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Rafael Behr über Polizistenschweigen„Verräter werden sanktioniert“

Gegen das Schweigen vieler Polizisten bei Straftaten in den eigenen Reihen könnte ein unabhängiger Polizeibeauftragter helfen, sagt Wissenschaftler Behr.

Sollten laut Polizeiwissenschaftler Behr in der Ausbildung auch ein soziales Praktikum machen: Polizeianwärter in Hamburg Bild: dpa

taz: Herr Behr, wie kann es sein, dass auf einer Wache Flüchtlinge misshandelt werden und die KollegInnen stehen drumherum?

Rafael Behr: Das liegt an der Gruppenkultur bei der Polizei. Dort geht es in der Regel sehr autoritär zu. Es gilt die alte PolizistInnenregel, dass man im Dienst unbedingte Solidarität pflegt und die Dinge, die im Dienst passieren, untereinander bleiben. Geheimnisse werden gehütet.

Weil PolizistInnen voneinander abhängig sind?

Das ist meine Hauptthese. Die PolizistInnen machen das nicht aus Liebe, Zustimmung oder weil alle das Gleiche denken, sondern weil in solchen Dienstgruppen Abhängigkeiten entstehen. Jeder macht im Laufe seiner Dienstzeit etwas, wofür er die Diskretion der anderen braucht. Wer etwas verrät, wird deshalb stärker sanktioniert als derjenige, der etwas Übergriffiges getan hat.

Wie werden die „VerräterInnen“ sanktioniert?

privat
Rafael Behr

57, ist Dekan des Fachhochschulbereichs der Hamburger Akademie der Polizei. Seit 2008 war er dort Professor für Polizeiwissenschaften.

Durch Ausschluss – heute würden wir es Mobbing nennen. Die KollegInnen werden als Kameradenschwein behandelt und bekommen keinen Fuß mehr auf den Boden.

Ein starker Gruppendruck.

Polizeiskandal in Hannover

Mindestens zwei Flüchtlinge aus Afghanistan und Marokko misshandelt und gedemütigt haben soll ein Bundespolizist aus Hannover.

Neue Vorwürfe sind nun gegen den Beamten bekannt geworden.

Seine Dienstwaffe an den Kopf gehalten und ihn zu sexuellen Handlungen gezwungen haben, soll der Mann einen Kollegen.

Fünf Beamte sollen das miterlebt, aber verschwiegen haben.

Wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Eine illegale Waffe entdeckten Ermittler bei einer Hausdurchsuchung.

Ja. Ein weiteres Problem ist aber, dass es die normative Klarheit, die den PolizistInnen von der Rechtssprechung unterstellt wird, also dass sie sofort wissen, was gut und was böse, was Recht und was Unrecht ist, nicht gibt.

Was heißt das konkret?

Es ist beispielsweise nicht immer ganz klar, ob in einer Dienststelle das Anschreien von Klienten üblich ist oder ob dieses Verhalten schon ein Verstoß ist. Gerade für junge PolizistInnen, die neu auf eine Wache kommen, sind diese Situationen schwierig einzuschätzen. Viele Beamte schweigen zudem, weil sie nicht selbst als MittäterIn gelten wollen.

Wie könnte sich dieser Zustand verbessern?

Neutrale Polizeibeauftragte oder Kontrollstellen, an die sich PolizistInnen, aber auch die Bevölkerung, wenden können – außerhalb des Hierarchiesystems der Polizei. Gerade von jungen PolizistInnen kann man nicht verlangen, dass sie sich sofort entschließen, ihre Kollegen anzuzeigen. Sie gefährden damit auch ihre berufliche Existenz.

Glauben Sie, Hannover ist ein Einzelfall und der Beschuldigte ein Einzeltäter?

Nein. Es gibt immer mal wieder Berichte über charismatische, männliche Polizisten die ganze Gruppen manipulieren, aber die Polizei ist insgesamt ein Kameradschaftssystem. Die Beamten handeln ganz selten allein. Und der Beschuldigte in Hannover hat sich ja, falls das stimmt, dieser Taten sogar gebrüstet. Er brauchte also diesen Resonanzraum.

Zieht die Polizei solche Leute an?

Das wird immer wieder vermutet, es gibt dafür aber überhaupt keine empirischen Belege. Was wir wissen ist, dass sich viele junge Leute, die sich die Polizei als Arbeitgeber aussuchen, soziale Sicherheit und Geborgenheit wünschen. Aber dass die Polizei strukturell autoritäre oder gewaltaffine Persönlichkeiten anzieht, würde ich bis heute verneinen. Da sind Institutionen wie die Bundeswehr viel gefährdeter.

Halten Sie Persönlichkeitstests für PolizistInnen für überflüssig?

Ja, die Eignungstests sind schon relativ gut. Was schlecht läuft, ist der Übergang zur Praxis. Wir bereiten die jungen PolizistInnen nicht ausreichend auf ihr späteres Handlungsfeld und die Lebenswelt ihrer späteren Klientel vor. Sie erleben die Gesellschaft immer aus der Herrschaftsperspektive der Polizei und die Personen, denen sie begegnen als Menschen, die Probleme bereiten, aber nicht als Menschen, die auch Probleme haben. Eine alte Forderung wäre deshalb ein Sozialpraktikum vor der Polizeiausbildung – beispielsweise bei der Tafel oder in der Notaufnahme.

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14 Kommentare

 / 
  • ff

    2.0

     

    Nein - ohne sich über Gebühr ins Psychologisieren zu verlieren:

    Die zunehmende asoziale Verluderung der Politikkaste - von rechts bis weit in die linke Mitte - man nehme nur die Figuren IM von weledaknochigSchily über Schäuble-Mielke 2.0 kleinblindieFriederich zu kaltschnäuzig-menschenverachtendDeMaiziere -!!

    O-Ton “Sollen wir das Geschäft der Schlepper betreiben?“ - zu ertrinkenden Flüchtlingen.

    Diese Phalanx des Schreckens - hat längst ihre Spuren hinterlassen;

     

    Und soo - unterfüttert stimmt -

    ". .. .dass es die normative Klarheit, die den PolizistInnen von der Rechtssprechung unterstellt wird, also dass sie sofort wissen, was gut und was böse, was Recht und was Unrecht ist, nicht gibt. . ."

    Nur eben sehr anders - als hier insinuiert -> die mit den vielen Pickeln auf der Schulter gucken eben doch lieber weg -

    Den Rest sichern die PolGew - traditionell reaktionär ab.

  • 1.0

    Wenn frauman jahrhundertealtgeprägten Korpsgeist -

    "Gruppenkultur" nennen will -

    ich tät´s, weil verharmlosend - nicht.

     

    Egal - die hier konstatierte autoritäre Grundstruktur dürfte als Befund über jeden Zweifel erhaben sein.

    Immer wieder erschreckend auf Demos - gerade zunehmend heute - sich mit einer Ringvereins-Versammlung der Lodel&Bouncer konfrontiert zu sehen;

    martialisches Outfit - ist Standard.

     

    Richtig aber ist auch :

    " .. .Gerade von jungen PolizistInnen kann man nicht verlangen, dass sie sich sofort entschließen, ihre Kollegen anzuzeigen. Sie gefährden damit auch ihre berufliche Existenz. .. ."

     

    Ja - Genau. Sie treten nämlich früh/jung ein, sind aber bis zum 27. Lebensjahr Beamte auf Widerruf -

    Da kann frauman flott rausfliegen - und nicht nur wg Verletzungen etc .

    Eine soziale Absicherung- via Nachversicherung - ist dann eher dürftig;

    das bleibt nicht ohne verhaltenssteuernde Relevanz

     

    (Dazu ein -Berufsfall - zur Dimension:

    Auf der Fahrt zu nem Bruch gerät der Wagen ins Schleudern - der junge Kollege auf dem Beifahrersitz schwer&endgültig dienstunfähig verletzt.

    In der Akte findet sich eine von ihm am Unfalltag unterzeichnete Erklärung,

    daß der Kollege sich vorschriftsmäßig verhalten, er keine Ansprüche gegen ihn habe!!

    Schulterzucken beim Behördenvertreter im Dienstunfallverfahren. Noch Fragen?)

     

    ff 2.0

  • "Ein weiteres Problem ist aber, dass es die normative Klarheit, die den PolizistInnen von der Rechtssprechung unterstellt wird, also dass sie sofort wissen, was gut und was böse, was Recht und was Unrecht ist, nicht gibt."

     

    Das kann man so nicht stehen lassen. Natürlich weiß implizit JederIn, was Recht und was Unrecht ist. Die Frage ist, welche Mechanismen führen dazu, daß dieses innere Ge-Wissen in bestimmten Situationen verdrängt wird.

     

    Sehr aufschlußreich ist dazu die ZDF-Dokumentation "Das radikal Böse" aus dem Jahr 2013.

  • Durfte einen angehenden Polizisten kennenlernen, der sich vor Beginn seiner Ausbildung entschlossen hat, ein Jahr langt im sozialpädagogischen Bereich zu arbeiten. Für seine Arbeit eine ungemein weitsichtige und wertvolle Entscheidung. Für sein Verhältnis mit seinen Kollegen hoffe ich das auch. Warum erwähne ich das hier? Vielleicht, weil diese Art der Vorbereitung auf den Polizeidienst ungewöhnlich erscheint, wobei es doch so absolut richtig ist.

    • @Vollgut2000:

      Wie nachhaltig wird so ein soziales Jahr noch wirken, nach zehn, zwanzig Jahren?

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Vollgut2000:

      Sischer, sischer!

       

      Als ich vor vielen Jahren ein Projekt mit straffällig gewordenen Jugendlichen im niederschwelligen Bereich (geknackte Zigarettenautomaten, frisierte Mopeds etc.) installieren sollte, stellte sich ein Polizist bei mir vor, der sich als Erich Fromm Leser outete und mir sogleich das "grundlos familiäre Du" (Wilhelm Busch) anbot.

       

      Eine wichtige Erfahrung für mich, mein damaliges Schwarz-Weiß-Denken ("blöde Bullen" auf der einen, Weisheit gepachtete "Gutmenschen" auf der anderen Seite) zu hinterfragen.

       

      Seitdem ist es mir selbstverständlich, mich nicht nur mit Menschen auseinander zu setzen, die auf meiner "Linie" liegen, sondern auch mit jenen, deren Interessen und Gesinnungen andere sind als meine.

  • Möglicherweise hilft es nur wenn die Damen und Herren regelmässig zwischen verschiedenen Dienstposten ausgetauscht werden. Alle 2-5 Jahre ein anderer Vorgesetzer und womöglich auch neue Kollegen.

     

    Auch wäre die Rolle der Staatsanwaltschaft zu beleuchten. Wenn es darum geht aufmüpfige Bürger kaltzustellen ziehen Gerichte (wo sind die Band- bzw Videoaufzeichnungen der Verhandlungen statt der oft miserablen Protokolle), Staatsanwälte und die Polizei in dieselbe Richtung.

     

    Für Gegenbeweise um diese These zu wiederlegen bin ich offen.

  • wer "polizistenschweigen" in den vordergrund des hier vorliegenden problems schieben will, der zäumt das pferd ganz offensichtlich von hinten auf!...dass die polizei nie und nimmer ein rassistisches grundproblem haben kann ist die ganz große politik (alle bisherigen innenminister!), der ("unabhängigen") justiz und standartmäßige gewerkschaftsmeinung bei gdp und dpolg...der nsu-komplex, oury jalloh und viele polizeitote mehr, racial profiling und unzählige polizeiliche übergriffe (von stuttgart 21 bis rosenheim u.v.a.m.) bezeugen generalisiert und eindeutig, dass gewalttätige polizisten nur in ganz seltenen einzelfällen wegen ihrer gewalttätigkeit juristisch sanktioniert werden (bei todesfällen sowieso generell nicht!)...wer sich also tatsächlich zivilcourgierte polizisten wünscht, die gegen ihre unmittelbaren kollegen aussagen sollen, sollte sich zuerst mal dafür einsetzen, dass staatsanwälte, richter und politiker ein praktikum in der aufarbeitung der diesbezüglichen "rechtspflege" inklusive deren statistischer auswertung erhalten...dann könnten auch polizisten wieder (bzw. überhaupt!) langsam daran glauben, dass gewalttätige übergriffe von kollegen auch tatsächlich effektiv rechtsstaatlich verfolgt würden...denn nichts ist schlimmer, als wenn die täter immer wieder blind freigesprochen werden...warum sollte dann irgendein polizist das (sichere) risiko des korpsmobbings eingehen wollen???...

  • Sadisten (im Sinne von Erich Fromm, Menschen, die gerne sich und andere Menschen kontrollieren [nicht zwingend anderen Menschen Schmerzen zufügen]) und Menschen mit soziopathischer Gehirnstruktur werden, bewusst oder unbewusst, ganz klar von hierarchistischen Systemen und deren Machtpositionen angezogen. Das ist psychologisch und neurologisch absolut keine Frage.

     

    Soweit ich mich gebildet habe.

  • "Ja. Ein weiteres Problem ist aber, dass es die normative Klarheit, die den PolizistInnen von der Rechtssprechung unterstellt wird, also dass sie sofort wissen, was gut und was böse, was Recht und was Unrecht ist, nicht gibt."

     

    Die meisten Polizisten wissen, dass sie (fast) alles dürfen und verhalten sich auch so. Heute ist das Gehalt und das Ansehen von Polizisten schon im Keller, was die Agressionen noch anfeuert, denn die meisten Menschen wollen mit Polizisten nichts zu tun haben. Diese Abneigung hat Gründe, aber die Polizei ist auch nicht auf einem guten Wege.

     

    Wer Gesetze umsetzen soll, wer einen klaren Blick und eine freundliche Art hat, der geht doch heute nicht zur Polizei, sondern es werden regelrecht dämmliche Menschen mit einigen Schwierigkeiten angezogen, die dann am Ende im Dienst solidarisch sind, egal was passiert. So ist es doch. Es gibt Polizisten die kein echtes Rechtsstaatsverständnis haben und selber nicht wissen, was sie dürfen und was nicht.

     

    Auf mich macht die Polizei den Eindruck einer debilen Gurkentruppe, die im Zweifel eisern zusammen hält. Solche Strukturmerkmale führen immer zu Problemen und meist auch zu einer Form der Kriminalität.

  • Ein Sozialpraktikum bei der Tafel?

     

    Das ist aber grenzenlos naiv. Oft genug sind diese derartig von (Sozial-)Rassismus geprägt, dass hier gerade die Perpektive der "Anderen" überhaupt nicht gelernt oder erlebt werden kann.

    Vielleicht eher bei einer Sozialberatung oder so etwas.

    • 2G
      21405 (Profil gelöscht)
      @Eric Manneschmidt:

      Rassismus bei den Tafeln?

      Könnten Sie das bitte

      einmal belegen?

      • @21405 (Profil gelöscht):

        Was wollen Sie denn für 'Belege'?

        Sie müssen sich konkret einfach ein paar Tafeln anschauen.

        Das muss nicht überall so sein, aber Sie werden mit Sicherheit (wie auch ich) welche finden, wo die Mitarbeiter das nur machen, damit sie auf andere Leute herabschauen können. Die sie für Abschaum halten, was sich durch bestimmte Verteilmodi auch immer bestätigen lässt ("gierige Leute, die sich noch um die letzte Banane prügeln, die man ihnen hinwirft").

        Je nach den Rahmenbedingungen bilden und verfestigen sich bei diesen Ehrenamtlichen rassistische Muster (auf bestimmte ethnische Gruppen bezogen) oder/und eine allgemeine Verachtung gegenüber dem Klientel, das zur Tafel kommt.

        Sowas fällt ja nicht vom Himmel, sondern ist auch ein Selbstschutz, damit man sich nicht darüber ärgern muss, dass es überhaupt noch Armut gibt bzw. dass überhaupt (tendenziell zunehmend) Menschen überhaupt auf Tafeln angewiesen sind. Und wenn man sich darüber ärgert, gerät man noch in Konflikt mit der (möglicherweise manipulierten) Mehrheitsmeinung, was sich nicht so gut anfühlt. Dann doch lieber ein paar (schwächere) Sündenböcke haben...

      • @21405 (Profil gelöscht):

        Eric meint nicht, dass die Leute da per se rassistisch sind, aber ein Praktikum mit lauter armen Menschen ändern nicht einen, der sowieso schon zu allerlei Vorurteilen neigt, wie das oft bei Polizisten im Ansatz vorhanden ist. Wer Essen oder Waren in einer Tafel an Arme abgibt, wird nicht automatisch zu einem besseren Menschen.

         

        Das Problem ist doch, dass die Polizisten zusammenhalten, selbst wenn es massiv kriminell und illegal ist. Dazu muss man sich auch mal ansehen, was beim G8 in Genau alles passierte und wie die Dynamik dort bei der Polizei war. Das ist eine Problematik, die sich fast in allen Polizei-Einheiten weltweit findet. Und überall gibt es dieses feige Schweigen, diesen kranken Zusammenhalt.

         

        Und ich würde Eric recht geben: So ein Praktikum kann sogar das Gegenteil erreichen.

         

        Wenn einer arm vor einem steht, versteht man den deswegen nicht besser. Jeder Mensch hat eine komplexe Geschichte und dazu fehlt doch jede Zeit in so einem Sozialpraktikum. Für das Aufbauen von Verständnis fehlt doch die Zeit und auch der Zusammenhang. Außerdem müssen Polizisten bereits sozial kompetent sein - das ist die Kernanforderung in diesem Beruf.

        (Was oft vergessen wird)