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Wout van Aert hilft, wo er kann. Als Star der Deutschland Tour stellt er sich vorbildhaft in die Dienste des erst 20-jährigen Matthew Brennan.

Extrem selbstlos: Wout van Aert bei der Deutschland Tour Foto: Federico Gambarini/dpa

Berlin taz | Wout van Aert kam als großer Star und Top-Favorit zur Deutschland Tour. Der Montmartre-Champion von der letzten Tour de France-Etappe stellte sich bei der weitgehend flachen Rundfahrt aber in den Dienst seines erst 20-jährigen Teamkollegen Matthew Brennan. Der dankte mit dem Etappensieg in Herford und weiteren Top-Ten-Ergebnissen. Vor allem aber beeindruckte der Brite den neun Jahre älteren Belgier durch sein Auftreten.

„Er ist gerade mal zwanzig, aber er fährt und redet schon wie ein Dreißiger“, sagte van Aert, der im September selbst 30 Jahre alt wird, über Brennan. „Mit zwanzig bin ich höchstens einmal die Belgien-Rundfahrt gefahren und war froh, auf den letzten zehn Kilometern noch vorn dranzubleiben“, blickte er auf seine Anfangsjahre zurück. Mit 20 Jahren war van Aert tatsächlich noch auf Continental-Niveau unterwegs, sowohl was seinen damaligen Rennstall als auch sein Rennprogramm auf der Straße betraf.

Wegen des frühen Scoutings und der umfangreichen Nachwuchsprogramme kommen die jungen Fahrer aber mental wie athletisch auf einem Niveau in die WorldTour, das sie bereits um Siege mitfahren lässt. „Man weiß ja, dass diese jungen Männer heute viel schneller erwachsen werden“, beschrieb van Aert die aktuelle Jugendmode im Straßenradsport. Er wollte aber noch einmal Brennans Qualitäten herausstreichen: „Er ist etwas ganz Besonderes. Ich habe das Gefühl, dass er nicht mehr viel lernen muss. Seine größte Stärke ist, dass er in allen Situationen ruhig und gelassen bleibt.“

Angesichts dieser Vorzüge des Youngsters fiel es van Aert nicht schwer, ins zweite Glied zurückzutreten. Er mischte selbst noch bei den Zwischensprints mit, holte sich auch die eine oder andere Bonussekunde, um in Schlagdistanz in der Gesamtwertung zu bleiben. Die Sprints aber, selbst den auf der mit vielen Hügeln schwer gemachten 3. Etappe, fuhr Brennan. Van Aert hielt auf der Etappe nach Kassel in einem mustergültigen Helferjob auf den letzten Kilometern die 33-köpfige Frontgruppe zusammen.

Hilfsbereitschaft bewiesen

Brennan wurde zwar nur Siebter, aber die Aufgabenteilung, die Visma – Lease a Bikes Sportlicher Leiter Robert Wagner schon vor Beginn der Rundfahrt angekündigt hatte, wurde konsequent umgesetzt: „Matthew und Wout müssen zusammenarbeiten, um die Ergebnisse zu sichern. Matthew wird seine Chancen in den Sprints nutzen und dabei von Wout unterstützt werden. Wout wird die Sprints anführen und Matthew seine Erfahrung weitergeben“, sagte der gebürtige Magdeburger. Und er lobte ausdrücklich die Bereitschaft des großen Stars, sich in diese Rolle auch einzufinden: „Es ist fantastisch, dass ein Fahrer wie Wout so mit einem jungen Talent zusammenarbeitet.“

Van Aert stellte damit erneut seine Hilfsbereitschaft unter Beweis. Bei der Tour de France reibt er sich gewöhnlich für Rundfahrtkapitän Jonas Vingegaard auf. Ihm fehlen in den Sprints dann oft die Kräfte, um selbst Etappensiege zu erringen. Fünf zweite Etappenplätze in den letzten drei Tour-Jahren stehen nur einem Sieg, dem zuletzt in Paris, gegenüber. Auch deshalb war es überraschend, dass Vingegaards Ehefrau Trine Hansen dem Team unterstellte, nicht alles dem einen Ziel Toursieg unterzuordnen und den Ambitionen anderer Fahrer zu viel Raum zu geben.

Längere Rennpause

Jetzt bei der Deutschland Tour unterstrich van Aert wieder, wie sehr er Teamkollegen nicht nur Erfolge gönnt, sondern für den kollektiven Erfolg sogar auf eigene Chancen verzichtet.

Grund für diese Aufgabenteilung ist allerdings auch, dass van Aert gerade aus einer längeren Rennpause in den Wettkampfbetrieb zurückkommt, während Brennan sich auf dem Höhepunkt seiner Formkurve befindet und schon die Polenrundfahrt Anfang August – inklusive Etappensieg – in den Beinen hat. Bei der Vuelta a Espana, die am Samstag in Turin begann, muss Rundfahrtkapitän Vingegaard auf Superhelfer van Aert verzichten. Auch der Däne kommt aus einer längeren Pause seit Tour-Ende. Ihm bieten die flacheren Etappen zum Auftakt aber gute Gelegenheiten zum Einrollen, bevor er an Tag 5 beim Teamzeitfahren in Figueres über 24 Kilometer seine Maximalleistung abrufen muss.

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