Radsport in Kolumbien: Koka, Waffen und zwei Räder
Wer die Geschichte des heute so erfolgreichen Radsports in Kolumbien erzählen will, landet schnell bei den Machenschaften der Drogenkartelle.
Radsport wird im Lande auch deshalb staatlich gefördert, weil Kletterer wie Nairo Quintana und Egan Bernal sowie Sprinter wie Fernando Gaviria ein ganz neues Bild vom Andenstaat vermitteln: eines von ruhigen Trainingsfahrten durch beeindruckende Berglandschaften, eines, das von Freude, Arbeit und Sicherheit erzählt.
Zwanzig kolumbianische Radprofis fahren im kommenden Jahr bei der Worldtour, ein halbes Dutzend von ihnen in Chefrollen: Die Sprinter Fernando Gaviria (UAE) und Álvaro Hodeg (Quick Step), die Rundfahrer Nairo Quintana (Movistar), Rigoberto Urán (EF), Esteban Chaves (Mitchelton) und Miguel Ángel López (Astana), hinzu kommt Egan Bernal mit seiner Juniorchef-Rolle bei Team Sky. Talente in solcher Zahl können nur heranreifen, wenn es befriedete Zonen im Lande gibt.
Und tatsächlich sind die Mordraten drastisch zurückgegangen. Paramilitärs und Guerilla haben sich, die einen weniger, die anderen mehr, demobilisiert. Kokain wird zwar weiter angebaut, die Narco-Bandenkriege werden aktuell aber eher in Mexiko ausgetragen.
Nach den Koka-Bauern kamen die Bergbaukonzerne
Ganz friedlich ist es dennoch nicht in Kolumbien. In Zonen, die von der Guerillabewegung Farc verlassen wurden, dringen kriminelle Gruppen vor und holzen erst den Regenwald ab und legen dann Koka- und Marihuana-Pflanzungen an. 220.000 Hektar Wald gingen allein 2017 auf diese Art und Weise verloren.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nach den Holzfällern und Koka-Bauern kamen die Bergbaukonzerne. Sie haben, ist der Wald erst einmal weg, praktisch wie rechtlich leichteren Zugang zu den Bodenschätzen. Die kolumbianische Gesellschaft entdeckt gerade, dass die Farc lange Zeit unbeabsichtigt eine positive Rolle als Waldhüter gespielt hat. Das Bild vom ungestört in den Kordilleren trainierenden Radprofi übertüncht also bis heute manche Widersprüche und Problemlagen.
Radsport wurde aber auch in den wilden Zeiten, in den Jahrzehnten der „Violencia“, betrieben. Das führte zum Teil zu absurden Situationen. „Als Radsportler konntest du dich in einer Trainingspause plötzlich in einer kleinen Cafeteria wiederfinden, in der auch Angehörige der Paramilitärs oder der Guerilla einen Kaffee zu sich nahmen“, erinnert sich Hernando Gaviria, Vater und erster Trainer vom Sprintstar Fernando Gaviria.
Gaviria senior überstand solche Zusammentreffen unbeschadet, und ließ sich, so erzählt er, auch bei seinen Trainingsausfahrten nicht von den jeweiligen Territorialverschiebungen der lokalen Machthaber einschränken. „Radsportlern taten sie nichts“, versichert er.
Betreibt eure Karrieren in Europa
Nicht jeder dürfte das so sehen. Oliverio Rincón, in den 90ern Etappensieger bei der Tour de France, dem Giro d’Italia und der Vuelta a España, wurde im Jahr 2000 gleich zwei Mal von der Guerilla entführt, erst von der ELN und dann von der Farc. Auch Luis „Lucho“ Herrera, Bergkönig bei allen drei großen Rundfahrten und Gesamtsieger der Vuelta 1987, wurde gekidnappt. Er war im Jahr 2001 vierundzwanzig Stunden verschleppt. Wer seine Entführer waren, wurde nie richtig aufgeklärt. Die Entführung ereignete sich aber in einem damaligen Herrschaftsgebiet der Farc. Das Signal für die Sportler war klar: Im eigenen Land seid ihr nicht sicher. Betreibt eure Karrieren in Europa.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Radsport in Kolumbien nicht vollständig einging. Immer wieder trauten sich Sportler zum Training auf die Straßen. Auch Rennen wurden ausgetragen. Allerdings unter besonderen Bedingungen. Fernando Saldarriaga, Nationaltrainer Kolumbiens und Chef des Teams Manzana Postobón, erinnert sich daran, dass bei Etappenrennen gelegentlich die begleitenden Motorräder der Polizei anhielten, um dem Peloton zu signalisieren, doch besser allein weiterzufahren.
„Das passierte sogar bei wichtigen Rennen. Wenn die Etappen durch Gebiete gingen, die von der Guerilla oder den Paramilitärs beherrscht wurden, stoppten sie und sagten uns: Fahrt ihr mal die restlichen Kilometer zum Ziel allein weiter. Sie hatten einfach Angst. Ein Wahnsinn“, meint Saldarriaga, und ihm wird beim Erzählen noch einmal bewusst, in welchen Gefahren er und seine Sportler da gesteckt haben mögen.
Eine schräge Erinnerung hat Saldarriaga an die Vuelta a Colombia im Juni 2016. „Da führte eine Etappe durch den Gebirgszug Montes de María. Das Gebiet war aufgeteilt in Einflusszonen der Farc und der Paramilitärs. Auf dem einen Höhenzug stand die eine Gruppierung, auf dem anderen Höhenzug die andere. Und wir, das Peloton und der Tross, mittendrin!“, erzählt er.
Die Illusion von Frieden
Zur Krönung des Ganzen flog auch noch der damalige Präsident Juan Manuel Santos ein. Er prämierte die Sieger. Und er nutzte die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die einstigen Herrscher der Region, der bekannte Farc-Kommandant „Martín Caballero“ und der Para-Anführer „Jorge 40“ längst tot beziehungsweise im US-amerikanischen Gefängnis seien.
„Martín Caballero“ war durch einen Anschlag auf den Flughafen des nahe gelegenen Cartagena sowie ein geplantes Attentat auf den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton bei dessen Besuch in Kolumbien bekannt geworden, „Jorge 40“ vor allem durch Massaker an Bauern und Indigenen sowie die Ermordung zweier Gewerkschafter, die den Interessen des US-Bergbaukonzerns Drummond im Weg standen.
Santos’ Ansprache, die die Chancen des nahenden Friedens beschwor, unterschlug freilich, was all die Radprofis und ihre Begleiter gesehen hatten: Guerilla und Paramilitärs waren weiter kampfstark, obwohl die Paramilitärs sich offiziell schon zehn Jahre zuvor aufgelöst hatten und die Farc mitten in den Friedensgesprächen in Havanna steckte. Der Radsport diente an diesem Junitag im Jahre 2016 vor allem zur Erzeugung der Illusion von Frieden. Und Saldarriaga war froh, als die Vuelta a Colombia in weniger umkämpfte Zonen des Landes vordrang.
Noch wilder müssen im kolumbianischen Radsport allerdings die 80er Jahre gewesen sein. Da erschienen plötzlich Teams auf der Bildfläche, die offiziell Drogerien und Juwelierläden als Sponsor hatten. Dahinter steckten aber Drogenbarone, die Kolumbiens Nationalsport zur Steigerung der eigenen Popularität nutzen wollten.
Rennhosen mit Escobar-Aufdruck
Schillerndste Figur dabei war Roberto Escobar, der Bruder vom Drogenzar Pablo. Roberto hatte in seiner Jugend offenbar tatsächlich Talent als Radfahrer. Die Geschichten von seinen Siegen muss man zwar mit Vorsicht lesen; es befanden sich Rennen darunter, die niemand kannte. Andere Siege, die er für sich beanspruchte, wurden laut offizieller Siegerstatistik von anderen Sportlern gewonnen. So ging etwa die Goldmedaille im Straßenrennen bei den Bolivarspielen 1965 in Ecuador nicht an Roberto Escobar, wie er selbst in Umlauf setzte, sondern an Severo Hernández.
Belegt ist aber, dass Escobar in den 1980er Jahren eine eigene Fahrradfabrik eröffnete – „Bicicletas Ositto“ – und auch ein Radsportteam gleichen Namens aufstellte. Dafür heuerten einige bekanntere Fahrer an, und Escobar träumte gar von einer Einladung zur Tour de France. Es wäre ein schriller Auftritt gewesen. Denn auf den Rennhosen trugen die Profis nicht die Aufschrift irgendeines Sponsors, sondern „Pablo Escobar – Renovacion Liberal“. Renovacion Liberal war der Name der Partei, die der Drogenzar zwischenzeitlich auch gegründet hatte.
Mit dem Tourstart wurde es dann nichts. Einer der Fahrer aus dem Team, Gonzalo Marín, wurde später in den USA wegen Drogenhandels und Mitarbeit im Kartell der Escobars zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nachdem er seine Haft verbüßt hatte, wurde er – offenbar von Gegnern der Escobars – umgebracht.
Ein anderer Radprofi, der wegen Drogendelikten ins Gefängnis kam, war Juan Carlos Castillo. Er nahm – im Gegensatz zu den Escobar-Protegés im Zweiradgeschäft – an der Tour de France teil und war wichtiger Helfer von „Lucho“ Herrera. Auch er wurde im Zuge einer „Kontenklärung“ im Milieu umgebracht.
Fahrräder als Drogentransportmittel
Kolumbianische Radsportler dienten in den 80er und 90er Jahren gar als „Mulis“ der Kartelle. Sie verschluckten Kokain, versteckten es in den Rahmen der Räder oder in den Massagebänken der Betreuer. 1991 flog am Flughafen Rom ein elfköpfiges Nachwuchsteam als Drogenkurierabteilung auf.
Dass heutige Radprofis ihre Karriere wegen ein paar Kilo Koks aufs Spiel setzen, ist eher unwahrscheinlich. Aus dem Radsportsponsoring sind die Drogenbarone wohl auch ausgestiegen.
Als Drogentransportmittel sind Fahrräder aber weiter beliebt. Im September nahm die chilenische Polizei drei Kolumbianer fest, die 18 Kilo Marihuana auf Fahrrädern nach Chile einführten. Es war kein Koks mehr, sondern Marihuana. Es waren auch keine Radprofis, sondern Amateure. Ein Rückgang der Intensität auf allen Ebenen. Gut für den Sport, gut für Kolumbien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste