Rassismus beim britischen Königshaus: Wessen Tränen zählen mehr?
Die Rassismusvorwürfe an die Royals drohen vom Klatsch überdeckt zu werden. Doch sie sind politisch – und können Vorbild für Marginalisierte sein.
Am zweiten Tag nach der Ausstrahlung des schockierenden Interviews von Meghan Markle und Prince Harry mit der US-Moderatorin Oprah Winfrey folgen erste Konsequenzen. Der Buckingham Palace reagiert auf Markles Rassismusvorwürfe mit einem kurzen Statement: Die königliche Familie sei traurig und nehme alles sehr ernst.
Der britische Star-Moderator Piers Morgan, der Markle seit Jahren vor einem Millionenpublikum sexistisch und rassistisch beleidigt, verliert seinen Job bei der TV-Sendung „Good Morning Britain“.
40.000 Beschwerden gingen allein nach der Ausstrahlung des Interviews bei Morgans Arbeitgeber, dem Sender ITV, ein. Überall auf der Welt war die Spannung groß, welche Enthüllungen das Gespräch mit Meghan Markle und Prince Harry wohl hervorbringen werde. Zwar sprach das Ehepaar – typisch britisch – höflich und zurückhaltend, inhaltlich wurde es allerdings mehr als nur deutlich. Selbst Oprah Winfrey, die in ihrem Leben so einige spektakuläre Interviews geführt hat, musste an einigen Stellen authentisch nach Luft schnappen und innehalten.
Das zweistündige Interview ist eben keine reine „Hollywood Show“, es passt nicht in das Ressort „Klatsch & Tratsch“, wo Berichterstattung über die Royals normalerweise stattfindet und sie als eine Art schrullige Familienbande mit Telenovela-haften Zickenkriegen zeichnet.
Hier geht es um mehr: um mentale Gesundheit, einen Mangel an weiß-privilegierter Selbstreflexion, fehlende Machtkritik und eine historisch gewachsene ausbeuterische Haltung, die fester Bestandteil im Selbstverständnis des Buckingham Palace zu sein scheint.
Koloniale Vergangenheit
Am 2. Juni 1953 wurde Elizabeth II. zur Queen des Vereinigten Königreichs, Australiens, Kanadas, Neuseelands, Südafrikas, Britisch-Ceylons (das heutige Sri Lanka) und Pakistans gekrönt. Sie thronte über ein britisches Imperium, das sich in Kriegen und mit rassistischer Gewalt an den Reichtümern anderer Gesellschaften bediente. Ein Reich, das selbst nach der Unabhängigkeit einiger seiner vormals besetzten Territorien noch großen wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausübte.
Die Queen hat sich nie für die Kolonialverbrechen ihres Landes entschuldigt – zum Beispiel für die Rolle Großbritanniens im dehumanisierenden Handel mit versklavten Menschen aus Afrika. Das britische Königshaus war ein Pfeiler dieses kolonialen Projekts. Im Kontext dieser historischen Kontinuitäten muss das Interview einer Schwarzen Frau betrachtet werden, die sich von einem der einflussreichsten Paläste der Welt getrennt hat.
Markle erzählt von der grundsätzlichen Skepsis gegenüber ihrer Person in der Royal Family, vom unerträglichen Druck und ihren daraus resultierenden Suizidgedanken. Eine Therapie sei ihr verweigert worden, da diese nicht gut für die „Institution“ sei. Eine Aussage Markles fällt dabei besonders auf: „Ich bin bereit zu sprechen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen und für mich selbst zu reden.“
Kritiker*innen sagen, Markle habe ja vor der Hochzeit mit Prince Harry gewusst, was auf sie zukommen würde: ein starres Protokoll, royale Disziplin und der Druck der Öffentlichkeit. Doch in der heutigen Zeit kann die Liaison mit einem Prinzen nicht bedeuten, dass damit die eigene Subjektivität und Sprechfähigkeit aufgegeben wird.
Markle hat sich mit dem Oprah-Interview von den Windsors nicht nur emanzipiert, sie feierte mit dem Auftritt ihre Unabhängigkeit. Es muss sich für den Buckingham Palace wie ein Déjà-vu angefühlt haben.
Die Hautfarbe des Babys
Der wohl meistzitierte Satz aus dem Interview dreht sich um die Hautfarbe von Archie, dem Erstgeborenen von Meghan Markle und Prince Harry. „Es gab Bedenken und Gespräche, wie dunkel seine Haut sein wird, wenn er auf die Welt kommt“, sagt Markle. Oprah Winfrey und Millionen von Zuschauer*innen staunten nicht schlecht, dass sich der Rassismus in der britischen Königsfamilie auf so plumpe Art und Weise geäußert haben soll. Beim erneuten Nachdenken ist es aber doch nicht so überraschend.
Markle ging nicht näher darauf ein, wer im Palast diese unsägliche, rassistische Aussage gemacht haben soll. Man kennt es als von Rassismus betroffene Person: Vorsichtig herantasten, obwohl man vollkommen im Recht ist. Natürlich muss auch dieser Vorwurf zunächst als das gelesen werden, was er ist: ein Vorwurf. Der Buckingham-Palast muss die Schilderung von Meghan Markle aber erst mal entkräften. Und in der Vergangenheit hat sich die Royal Family eher entschieden, im Sinne ihres Images zu kommunizieren und nicht im Sinne von Aufklärung.
Als weinerlich bezeichnen einige Kommentator*innen den Satz zu Archies Hautfarbe aus dem Oprah-Interview. Es sei ja nichts dabei, wenn man mal über die Hautfarbe des ungeborenen Kindes spricht. Doch die Intention ist natürlich eine andere: Die Repräsentation einer weiß-dominierten Gesellschaft muss weiß sein. Ein Schwarzes Baby passt da nicht ins Bild.
Es ist dabei nur ein passender Zufall, dass das königliche Protokoll für Archie keinen Sicherheitsdienst und keinen königlichen Titel vorsieht. Obwohl klar ist, dass Meghan Markle und selbst Prince Harry von Titeln nicht so viel halten. Sonst wären sie ja nicht einfach nach Los Angeles umgezogen.
Markle fügt später im Interview hinzu: „Unhöflich und rassistisch sind zwei verschiedene Dinge.“ Und dieser feine Unterschied muss auch hier gelten: Viel wurde in der Vergangenheit über einen Streit zwischen Meghan Markle und Catherine, der Herzogin von Cambridge, spekuliert. Markle habe die Ehefrau von Prince William und zukünftige Königin Großbritanniens, zum Weinen gebracht, hieß es. Im Gespräch mit Oprah Winfrey schilderte Markle ihre Sicht der Dinge: Es soll andersherum gewesen sein.
Weiße Tränen
Sie sei von der Herzogin zum Weinen gebracht worden. Warum ist das an dieser Stelle wichtig? Die Wahrnehmung der Gefühle durch die Öffentlichkeit spielt eine zentrale Rolle: Die Betroffenheit der weißen Frau, der Herzogin, wurde in der britischen Presse mit Mitgefühl aufgenommen, Markle als Furie, Mobberin und zornige Außenseiterin porträtiert.
Dementsprechend reagierte der Palast und leitete „Ermittlungen“ gegen Markle ein. Niemand kann hinter die Kulissen schauen und genau sagen, was vorgefallen ist. Aber die Festlegung, wer in dieser Konstellation die gute und wer die böse Seite sein soll, sagt viel über die rassistische Denkweise einer mehrheitlich weißen Gesellschaft aus.
Überhaupt ist die Rolle der britischen Yellow Press ein zentrales Motiv im Interview gewesen. Prince Harry hat das Trauma seiner verstorbenen Mutter mit der Klatschpresse seines Landes nicht überwunden, sagt er. Wer sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen Lady Diana und dem britischen Boulevard auseinandersetzt, weiß: Die Paparazzi haben der Prinzessin das Leben zur Hölle gemacht, bis hin zum tödlichen Unfall in Paris ließen sie in einem misogynen und skandalhungrigen Wahn nicht von ihr ab.
So wird auch klar, dass sich Prince Harry große Sorgen um die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit seiner Partnerin und Kinder gemacht hat. Dass ihn damit ausgerechnet sein Vater alleingelassen haben soll, zeigt, dass die königliche Familie rein gar nichts aus dem tragischen Schicksal von Lady Di gelernt hat. Familiärer Zusammenhalt sieht zumindest anders aus.
Weil die Yellow Press Teil dieser Geschichte ist, dürfen die Analysen des Oprah-Interviews nicht der Klatschpresse überlassen werden. Auch in Deutschland nicht. Die Schilderungen von Meghan Markle und Prince Harry dürfen nicht von Promi-Expert*innen im Frühstücksfernsehen oder im Nachmittagsprogramm analysiert werden. Sie passen nicht zu den Panorama-Seiten von Boulevardblättern. Sie sind genuin politisch.
Natürlich handelt es sich bei den beiden um hyperprivilegierte, millionenschwere Celebritys mit hoher Reichweite. Aber das macht ihre Erfahrungen nicht weniger relevant. Im Gegenteil: Über den Schmerz von Meghan und Harry zu sprechen bedeutet, über den Schmerz so vieler marginalisierten Gruppen in ganz anderen Konstellationen zu sprechen. Und deswegen hat diese Sendung so viele Menschen weltweit bewegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin