Racial Profiling vor Gericht: Verdächtige Hautfarbe
Schwarze Menschen, die in Gegenden wie St. Pauli wohnen, müssen scheinbar hinnehmen, dass sie weniger Rechte haben als andere.
Geklagt hatte der 35-jährige Barakt H., der ehemals aus Togo nach Deutschland kam und seit mehreren Jahren auf St. Pauli wohnt – wo er ständig auf Drogen und Ausweispapiere kontrolliert wird. Zu Unrecht, hatte das Verwaltungsgericht Ende 2020 geurteilt: Auch an „gefährlichen Orten“ dürfe die Polizei nicht völlig anlasslos kontrollieren. „Es müssen gewisse Anhaltspunkte für einen Bezug der kontrollierten Person zur entsprechenden Gefahr – hier also der Betäubungsmittelkriminalität – vorliegen“, so der Richter.
Das ließ die Innenbehörde, die nicht gerade für starke Nerven bekannt ist, was ihr eigenes Ansehen betrifft, nicht auf sich sitzen. Sie ging in Berufung – und bekam Recht. Im Januar hob das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil auf und begründete die Entscheidung damit, dass das Verhalten des Klägers in der entsprechenden Situation durchaus Anlass für einen Verdacht gegeben habe.
Was hatte H. verdächtig wirken lassen? Der 35-Jährige war an dem Abend im November 2017 zusammen mit seinem Freund und Nachbarn Rasmus R. vom Training in einem Fitnesscenter zurück nach St. Pauli gefahren, zuvor hatten sie noch Einkäufe im Supermarkt erledigt, um gemeinsam zu kochen.
Mit der schweren Tasche auf der Schulter, ins Gespräch vertieft, liefen sie eine Straße nahe der Reeperbahn entlang. Dabei hätten sie konspirativ gewirkt, so eng seien sie beieinander gegangen, sagten die Polizist*innen vor Gericht. Sie hätten sich über die Schulter umgeguckt, an ihren Taschen herumgezuppelt, und als sie die Polizist*innen sahen, ihre Schritte beschleunigt.
Die Taschen seien sehr schwer gewesen, mit den Sportsachen und dem Supermarkteinkauf, sagte H. aus, er habe sie deshalb von einer Schulter auf die andere verlagert. Eng aneinander gelaufen seien sie bestimmt, wie zwei Freunde eben, die sich unterhalten. Den Schritt beschleunigt hätten sie hingegen nicht beim Anblick der Streifenpolizist*innen – „dazu ist dieser Anblick viel zu alltäglich auf St. Pauli“, sagte R.
Bankrotterklärung eines Rechtsstaats
Doch das Gericht glaubte den Polizist*innen. Das tun Gerichte bis auf seltene Ausnahmen immer und verantworten damit eine riesige Lücke in der demokratischen Gewaltenteilung. In den Augen des Richters stand somit fest, dass H. und R. sich konspirativ und typisch für die Szene der Drogenkriminalität verhalten hätten. Zwar seien es einzeln betrachtet alltägliche Handlungen gewesen, die für sich genommen keinen Anlass zur Identitätsfeststellung lieferten, jedoch „in Zusammenschau mit dem Alter von Anfang/Mitte 30 Jahren“ sehr wohl Anhaltspunkte für mögliche Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz darstellten.
Nun zum Elefanten im Raum: Welcher weiße Mensch wird kontrolliert, weil er Anfang/Mitte 30 ist und mit seinem Freund zu eng aneinander läuft und die Sporttasche von einer auf die andere Schulter verlagert? Richtig, nur einer, der mit einem Schwarzen Menschen unterwegs ist. Wenn dieses Alltagsverhalten aber für Schwarze Menschen ausreicht, sich verdächtig zu machen, kann man als Schwarze Person auf St. Pauli nicht mehr leben. Das heißt, man kann, aber nur, wenn man dafür, wie jetzt vom Gericht für gesetzeskonform erklärt, seine Rechte abgibt. Es ist die Bankrotterklärung eines Rechtsstaats, der vorgibt, vor dem Gesetz seien alle gleich.
In Dresden hatte ein Kläger kürzlich Erfolg – allerdings ebenfalls bislang nur in der ersten Instanz, ob es zur Berufung kommt, ist noch offen. Das Dresdner Verwaltungsgericht hatte eine Identitätskontrolle des Guineers Elhadji B. durch die Bundespolizei für rechtswidrig erklärt. Die beteiligten Polizist*innen hatten zugegeben, am Chemnitzer Bahnhof nur Schwarze Personen kontrolliert zu haben.
Auch auf St. Pauli kontrolliert die Task Force Drogen ausschließlich Schwarze Menschen und weiße, die mit Schwarzen unterwegs sind – im Görlitzer Park in Kreuzberg ist es ähnlich. Nur gibt die Polizei das ungern zu.
Für die Betroffenen ist der Weg durch die Instanzen teuer und mühsam. Barakat H. könnte im letzten Schritt vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen. Aber er ist erschöpft vom jahrelangen Rechtsstreit. Die Erfolgsaussichten halten sich ohnehin in Grenzen.
Am Ende bleibt den Betroffenen nur die Erkenntnis, dass sie vom Staat nichts erwarten können. Sie sind auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen