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Räumung des Hambacher ForstesLügen für den Konzern

Anett Selle
Kommentar von Anett Selle

Innenminister Reul und Bauministerin Scharrenbach haben im Fall Hambacher Forst gelogen – zum Vorteil von RWE. Sie sollten gehen.

Umkämpfter Ort: Hambacher Forst Foto: Imago Images/ CoverSpot

V ergangenes Jahr hat der Energiekonzern RWE die Räumung des Hambacher Forstes beantragt, doch die zuständigen Kommunen und die Polizei lehnten ab. Der Aachener Polizeipräsident warnte vor Lebensgefahr für alle Beteiligten. Aber die NRW-Landesregierung zwang den Einsatz per Weisung herbei.

Wochenlang wurden Tausende Polizist*innen aus dem Bundesgebiet dort verheizt. Ein Journalist stürzte ab und verstarb im Wald – NRW-Innenminister Reul ließ weiterräumen. Der Einsatz hat schätzungsweise eine mittlere zweistellige Millionensumme gekostet. Trotzdem konnte RWE den Wald nicht roden: Dafür sorgte ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster kurz nach Einsatz­ende.

Brandschutz war der Grund, den Innenminister Herbert Reul (CDU) und Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) für den Einsatz anführten. „Die Räumung erfolgte nicht aufgrund eines Wunsches der RWE Power AG.“ Das hat Reul stets wiederholt. Vielmehr seien die Klimaschützer*innen im Hambacher Forst gewaltbereit, der Wald sei „Rückzugs- und Aufenthaltsraum für Straftäter“, voll mit „lebensgefährlichen Baumhäusern“.

Jetzt, ein knappes Jahr später, haben Innen- und Bauministerium auf öffentlichen Druck hin zwei Gutachten ins Netz gestellt. Die zeigen: Nachdem RWE die Räumung beantragt hatte, begann die Landesregierung einen Grund zu suchen, um Kommunen und Polizei zur Räumung zu zwingen. Und Reul geht jetzt zu einer „Ganz normal“-Rhetorik über.

Ganz normal sei, dass die Kanzlei das erste Gutachten fertig hatte, bevor sie überhaupt den Auftrag dazu erhielt. Hier sei Zeit ja knapp gewesen – „wegen des Beginns der Rodungsperiode“. Auch eine Sprecherin des Innenministeriums räumt gegenüber der taz ein, RWEs Antrag habe für den Großeinsatz „eine untergeordnete Rolle“ gespielt.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwelche Absprachen […] gegeben hat“, sagte Reul in einer Fragestunde vor zwei Monaten. Wenige Minuten später musste er sich berichtigen. Absprachen, nein, aber „Gespräche“, die habe es gegeben. Dem WDR sagte Reul vergangene Woche wieder, er habe sich mit RWE nicht besprochen.

Reul und Scharrenbach haben also gelogen, zum Vorteil von RWE. Dass die Opposition jetzt umfassende Aufklärung ankündigt, ist zu begrüßen, denn viele Fragen sind offen. Beispielsweise, ob Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) involviert war. Fest steht schon jetzt: Wenn Reul und Scharrenbach ihr Amt respektieren, treten sie zurück. Andernfalls gehören sie entlassen. Das Land heißt NRW, nicht NRWE. Volksvertreter*innen, die ihre Wähler*innen belügen, sind nicht tragbar.

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Anett Selle
Freie Reporterin, unterwegs für die taz seit 2018. Angefangen bei einem Radio in Alaska, weitergemacht bei Zeitungen in Berlin und Ruhrregion, ausgebildet an der Deutschen Journalist*innenschule in München, dann Redakteurin bei der Welt in Berlin. Manche Recherche läuft mit Livestream.
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14 Kommentare

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  • Zitat: „Absprachen, nein, aber ‚Gespräche‘, die habe es gegeben.“

    Alles Lüge oder was?

    Der Unterschied zwischen einem Gespräch und einer Absprache besteht darin, dass Gespräche auch an einander vorbei geführt werden können. Im Rahmen einer Absprache wird man sich einig. Das ist ein Unterschied ums Ganze, scheint mir.

    Wäre ich Journalist*in, wäre ich sehr vorsichtig mit Behauptungen wie: „Reul und Scharrenbach haben also gelogen, zum Vorteil von RWE“. Ich würde wohl erst einmal nach Beweisen für eine Absprache suchen, bevor ich in die Welt posaune, was sich mein Bauch so "denkt". Und zwar auch dann, wenn ich erwarten darf, dass meine Kunden genau so ticken wie ich. Die Kunden nämlich werden nicht bezahlt fürs Eine-Meinung-Haben. Sie müssen also auch die Konsequenzen nicht verantworten.

    Keine Frage: Ich selber kann mir auch nicht vorstellen, dass eine Landesregierung es sich mit dem größten Großkonzern im Revier verderben möchte. Schon deswegen nicht, weil viele Arbeitsplätze den Landespolitikern ihr täglich Brot sichern. (Wer selber genug Geld verdient, ist hierzulande heutzutage nicht angewiesen darauf, dass Landespolitiker seine Probleme lösen. Er kann Politiker also gut „durchregieren“ lassen.)

    Allerdings bin ich ein großer Befürworter der Unschuldsvermutung. Schon weil ich genau weiß, dass sich ertappte Sünder schwer tun, echte Freunde zu finden. Wer nicht beweisen kann, was er behauptet, gilt leicht als Propagandist (oder als irre). Vor allem, wenn die Gegenseite besser bezahlt.

    In einer Demokratie ist die Glaubwürdigkeit der Vierten Gewalt gar nicht hoch genug zu bewerten. Deswegen möchte ich nicht, dass sich die Medien angreifbar machen. Sie müssen glaubwürdig bleiben, sonst funktioniert der ganze Laden nicht. Also besser nicht in die Welt posaunen, was man (noch) nicht beweisen kann – und so argumentieren, als stünde man vor Gericht. Auch wenn das schwer ist im Falle eines Unternehmens wie RWE, das Heerscharen von (schmerzfreien) Juristen bezahlt.

    • @mowgli:

      Volle Zustimmung!

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Absprachen per persönlicher Verbindung, öffentliches Leugnen derselben und dann Gedächtnisverlust - es wiederholt sich in deprimierender Endlosschleife. Andrea Nahles bemerkte zutreffend "Macht ist ein scheues Reh" - sie entweicht permanent der Kontrolle.

    "Wenn Reul und Scharrenbach ihr Amt respektieren, treten sie zurück."



    Ja - wenn! Ob wir so viel plötzliche Aufrichtigkeit verkraften würden?

  • Wie bei Stuttgart21 : Für Profitgier läßg Reul eine Armee auf friedliche Demonstranten einprügeln. Die Verantwortlichen gehören hinter Gittern. Wenn schon Autofahrer wg Straßenrennen wg Mord einsitzen müssen, was ist denn mit dem Mord an dem Journalisten. Immerhin wurde der Tod billigend in Kauf genommen. Abgesehen von den tausendfachen Mordversuchen, schwerem Landfriedensbruch und Anstiftung v Polizeibeamten zu schweren Szraftaten.



    Denn eins ist ja klar: Der Einsatz war wohl rechtswidrig, wie bei Stuttgart21.

  • Tja, liebe taz, wir leben halt in einem kapitalistischen Staat. Und wenn die alten Parteien des Kapitals (CDU, FDP, SPD und B90/Grüne) nicht spuren sollten, dann wird halt eine neue, blaue Partei aufgebaut und hochgeschrieben. Und die Linke wird auch immer wieder darauf getrimmt, kapitalfreundlich zu agieren, siehe die Überwachungsgesetze in Brandenburg. Ob Reul zurücktritt oder nicht, das ist eher eine Frage der Kosmetik.

    • @Kontext:

      Moment mal.

      Liegt es an meiner schmutzigen Brille, oder lese ich bei Ihnen zwischen den Zeilen "die AfD als einzige antikapitalistische Alternative"?

      Geht's noch?

      • @tomás zerolo:

        Ja, Ihre Brille ist wohl ziemlich schmutzig. Lesen Sie nochmal: "wenn die alten Parteien des Kapitals nicht spuren sollten, dann wird halt eine neue, blaue Partei aufgebaut und hochgeschrieben." => Hinter der AfD stehen einige sehr reiche Geldgeber und sie hat eine Nähe zum "Verband der Familienunternehmen", siehe "Die Stützen der AfD" www.german-foreign.../news/detail/8030/.

        • @Kontext:

          Ah, verstanden. Viel klarer jetzt, danke.

        • @Kontext:

          Wollen Sie damit sagen, dass die AfD ein Produkt der Unternehmerschaft in Deutschland ist? Zur Erinnerung: die AfD ist als euroskeptische Partei auf den Plan getreten und wurde anfangs als "Professorenpartei" belächelt. Wahlerfolge waren anfangs marginal - obwohl nach Ihrer Theorie die Unternehmerschaft alle Gründe gehabt hätte, dieser Partei mit wehenden Fahnen hinterherzulaufen. Die Flüchtlingskrise hat ein neues Thema und die populistische "Trendwende" geschafft. Die AfD akquiriert ihre Anhänger inzwischen quer durch's Gemüsebeet und somit dürften auch etliche Unternehmer darunter sein. Aber: der BVMW als bundesweite Interessenvertretung der mittelständischen Wirtschaft, der 99% der in Dt. ansässigen Unternehmen vertritt, ist auch Unterstützer der Entrepreneurs for Future. Und die haben mit den Klimaleugnern von der AfD gewiss nichts am Hut.

          • @Edward:

            Fakt ist doch, wirtschaftspolitisch sind CDU/CSU/SPD/FDP/GRÜNE und jetzt auch die AfD eine Einheitspartei. Deshabl wundert mich schon, dass nunmehr mindestens 40 Jahre lange eine Mehrheit immer o.g. Parteien wählen, die regelmäßig die Interessen des Kapitals vertreten haben und vertreten. Wie bekommt man immer wieder eine Mehrheit in Deutschland dazu bei einer demokratischen Wahl , Parteien zu wählen, die gegen ihre Interessen Politik machen, was nur den Reichen nützt?

          • @Edward:

            Ich habe nicht vom BVMW geschrieben, sondern auf die Verbindung zu den "Familienunternehmern". Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, wie Sie vermutlich selber wissen. Die Stiftung Familienunternehmen z.B. ist die politische Interessenvertretung der größten deutschen Familienunternehmen, nicht des Mittelstandes. Mehr siehe lobbypedia.de/wiki...amilienunternehmen oder lobbypedia.de/wiki...nunternehmer_-_ASU

            • @Kontext:

              Können Mittelständler keine Familienunternehmen sein?? M.W. ist ein wichtiges Kriterium für die Zugehörigkeit zum Mittelstand, dass Eigentum (>50%) und Leitung in einer Hand (Person, Familie) liegen.

          • @Edward:

            Der "Unternehmerschaft" (die ja auch keine homogene Gruppe ist) traue ich zuweilen so etwas durchaus zu: "hedging their bets" heisst das, glaube ich, im Jargon.

            Aus der Sicht der damaligen Unternehmerschaft waren sowohl die italienischen Faschisten als auch die deutschen Nationalsozialisten willkommene "Instrumente", um die lästigen Arbeiterbewegungen loszuwerden...

  • "Business as usual"

    ... oder ist irgend jemand überrascht, dass er von Politikern, insb. der CDU, angelogen wurde? :-(