Rapperin Ebow über Identität: „Wir müssen nicht mehr stark sein“
Ebow rappt gegen Rassismus, kulturelle Aneignung und Sexismus. Gangster-Rap verteidigt sie trotzdem. Ein Gespräch über Zusammenhalt in den eigenen Reihen.
taz am wochenende: Ebow, Sie müssen im Deutsch-Rap oft als positives Beispiel herhalten, weil Sie – anders als die meisten erfolgreichen Rapper*innen – politischen Rap machen. Wie finden Sie das?
Ebow: Als sei das so etwas Besonderes. Ich finde das schwierig. Rapmusik wird dadurch in guten und schlechten Rap eingeteilt. Alles, was irgendwie politisch ist oder sozialkritisch, ist guter Rap. Und Gangster-Rap ist dann natürlich schlechter Rap.
Wer entscheidet darüber?
Mein Gefühl ist, dass das sehr oft aus einer weißen Position heraus entschieden wird. Leute, die sich bei Gangster-Rap unwohl fühlen oder mit meiner Musik vielleicht mehr anfangen können. Oder nicht mal anfangen können, aber wollen.
Wie meinen Sie das?
Es gibt einen Grund dafür, warum es Gangster-Rap gibt, und der hat viel mit Stigmatisierung zu tun. Um das zu verstehen, um also Gangster-Rap zu verstehen, müssten sich weiße Leute mit den Hintergründen der Rapper auseinandersetzen. Machen sie aber selten. Ich denke, ich bin im Vergleich dazu mit meiner Musik einfach vertretbarer.
Was ist problematisch daran?
Wenn es um guten HipHop geht, werden immer nur weiße Leute oder weiße Männer genannt wie Materia oder Cro. Also genau die Künstler, die auch die großen Musikpreise gewinnen. Weil die Kanaks ja alle nur dummen HipHop machen können. Ich betone immer wieder, dass ich schon verstehe, woher Gangster-Rap kommt, welche Geschichte dahintersteckt, ich aber eben andere Musik mache. Ich bin ja auch nicht aufgrund meines Backgrounds dazu verpflichtet eine gewisse Art von Rap zu produzieren. Meine Musik ist vielleicht explizit politischer. Mir ist aber wichtig, dass das nicht als Punkt benutzt wird, um Gangster-Rap schlechter dastehen zu lassen. Der hat genauso seine Wichtigkeit.
Welcher Platz wird Ihnen in der Rap-Szene von anderen zugewiesen?
Ich bin irgendwie die Vorzeigekanakin. Für viele Medien war ich am Anfang meiner Musikkarriere auch die, die Leute entertaint. Und gleichzeitig war ich die moderne Frau, weil ich damals noch Architektur studiert habe. Heute kann ich selbstbestimmter beeinflussen, welche Rolle ich einnehme.
Und was ist das für eine?
Keine eindeutige. Ich liefere einfach nicht mehr das Futter, um mich in eine Schublade stecken lassen zu können Wenn ich heute merke, dass mir Antworten in den Mund gelegt werden oder Fragen rassistisch sind, sage ich etwas dagegen. Ich bin den Rollenzuweisungen von Journalist*innen nicht mehr so ausgeliefert wie früher.
Ebow, mit bürgerlichem Namen Ebru Düzgün, 29, wuchs in München auf. Mit 13 Jahren fing sie an zu rappen. Mal unter dem Namen „Queen Size“, mal als „Caramel“. Fünf Jahre später legte sie sich den Künstlerinnennamen Ebow zu. Nach ihrem Abitur zog sie für ein Architekturstudium nach Wien. Heute lebt sie in Berlin und Wien.
Am 1. August erschien Ebows neue EP, „Ebow 400“. Es ist das erste musikalische Werk, das sie auf ihrem eigenen Label „ALVOZAY“ releaste. Themengebend für die EP: queere Liebe.
Sie sind in München aufgewachsen, Ihre Eltern sind kurdische Aleviten. Wie hat Sie das geprägt?
Ich habe sehr früh Angst in meiner Kindheit erlebt. Das Gefühl, dass die eigene Identität angegriffen wird. Mit vier, fünf Jahren habe ich beispielsweise das erste Mal von dem Massaker in Sivas gehört.
Eine Stadt in der Türkei, wo 1993 während eines alevitischen Festivals ein Brandanschlag von islamischen Fundamentalisten auf ein Hotel verübt wurde.
Die Opfer, alles Alevit*innen, sind dort verbrannt. Und die Polizei hat nicht geholfen, gar nicht. Das erste Bild von meiner Identität war, dass sie gefährdet ist. Später kamen Rassismuserfahrungen in der Schule dazu. Es ist einerseits traurig, als Kind schon mit so etwas konfrontiert zu werden, andererseits habe ich dadurch gelernt, dass es Ungerechtigkeit in der Welt gibt und man nicht zusehen darf.
Haben Sie sich deshalb für politischen Rap entschieden?
Ja, ich wollte schon immer politische Texte schreiben. Als ich aber meiner Mama meine ersten Texte gezeigt habe, war sie immer so: Mach das lieber nicht. Sie meinte, es gebe total viele Leute, die sehr rechts seien, auch türkische Faschisten. Ihre Angst war, dass das die falschen Leute mitbekommen und die mir etwas antun könnten.
Aber es hat Sie nicht davon abgehalten, weiterzumachen.
Erst mal schon. Bis ich mit 16 Jahren die Künstlerin M.I.A. entdeckt habe.
Eine britische Rapperin, deren Eltern der tamilischen Community in Sri Lanka angehören.
Die Geschichte der Tamilen hat mich an die Situation der Kurden in der Türkei erinnert. Und ich habe gecheckt, wie M.I.A. ihre politischen Inhalte in Musik verpackt hat. Das klang nicht wie ein Vortrag, sondern es hatte etwas von einem Protest, etwas Hymnenartiges. M.I.A. hat mich ermutigt, politische Musik zu machen und keine Angst davor zu haben.
In Ihren Texten transportieren Sie radikale Botschaften: Sie krönen sich zur neuen Sissi Wiens, drohen Nazis mit „Beef mit den Habibtis“ oder wünschen den anderen, in einer Flut Ihres Menstruationsbluts zu ertrinken. Woraus ziehen Sie Ihr Selbstbewusstsein?
Aus meiner Community. Ich bin so tief verwurzelt in ihr, dass ich keine Angst davor haben muss, mich könnte jemand haten und fertigmachen. Ich habe schon in meiner Kindheit zu spüren bekommen, welchen Wert so eine Community haben kann. Ich bin Einzelkind, trotzdem waren da immer viele Menschen um mich herum. Abgesehen von meiner Mutter und ihren Geschwistern, habe ich in München locker über Hundert Cousinen und Cousins. Man muss sich das so vorstellen: Du bist in einer Stadt, und du fürchtest dich vor nichts, weil du weißt, hier wohnt überall deine Familie. Das ist wie ein schützendes Netz. Aber meine wichtigste Waffe ist sicher meine Sprache. Ich kann artikulieren, wenn ich etwas als falsch empfinde.
Wie gehen Sie mit Wut um?
Wenn es um politische Dinge geht, kommuniziere ich darüber einfach mit Freund*innen. In so einer Wut steckt ja total viel Energie. Und die versuche ich produktiv umzusetzen. Die erste Reaktion, wenn mich etwas aufregt, ist natürlich immer: Fuck, wie kann das sein? Aber im nächsten Moment versuche ich, mich eher zu fragen: Was können wir dagegen machen? Das schlimmste, was passieren kann, ist, dass man in einen Ohnmachtszustand verfällt.
Ist Ihnen das schon einmal passiert?
Natürlich. Manchmal gibt es Momente, in denen ich so abgefuckt von der Welt bin, mich so machtlos fühle. Da denke ich dann: Du musst jetzt alles hinschmeißen und anfangen, für eine NGO zu arbeiten, oder nach Kurdistan reisen und dich dort engagieren. Aber ich versuche, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen.
Hilft dabei auch Musik?
Musik an sich ist ein wichtiges Instrument, mit Wut umzugehen. Wir brauchen sie, weil wir auch mal abschalten müssen. Musik gibt uns Kraft und empowert uns, sie gibt uns ein Gefühl der Selbstermächtigung. Ich habe das erst letztens gemerkt, als ich in einer Galerie in Berlin aufgetreten bin. Vor meinem Konzert war eine Frau aus dem Sudan da, die über die gewaltsamen Proteste dort gesprochen hat. Im Anschluss hätte ich ein Konzert geben sollen. Aber ich habe mir nur gedacht: Fuck, ich kann das jetzt nicht, ich bin so am Boden zerstört. Meine Rapmusik wäre jetzt völlig unpassend.
Was haben Sie dann gemacht?
Ich bin auf die Bühne gegangen und habe genau das zum Publikum gesagt. Dann habe ich aber gemerkt, wie sehr die Leute das in diesem Moment gebraucht haben – und bin doch aufgetreten. Alle haben getanzt und waren froh, einen Moment abschalten zu können. Communitys brauchen einfach so etwas wie Hymnen.
In Ihrem Song „4.20“ Ihres aktuellen Albums „K4L“, gesprochen Kanaks for Life, bezeichnen Sie Ihre Freund*innen als Familie. Welche Bedeutung hat Freundschaft für Sie?
Ich bin ein Mensch, der immer viele Leute um sich herum hat. Ich lege viel Wert auf Familie und Freundschaft, meine Community. Das heißt, ich passe sehr auf die Leute um mich herum auf. Ich glaube, das spiegelt sich einfach wider, und dadurch passen die Leute auch auf mich auf. Wie in einer Familie eben.
Was verbindet Sie und ihre Community?
Unser Struggle wahrscheinlich. In meinem engeren Freundeskreis sind es Rassismuserfahrungen, eine gemeinsame Erfahrungswelt. Auch wenn wir aus unterschiedlichen Ländern kommen oder wenn unsere Eltern unter anderen Umständen nach Deutschland gekommen sind. Irgendwie hat man eben doch die gleichen Erfahrungen gemacht. Und dass wir Kanaks sind. Allein das verbindet schon genug.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wen schließt der Begriff „Kanaks“ für Sie ein?
Die Herkunft des Wortes hat viele verschiedene Geschichten, vor allem eine rassistische. Früher wurde der Begriff von weißen Deutschen abwertend für bestimmte Migrant*innengruppen verwendet. Ich wollte den Begriff für mein Album aber neu definieren und ihn für alle BPocs (Black and People of Color) geltend machen. Für mich bedeutet Kanak sein, immer als solcher sichtbar zu sein, von der Gesellschaft als „anders“ markiert und angesehen zu werden. In meinem Musikvideo zu „K4L“ sind verschiedenste Leute dabei, die für mich Kanaks symbolisieren, also Teil meiner Community sind.
Worauf legen Sie Wert in Ihrem Umgang miteinander?
Kommunikation. Wir reden sehr viel darüber, wie man miteinander kommuniziert. Wenn ich an die Generation meiner Eltern denke, dann wurde da sehr viel verschwiegen oder nicht angesprochen, sehr viel wurde in sich hineingefressen. Vor allem emotionale Dinge.
Woran liegt das?
Sie hatten einfach nicht die richtigen Tools, also Werkzeuge, um miteinander zu kommunizieren. Die Generation unserer Eltern, Gastarbeiter*innen, Migrant*innen, hat die ganze Zeit geschuftet und war Deutschland noch so dankbar dafür, dass sie überhaupt Arbeit hatte. Die haben die ganze Zeit versucht, stark zu bleiben.
Was ist heute anders?
Meine Generation muss heute nicht mehr stark sein. Wir nehmen uns auch den Raum, schwach zu sein. Das können wir aber nur, weil unsere Eltern uns das ermöglicht haben. Wir haben heute die Möglichkeit, über diese Erfahrungen zu sprechen, über sie zu rappen, über sie Kunst zu machen und sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Das konnten unsere Eltern noch nicht. Weil es ihnen niemand zugetraut hat. Und sie hatten auch nicht die Aufmerksamkeit wie wir heute.
Ihr Song „K4L“ richtet sich explizit an Ihre Community. Wieso war Ihnen das wichtig?
Lange Zeit haben Menschen wie ich Dinge produziert, die für alle konsumierbar waren. Weil wir eingetrichtert bekommen haben: Wenn wir etwas produzieren, muss das für das Gemeinwohl sein. Wir haben uns nie getraut, zu sagen: Das ist nur für uns. Wir wurden so sozialisiert, der Mehrheitsgesellschaft gefallen zu müssen. Oder nach Akzeptanz zu suchen. Und dabei das Eigene abzulegen und abzustoßen. Wir sollten jetzt aber mehr unsere eigene Community stärken.
Was entgegnen Sie Menschen, die Ihnen vorwerfen, Sie würden sich damit von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen?
Ich sage, dass sich so auch gesamtgesellschaftlich etwas verändern kann. Wenn man die ganze Zeit als Mensch zweiter Klasse behandelt wird, agiert man ja auch aus dieser Position heraus. Sobald man die Community stärkt, schafft man aber ein Gleichgewicht. Wir sind dann auf Augenhöhe mit der Mehrheitsgesellschaft.
Wie machen Sie das?
Ich versuche, Leute zu supporten, mein Wissen mit denen zu teilen, die keinen Zugang dazu haben. Mit ihnen zu reden und sie aufzuklären. Und ich finde es immer wichtig, dass ich meine Community in meine Arbeit einbinde. Das fängt damit an, mit welchen Leuten ich zusammenarbeite, welche Leute in meinen Musikvideos sichtbar sind. Beim Video zu meinem Song „4.20“ hat zum Beispiel Elif Küçük Regie geführt. Sie ist eine Illustratorin und Videomacherin aus Berlin, die auch kurdischen Background hat, so wie ich. Erst durch so eine Sichtbarkeit kann ein Communitygefühl transportiert werden.
Und was löst dieses Gefühl bei der Community aus?
Es empowert. Ich merke das bei meinen Konzerten. Die Leute gehen so richtig ab, weil sie jeden Satz fühlen können. Ich lese zum Beispiel gerade das Buch von Fatma Aydemir, ihren Roman „Ellenbogen“. Die Sprache, in der das geschrieben ist, wirklich, du denkst, du liest gerade das Tagebuch einer 18-Jährigen aus Kreuzberg. Es ist so wichtig, dass diese Sprache mal festgehalten worden ist. Man liest das und checkt, woher es kommt. Nämlich von jemandem aus dieser Community. Allein das macht so viel aus.
Man hält Realitäten einer Community fest?
Ja. Manchmal ist es einfach wichtig, dass gewisse Sachen geschrieben, gewisse Sachen vertont wurden, dass gewisse Sätze mal rauskommen. Sätze, die andere nachempfinden können, die vorher nie gesagt werden konnten.
Ihre Musik wird auch von Menschen außerhalb Ihrer Community gefeiert. Stört Sie das?
Ich glaube, es kommt immer darauf an, wer das macht. Während meiner Tour habe ich auf meinen Konzerten Leute gesehen, die die ganze Zeit „K4L“ mitgesungen haben und überhaupt keine Kanaks sind. Da frage ich mich schon: Was löst das in euch aus, dass ihr das mitgrölt? Es gibt auch immer wieder Leute, die sagen, ich könne doch happy sein, wenn sich andere migrantische Ästhetiken aneignen.
Was entgegen Sie denen?
Auf solche Diskussionen lasse ich mich gar nicht mehr ein. Aber meistens erkläre ich denen: Hey, pass mal auf, dass ist unsere Kultur, das ist kein Trend, so wie wir rumlaufen. Das ist nichts, was du dir kaufen kannst, und kein Kostüm. Als wir damals mit 12 oder 13 so rumgelaufen sind und so geredet haben, habt ihr uns noch verarscht und habt uns als minderwertig angesehen. Und jetzt, nur weil es cool ist, versucht ihr, euch das anzueignen.
Lässt sich vermeiden, dass die eigene Musik vereinnahmt wird?
Ich weiß es nicht. Mir ist es wichtiger, dass meine Musik die Leute empowert, die ich als Teil meiner Community ansehe. Ob andere dann mitgrölen: I don’t care. Ich versuche einfach, ehrlich mit mir selbst zu bleiben. Und nicht anzufangen, es diesen Leuten recht zu machen. Für mich ist das Wichtigste, den Gedanken zu leben: Von uns, für uns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour