder so weit. Im Rahmen einer Dokumentation der Sportschau, die am Mittwoch erscheint, gab der WDR eine Studie beim Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap in Auftrag. Die Ergebnisse sind seit Samstag in Form eines Instagram-Posts verfügbar: 21 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe, 17 Prozent „finden es schade“, dass DFB-Kapitän İlkay Gündoğan türkische Wurzeln hat. Das Echo in den Kommentaren unter dem Beitrag: Was für eine beschissene Umfrage.
Tatsächlich lässt sich Kritik an der Fragestellung üben. Die Fragen sind suggestiv, spitzen zu und überraschend sind die Ergebnisse kaum. Denn wer in Deutschland nach Rassismus sucht, wird ihn auch finden. Dass rechtsextreme Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet sind, zeigt schon die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung aus 2023: Acht Prozent der Befragten haben ein rechtsextremes Weltbild, weitere 20 Prozent, tendieren zu einem solchen. Um zu belegen, dass es in Deutschland Rassismus gibt, braucht es also keine Insta-Posts, die die Problematik anhand einzelner Spieler wie Gündoğan thematisieren. Oder etwa doch?
Nein, findet zum Beispiel Joshua Kimmich. Er kritisiert die Umfrage als „absurd“, gerade jetzt bei der EM gehe es doch darum, uns alle zusammenzubringen, nicht zu spalten, so Kimmich. Blöde Umfrage eben. Dabei unterschlägt der Mittelfeldspieler, dass Fußballturniere immer ein spalterisches Element enthalten. Egal ob Gerald Asamoah, Mesut Özil, Jérôme Boateng oder İlkay Gündoğan: Spieler mit Migrationsgeschichte sind häufig rassistischen Anfeindungen ausgesetzt – das Problem entsteht also nicht erst durch die Studie.
Sommermärchen? Nicht für alle
Spaltend sind Turniere wie die EM auch allein schon, weil sich marginalisierte Menschen zwischen Deutschlandflaggen, die deutsche Balkons und Vorgärten schmücken, und Betrunkenen, die die Nationalhymne grölen, verständlicherweise nicht besonders sicher fühlen. Dies zeigte eine repräsentative Studie der Universität Marburg, die nach dem „Sommermärchen“ von 2006 herausfand, dass der „Party-Patriotismus“, der uns doch so sehr zu vereinen schien, nach der WM 2006 zu einem Anstieg nationalistischer und fremdenfeindlicher Einstellungen in der deutschen Bevölkerung führte.
Auch Bundestrainer Nagelsmann bezeichnet die Befragung als „Scheiß Studie“. Er sei schockiert, dass solche Fragen überhaupt gestellt würden. Man spiele doch eine „EM für jeden im Land“. Dass sich das in der Theorie wunderschön anhört, in der Praxis aber nur wenig gegen Rassismus auf und neben dem Fußballplatz getan wird, bleibt unerwähnt. Die Studie erinnert uns zumindest daran.
Dass alle zwei Jahre – immer dann wenn ein großes Turnier ansteht – große Empörung über die Verbreitung rassistischer Einstellungen in Deutschland herrscht, überrascht im Gegensatz zu den Ergebnissen der Studie schon etwas. Bei aller Kritik an suggestiver Fragestellung und Zuspitzung per Insta-Post zeigen die Reaktionen auf die Studie, wie wichtig sie ist, denn die Ergebnisse scheinen Instagram-Publikum wie Fußballer gleichermaßen zu schockieren.
Allein die Kritik an den Machern der Studie, gespickt mit einer Prise Zusammenhalts-Geplänkel à la „Wir spielen eine EM für jeden“ hilft nicht, Rassismen im Fußball zu überwinden. Statt Deutschlandflaggen an Autos, kaltem Bier und Debatten über Deutsch-Sein sollte zu einer richtigen EM etwas anderes gehören: eine Reflexion über die Verwendung nationalistischer Symbole und deren spalterischen Charakter sowie die rassistischen Einstellungen, die in der deutschen Bevölkerung den Wunsch nach einer weißeren Nationalmannschaft auslösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung