Räumung in Berlin-Friedrichshain: Polizei steigt Anwohnern aufs Dach
Die Polizei sichert Dächer rund um das räumungsbedrohte Projekt Liebig 34 mit Stacheldraht. Laut Anwohnern wollen die Beamten über Nacht bleiben.

Polizisten mit Stacheldraht auf einem der Häuser an der Liebigstraße am Donnerstagmorgen Foto: privat
BERLIN taz | Die Berliner Polizei ist am frühen Donnerstagmorgen in mehrere Häuser im Stadtteil Friedrichshain eingedrungen. Betroffen sind nahezu alle Gebäude rund um das anarcha-queer-feministische Hausprojekt Liebig 34, das am Freitag geräumt werden soll. Auf den Dächern rollten die Beamten Stacheldraht aus. Unten auf der Straße wurden Polizeigitter aufgestellt. Dazwischen brachten Eltern ihre Kinder in benachbarte Schulen und Kitas, die trotz Sperrzone am Donnerstag noch geöffnet sind.
Die Beamten seien gegen 6.30 Uhr gekommen und gleich aufs Dach gestiegen, berichten Bewohner*innen der Liebigstraße 15. Dieses Haus war, wie die schräg gegenüberliegende Nummer 34 und viele weitere Gebäude in der Gegend, 1990 besetzt worden. Im Jahr 2002 wurde das Haus von der Genossenschaft Bremer Höhe übernommen und von den BewohnerInnen saniert.
Die Polizei habe behauptet, vorab bei der Genossenschaft angefragt zu haben, ob sie in das Gebäude dürfe. Dies sei aber definitiv eine Lüge, sagte ein Bewohner der Hauses, der zugleich Mitarbeiter der Genossenschaft ist.
Die Polizisten hätte angekündigt, bis zum nächsten Tag auf dem Dach und im Dachboden zu bleiben, berichten die BewohnerInnen. Sie wollen nun rechtliche Schritte gegen die „Dauerbesetzung“ ihres Hauses prüfen.
„Es stellt sich die Frage, ob diese Sicherungsmaßnahmen bereits am Tag vor der Räumung verhältnismäßig seien“
Die Aktion sei Teil der angekündigten umfangreichen Sicherungsmaßnahmen vor der Räumung, teilte eine Sprecherin der Polizei mit. Dabei würden Schonsteine und Dächer kontrolliert, da die meisten Dächer in dem Bereich miteinander verbunden sind. Ob die Beamten über Nacht in den Häusern bleiben würden, wollte sie nicht bestätigen. Es sei aber sicher, dass sie vor der Räumung nicht wieder aus dem Bereich abziehen werde.
Das räumungsbedrohte Hausprojekt Liebig 34 befindet sich in einem Eckhaus an der Kreuzung zur Rigaer Straße. Laut Canan Bayram, grüne Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg, haben sich Beamte auf allen Eckhäusern an der Kreuzung, dem sogenannten „Dorfplatz“, postiert. Dort sei „Natodraht der übelsten Sorte“ ausgerollt worden. So solle verhindert werden, dass Leute über die Dächer bis zur Kreuzung gelangen und die Polizei beim eigentlichen Einsatz bewerfen. Diese Sorge der Polizei erschien ihr aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre „nicht abwegig“.
Dennoch stelle sich die Frage, ob diese Sicherungsmaßnahmen schon am Tag vor der Räumung verhältnismäßig seien, sagte Bayram. Beobachter argwöhnen, dass die Polizei das Eintreffen des Gerichtsvollziehers erst gar nicht abwarten könnte, sondern eine Eskalation im Vorfeld für die Räumung nutzen könne.
Ein Symbol für die linke Szene bundesweit
Das Hausprojekt Liebig 34 ist eines der linksradikalen Symbolprojekte der Stadt. Das bunt bemalte Haus, das ausschließlich von Personen bewohnt wird, die weder von Geburt an als Mann definiert wurden, noch sich selbst so definieren, hatte im Juni seinen 30. Geburtstag gefeiert. Die Bewohner*innen hatten über einen Verein einen zehnjährigen Gewerbemietvertrag, der vor zwei Jahren endete. Ein Gericht bestätigte letztlich die Übergabe des Hauses an den Eigentümer. Der Gerichtsvollzieher hat sich für Freitagmorgen angekündigt.
Einen Antrag des Anwalts der Bewohner*innen, die Vollstreckung des Räumungsurteils vorerst auszusetzen, hatte das Kammergericht bereits am Dienstag zurückgewiesen, wie aktuell mitgeteilt wurde. Zur Begründung hieß es vom Gericht, bei der Abwägung des Falls hätten die Interessen des Eigentümers laut Gesetz Vorrang. Besondere Umstände, nach denen die Interessen der Mieter ausnahmsweise überwiegen würden, „seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich“.
Der Anwalt will am Freitag auch gegenüber dem Gerichtsvollzieher argumentieren, dass der Verein längst nicht mehr im Besitz des Hauses ist – und es damit gar nicht herausgeben könne.
Leser*innenkommentare
Uranus
Ach, halb so wild! Sind doch nur Linke/Anarchas. Mit denen kann mensch das ja machen. Das bisschen Verstoß gegen den sogenannten Rechtsstaat. Toller Nebeneffekt ist, dass aufgrund des Widerstands gegen die Räumung, der Staat die Probleme mit Nazis, einschließlich denen in den eigenen Reihen, wieder ein bisschen besser überdecken kann.
Rot-rot-grün, Glückwunsch zu dieser sozialen Glanztat! ;-/ Das sollte bezüglich Wahlen in Erinnerung bleiben. Ob diese wesentliches änderten ...
Clara Kreuzer
"Die Polizisten hätte angekündigt, bis zum nächsten Tag auf dem Dach und im Dachboden zu bleiben, berichten die BewohnerInnen. Sie wollen nun rechtliche Schritte gegen die „Dauerbesetzung“ ihres Hauses prüfen." Das ist sehr sehr lustig!
nzuli sana
Das Wort "sichert Dächer" ist aus dem Text der Polizei selbst. Die melden immer "gesichert".
Von den Dächern her wird die Räumung versucht.
Mc Coy
Schön den dpa Text abgeschrieben Herr Asmuth. Da hätt ich von der taz mehr erwartet zu diesem Thema.
DiMa
"Dennoch stelle sich die Frage, ob diese Sicherungsmaßnahmen schon am Tag vor der Räumung verhältnismäßig seien, sagte Bayram. "
Der Gerichtsvollzieher ist für Freitag Morgen um 7 Uhr angekündigt. Ab welcher Uhrzeit hält Frau Bayram die Sicherung der Dächer für angemessen? Sollen die Nachts um 3 Uhr im Dunkeln damit anfangen?
rero
@DiMa Das ist halt Frau Bayram.
Sie geht gern rum und erzählt den Leuten, im Himmel wär Jahrmarkt.
Das war schon damals in der Gerhart-Hauptmann-Schule so.
Gerold Heinemaaks
Nachdem die Liebig 34-Besetzer massiv Menschen bedrohen, die einfach ihre Arbeit machen, ist so ziemlich alles verhältnismäßig.
Thorben Dieck
@Gerold Heinemaaks Verhältnismäßig kann nur das sein, was rechtlich erlaubt ist. Bewegene sich die Sicherheitsorgane ausserhalb ihres rechtlichen Rahmens, muss und darf über Verhältnismäßigkeit nicht mehr diskutiert werden. Rechtswidrige Maßnahmen sind sofort einzustellen und ebtsprechende straf- sowie zivilrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Ich muss Ihnen ja nicht erläutern, wie die Verhältnisse sind und waren, wenn Sicherheitsorgane ohne Rechtsstaatlichkeit agieren und agiert haben.
96177 (Profil gelöscht)
Gast
@Gerold Heinemaaks vielleicht mal bisserl Immobilieninvestor Gijora Padovicz recherchieren, dann wird das immer verhältnismäßiger...."Eng verknüpft mit dem Berliner Senat, war er einer der großen Profiteure der öffentlichen Sanierungsförderungen im Rahmen des Stadtumbaus der 2000er Jahre. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie die WBF verkauften ihm für Spottpreise ihre Bestände. ...peter-nowak-journa...g/padovicz-gruppe/
Padovicz unterstützt die Berliner AfD
www.antifa-berlin....t-die-berliner-afd
undsoweiter. Das ist die Gesellschaft, die wir uns wünschen
Pia Mansfeld
@96177 (Profil gelöscht) Sehr interessanter und erhellender Bericht gestern Aben in der ARD zu den Problemen der Nachbarn der Hausbesetzer und des "Projekts" und des Schutzes durch Grüne und Linke Lokalpolitiker und Senatoren, trotz Ordnungswidrigkeitebn und anderer Delikte: programm.ard.de/TV...ng=281063568719523
DiMa
@96177 (Profil gelöscht) Das alles ist in diesem Zusammenhang doch absolut unerheblich. Die Gerichte entscheiden glücklicherweise nicht unter Berücksichtigung einer - gewünschten oder unerwünschten - politischen Ausrichtung. Insoweit ist die jetzt anstehende Räumung nicht zu beanstanden.
Wenn man den ein Debakel ausmachen möchte und hierfür einen Schuldigen suchen wollen würde, dann sind es die Politiker oder die Bewohnerinnen, die es vor 12 Jahren versäumt haben, das Haus zu erwerben.