Räumungsklage gegen 85-Jährigen: Zum Glück ist der Mann(e) nicht allein
Der 85-jährige Manne hat nach langem kämpfen gegen die Räumungsklage gewonnen. Das zeigt: Präzise Rechtsprechung und Hartnäckigkeit können etwas ausrichten.
E s gibt sie doch noch: Die Gerichtsurteile, die Mieter:innen hoffen lassen, dass für sie am Ende alles gut wird. Dass sie doch noch Rechte gegenüber ihren Vermieter:innen haben, die dann nicht nur theoretisch gelten, sondern auch praktisch vor Gericht durchgesetzt werden. Diese Woche wurde vom Berliner Landgericht genau so ein Urteil für einen Mieter gesprochen, der in erster Instanz gegen seinen Vermieter verloren hatte.
Der 85-Jährige Manfred Moslehner, der von allen nur Manne genannt wird, darf in seinem Geburtshaus, einem kleinen Haus in Berlin-Tegel des Bezirks Reinickendorf bleiben – zumindest vorerst. Diesem Urteil war eine jahrelange juristische Odyssee vorausgegangen, die begann als das Land Berlin die Reihenhäuser in der Reinickendorfer Siedlung „Am Steinberg“ an einen privaten Investor verkaufte.
Der wollte aus der Siedlung die luxussanierten „Stonehill Gardens“ machen. Räumungsklage, Ordnungsgeld, Amtsgericht, Landgericht, Bundesgerichtshof – all das musste Manne Moslehner trotz seines Alters seit gut einem Jahrzehnt verkraften. Immer mit dabei: ein großer und aktiver Unterstützerkreis, der sich in der „Initiative am Steinberg“ organisiert. Zusammen zogen sie 2017 bis vor den Bundesgerichtshof und bekamen teilweise recht – ein Lichtblick.
Denn zur Wahrheit gehört auch: Vor Gericht gewinnt nicht immer, wer die besseren Argumente hat. Es braucht einiges an Geld und Zeit, um jahrzehntelange Gerichtsverfahren zu führen. Auch Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit helfen, aber beides muss man sich leisten können. Große Immobilienfirmen mit gut besetzten Rechtsabteilungen haben also in Mietrechtsprozessen gute Chancen gegen Einzelpersonen, im schlechtesten Fall ohne Rechtsschutzversicherung und teure Anwält:innen, zu gewinnen.
Erfolg für die Mieter:innen
Doch Manne Moslehner, sein Anwalt Henrik Solf und die Nachbarschaftsinitiative im Rücken haben einen langen Atem bewiesen. Als das Amtsgericht Wedding im April eine Räumungsklage des Vermieters für rechtens erklärte, gingen Moslehner und Solf in Berufung – und gewannen. Und tatsächlich wurde diese Woche vor dem Berliner Landgericht die Asymmetrie zwischen mächtigen Investoren mit vielen Ressourcen und kleinen Leuten mit wenig Ressourcen einmal auf den Kopf gestellt.
Über eine Stunde lang musste sich die Vermieterseite die Spitzen der Richterin Astrid Siegmund anhören, die während der Urteilsbegründung quasi dauerhaft das Wort an sie richtete. Wie Schulkinder, denen gerade tüchtig die Ohren langgezogen werden, sahen sie dabei aus.
Die Richterin sprach von Rücksichtnahmepflichten des Vermieters, mahnte an, den hochbetagten Manne Moslehner human zu behandeln und ihn für die Modernisierung seines Häuschens nicht einfach herauszuwerfen. Pflichten für Vermieter:innen? Den Mieter:innen im Raum lag dabei ein müdes Lächeln auf den Lippen.
Zwischendurch – wohl eine Verzweiflungstat – holte die Rechtsanwältin des Vermieters zu einer halbherzigen Rechtfertigung aus. Doch der Raum 8130 des Berliner Landgerichts war bis auf den letzten Platz mit Mannes Unterstützer:innen gefüllt und so fanden die Ausführungen der Gegenseite wenig Gehör. Die Mannes von Berlin waren in der Überzahl. Zurück bleibt die Hoffnung: Wenn wir uns organisieren und hartnäckig bleiben, können wir etwas ausrichten.
Sorgfältige Rechtsprechung
Dass Moslehner nun Recht bekommen hat, ist neben seiner Hartnäckigkeit vor allem der sorgfältigen Arbeit von Richterin Astrid Siegmund geschuldet. Sie begründet ihr Urteil ausführlich und wortreich – dafür ist sie bekannt. Das Gericht habe sich die Entscheidung nicht „leicht gemacht“, betont Siegmund. Die Basis ihrer Entscheidung seien Fakten und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof gewesen.
Zwar ist in diesem Prozess keine Revision zugelassen, doch die Räumungsklage ist nur eine von vielen Fronten, auf denen Manne Moslehner und sein Vermieter kämpfen. Moslehner, der ohnehin ausgelaugt wirkt, hat infolge dieser Belastung eine Depression entwickelt. Das belegt ein sozial-psychiatrisches Gutachten.
Und als wären allein drei Prozesse in diesem Jahr nicht genug für Moslehner, kündigte die Vermieterseite an, „weiterzumachen“. Genug Geld, Zeit und Ausdauer, um Manne Moslehner Lebensabend weiter zu erschweren, scheint die Investorengruppe zu haben. Der Kampf gegen die großstädtischen Immobilienhaie ist also noch nicht vorbei. Nun, zum Glück stehen eine präzise Rechtsprechung, Moslehners kundiger Anwalt Henrik Solf und seine ausdauernden Nachbar:innen weiterhin an Mannes Seite.
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