Geheimfavorit bei der Vuelta a Espana: In Lauerstellung
Der spanische Radprofi Enric Mas, bisher dreimal knapp distanziert bei der Spanienrundfahrt, möchte nun ganz oben aufs Podium steigen.
Der Profi mit der Startnummer 121 ist so etwas wie der Schattenmann dieser Vuelta. Im Peloton hält er sich meist in der dritten Reihe auf, beschützt von seinen Movistar-Teamkollegen und hinter den Abordnungen von Decathlon mit dem lange Gesamtführenden Ben O’Connor und Bora mit dem Favoriten und dreimaligen Vuelta-Sieger Primož Roglič. Schön im Windschatten bleiben, wenig Arbeit verrichten lautet nicht nur sein Motto, sondern sogar das seiner Helfer.
Nicht einmal in den obligatorischen Fluchtgruppen dieser Spanienrundfahrt waren die Mannen vom heimischen Rennstall besonders präsent. Sechs dieser Gruppen kamen bereits durch und machten den Etappensieger unter sich aus. In nur drei dieser Gruppen war Movistar präsent, und das auch nur jeweils mit einem Fahrer. Andere Rennställe schicken gern drei, zuweilen sogar vier Mann in große Gruppen, um die Chancen auf einen Etappensieg zu erhöhen. Movistar zeichnet sich aber bisher durch Fahren im Energiesparmodus aus.
Gutes Kräftemanagement
Das hat natürlich Gründe. Die Vuelta ist noch lang. Und mit elf Bergetappen ist sie zumindest vom Profil her die härteste Rundfahrt unter den drei großen in dieser Saison. Da gilt es hauszuhalten mit den Kräften. Außerdem scheint Kapitän Mas gegenwärtig so gut in Form wie nie in seiner Karriere. Da will man keinen Fehler machen. Das betrifft das Kräftemanagement. Aber auch in Sachen Vorsorge geht Movistar voran. Als einer der ersten Rennställe bei dieser Vuelta wurden nicht nur den Fahren, sondern sogar dem Betreuerstab Coronaschutzmasken im Startbereich vom Teamarzt verordnet.
Drei Mal beendete Mas die Vuelta bereits auf einem zweiten Platz. Jetzt fühlt er sich reif für den Schritt ganz nach vorn. „Ich bin hergekommen, um diese Vuelta zu gewinnen“, sagte er mehrfach. Er untermauert den Anspruch auch durch Leistung. Attackiert Roglič, wie auf der 11. Etappe etwa, folgt Mas wie ein Schatten. Beide verkürzten an diesem Tag ihren gemeinsamen Rückstand auf den Gesamtführenden Ben O’Connor um 37 Sekunden. Auf Etappe 8, als Roglič ebenfalls angegriffen hatte, war Mas ebenso zur Stelle. Beide knappsten da 46 Sekunden auf O’Connor ab. Und auf der 4. Etappe, die Roglič gewann, wurde Schattenmann Mas zeitgleich Zweiter.
Im Gegensatz zu früheren Jahren, als dranbleiben bereits die größte Qualität des Spaniers darstellte, wagt er sich bei dieser Vuelta auch mal selbst an eine Attacke. Auf der 9. Etappe ließ er Roglič bei brütender Hitze auf dem Alto de Hazallanas in der Sierra rings um die alte maurische Königsstadt Granada hinter sich. Der fühlte sich da ziemlich leer. Einen Rückschlag für ihn verhinderte nur die entschlossene Nachführarbeit vom deutschen Großtalent Florian Lipowitz.
In einer Linkskurve in der Abfahrt geriet Mas aus der Balance und wäre beinahe gestürzt. „Eine Windböe war schuld“, erklärte er später. Und zum Glück für ihn hatte die Kurve noch eine Ausweichspur auf Schotter, die Enric Mas ausnutzte.
Das lässt ihn selbst optimistisch in die dritte Woche blicken. Vor allem aber spricht das neu gewonnene Zutrauen in längere Fluchtabenteuer für Mas. Seine sportlichen Leiter bei Movistar hielten ihn auch oft zurück, setzten allein auf die Durchhaltekapazitäten. Bei der diesjährigen Tour de France war Mas aber früh um alle Klassementchancen gebracht. Also setzte er in Alpen und Pyrenäen auf Ausreißversuche. Bestes Resultat war zwar nur ein fünfter Platz, aber Mas, 29, erwarb da Vertrauen in seine eigenen Fluchtkapazitäten.
Vor allem an den langen Bergen will er als Alleinfahrer glänzen. Dort ist er mindestens auf einer Höhe mit Roglič und O’Connor. Und auch seinen obligatorischen schwarzen Tag glaubt er bereits hinter sich. Auf dem Puerto Ancares verlor er am Freitag knapp eine Minute auf Roglič, gewann aber immerhin fast eine auf O’Connor. „Meine Beine fühlten sich leer an. Aber wenn das mein schlimmster Tag bei der Vuelta gewesen sein sollte, kann ich damit zufrieden sein“, meinte er lakonisch.
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