Queerfilmfestivals in Norddeutschland: Nebenbei nonbinär
Bei den norddeutschen Queerfilmfestivals laufen Filme, in denen das Thema Queerness unausgesprochen bleibt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.

Der Herbst ist die Saison der queeren Filmfestivals. Am Dienstag wird das internationale Queer Film Festival in Hamburg eröffnet und bald folgen die Festivals in Bremen, Hannover und Rostock. Die unabhängigen queeren Filmfestivals in Deutschland haben den Verband queerscope gegründet. Das stärkt ihre Position bei den Filmproduktionsfirmen und ermöglicht, Reisekosten für Gäste zu teilen. Besonders beliebte oder interessante Filme werden so auf verschiedenen dieser Filmfestivals gezeigt, die ja die lokalen Communitys ansprechen und so nicht miteinander in Konkurrenz stehen.
Wenn man davon ausgeht, dass eine queere Gruppe erst dann nicht mehr diskriminiert wird, wenn eine Hauptfilmfigur ganz selbstverständlich queer leben kann, ohne dass es in dem Film viel Aufhebens davon gemacht wird, ist „Outerlands“ von Elena Oxman solch ein Gamechanger. Der amerikanische Spielfilm, der sowohl in Hamburg, Hannover und Rostock gezeigt wird, erzählt von Cass.
„Outerlands“ von Elena Oxman
Cass, gespielt von Asia Kate Dillon, lebt als nichtbinäre Person. Die hält sich mit kellnern und der Betreuung von Kindern wohlhabender Eltern über Wasser. Ihre Queerness wird im Film nur beiläufig und indirekt thematisiert, etwa wenn etwa geschlechtsspezifische Pronomen verwendet oder korrigiert („they say they“) werden. Cass lebt isoliert, scheint aber damit ganz zufrieden zu sein, bis eine flüchtige erotische Beziehung zu einer chaotisch lebenden alleinstehenden Mutter dazu führt, dass Cass sich plötzlich um deren 11-jährige Tochter Ari kümmern muss.
Der Plot erinnert an „Alice in den Städten“, einen der schönsten frühen Filme von Wim Wenders. Wie dort wirken diese erzwungene temporäre Elternschaft sowie die Suche nach der spurlos verschwundenen Mutter wie ein Katalysator, der Cass aus Lethargie und Isolation weckt und liebesfähiger macht.
Der Film ist immer nah bei seinen Figuren, die mit viel Empathie und einem zärtlichen Humor gezeichnet und gespielt werden. Da wird nichts melodramatisch überspitzt. Stattdessen geht es um kleine alltägliche Dramen wie unbezahlte Rechnungen oder Erinnerungen an die traumatische Kindheit.
Der Film spielt in San Francisco und ist auch eine fast dokumentarische Milieustudie der dortigen queeren Subkultur. Nur dort ist ein wohl einmaliger Bruch der Konventionen des Erzählkinos auch nur halbwegs plausibel, denn im Kino sind die – fast immer männlichen – fiesen Bankmitarbeiter durch die von Schulden geplagte Protagonist*innen endgültig in den Ruin gedrängt werden, eine dramaturgische Konstante. Doch hier sitzt am Schreibtisch eine lesbische Sachbearbeiterin, die Cass hilft, wo sie nur kann, sodass they schließlich sogar in ihrem Gästezimmer einquartiert wird. Dies ist ein Film, bei dem man ständig „schön, wenn es so wäre“ sagen möchte.
„Kaktusfrüchte“ von Rohan Kanawade
Auch in dem indischen Spielfilm „Kaktusfrüchte“ von Rohan Kanawade, in Hamburg und Rostock zu sehen, wird nie ausgesprochen, dass die Hauptfigur queer ist. Aber die Gründe dafür sind genau entgegengesetzt, denn in dem kleinen westindischen Dorf, in dem der 30-jährige Stadtbewohner Anand nach dem Tod seines Vaters die rituelle zehntägige Trauerzeit begeht, scheint es gar kein Wort für die gleichgeschlechtliche Liebe zu geben.
In Mumbai kann er offen als schwuler Mann leben, im Dorf wird er dagegen nicht einmal offen angegriffen, als sich eine Romanze zwischen ihm und dem schüchternen Bauern Balya entwickelt, weil sein Verhalten für die Menschen dort unbegreiflich ist und darum ignoriert wird.
Auch hier fehlt jeder melodramatische Effekt. Stattdessen ist „Kaktusfrüchte“ eine filmische Meditation über Themen wie Familie, Identität, Sexualität und Tradition geworden. Ein langsamer Film auf dessen minimales, dafür aber sehr authentisches Erzählen man sich einlassen muss. Aber die so eingeforderte Geduld zahlt sich durch den genauen Blick auf diesen für uns archaisch wirkende Mikrokosmos aus.
„Dreamers“ von Joy Gharoro-Akpojodor
Um große Gefühle geht es dagegen in dem britischen Spielfilm „Dreamers“ – läuft in Hamburg und Bremen – der auch sonst konventioneller als die beiden anderen Film daherkommt. Regisseurin Joy Gharoro-Akpojodor arbeitet hier mit den Konventionen des Knast-Kinos. Da dürfen solche Genrezutaten wie die gewalttätige Gang der Alteingesessenen, die den Neuankömmlingen erst einmal das Leben zur Hölle macht und sogar ein Ausbruchsversuch nicht fehlen.
Hamburg international Queer Film Festival, bis 19. 10., Eröffnungsgala auf Kampnagel: 14. 10., 19.30 Uhr;
Queerfilm-Festival Bremen, 21.–26. 10. und Bremerhaven 27.–31. 10.
Perlen – Queer Film Festival Hannover, 24. 10.–1. 11.
Queerfilmfest Rostock, 24.–26. 10.
Der Handlungsort des Films ist jedoch kein Gefängnis, sondern ein Abschiebezentrum, in dem Frauen inhaftiert sind, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Hier verliebt sich die Afrikanerin Islo in ihre Zimmergenossin Farah. Aber die Emotionen, die beide beherrschen, sind Verzweiflung und Angst vor der Abschiebung. In Nigeria wurde Islo als lesbische Frau verfolgt, eingesperrt und in der Haft vergewaltigt.
Der Film zeigt wie quälend das Warten auf gerichtliche Entscheidungen und die immer plötzlich auf die Frauen einbrechende Abschiebung ist. Die Liebe in den Zeiten der Deportation bringt keine Hoffnung sondern nur noch größere Ängste, aber auch wenige Momente des Glücks. Und Joy Gharoro-Akpojotor gelingt es mit den Mitteln des Gefühlskinos diese tragische Romanze als eine politische Anklage zu inszenieren, die zornig macht.
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