Queere Kino-Archivalien in Hamburg: Lavendel gegen den männlichen Blick

Heide Schlüpmann und Karola Gramann sind Spezialistinnen für feministisches, queeres Kino. Sie sind nun eine Woche in Hamburg zu Gast.

Jenny Runacre in Derek Jarmans Punk-Film „Jubilee“ (1978)

Gegen Thatchers Regime: Jenny Runacre in Derek Jarmans Punk-Film „Jubilee“ (1978) Foto: Foto: Malavida Films

Hamburg taz | Mit über 5.800 analogen Filmkopien besitzt die Kinemathek Hamburg eines der größten derartigen Archive bundesweit. Die Ehre, in dieser kulturellen Schatzkammer zu stöbern, wurde nun den beiden Gründerinnen der Frankfurter Kinothek Asta Nielsen gewährt, Heide Schlüpmann und Karola Gramann – und sie bekamen eine Carte Blanche, einige ihrer Funde im Hamburger Metropolis Kino vorzustellen.

Schlüpmann und Gramann haben sich mit ihrer filmtheoretischen und kinopraktischen Arbeit zum feministisch-queeren Kino selbst einen Namen gemacht, und dieser diverse Blickwinkel ist es auch, der ihre Auswahl umso interessanter interessant macht. Den größten Teil des Programms macht dabei eine fünf Spielfilme umfassende, und damit eigentlich kleine Dorothy-Arzner-Retrospektive aus.

Arzner war in den 1930er- und 1940er-Jahren die einzige Regisseurin, der es gelang, in Hollywood Karriere zu machen. Lange vergessen, wurde sie erst 1970 wieder entdeckt, insbesondere „Dance. Girl, Dance“ aus dem Jahr 1940 wurde zum Paradebeispiel für die Überwindung des im populären Kino so lange alles beherrschenden männlichen Blicks. In dem Film (in Originalfassung zu sehen am 9. und 10.8.) reißt sich Maureen O´Hara beim Tanzen auf der Bühne eines Varieté-Clubs die Perücke vom Kopf und beschimpft die Männer im Publikum. Eine ähnlich starke feministische Perspektive bietet Arzners Film „Christopher Strong“ aus dem Jahr 1933, in dem Katharine Hepburn eine berühmte Fliegerin spielt (11. und 13.8.).

In der Kinemathek Hamburg existieren insgesamt sechs Filme Arzners als 16mm-Kopie; neben den genannten werden jetzt noch drei weitere gezeigt: „Craig's Wife“ von 1936 (13. + 14.8.), „First Comes Courage“ aus dem Jahr 1943 (mit Einführung am 13.8.) und „Nana“ (1934, mit Einführung am 10.8.) – diese Filme hatten selbst Schlüpmann und Gramann noch nicht gesehen, bevor sie sie in dem Hamburger Archiv entdeckten.

Derek-Jarman-Doppelprogramm

Karola Gramann freute sich auch über einen anderen Fund: eine 35mm-Kopie von „The Tempest“ (1979), ihrem Lieblingsfilm von Derek Jarman, zu sehen nun am selben Abend wie Jarmans „Jubilee“ (12.8.), den die Kinemathek auf 16mm besitzt. Da trifft also eine Shakespeare-Verfilmung auf den ersten Film über die damalige britische Punkszene. Für den Regisseur bestanden zwischen solchen Stoffen keine grundsätzlichen Unterschiede, Gramann schätzt an seinen Arbeiten „die Einbettung in historische und kulturelle Gegebenheiten Englands in Verbindung mit seiner Protesthaltung gegen das Regime vorn Margaret Thatcher“.

Der dritte Programmblock gibt schließlich Einblicke in die filmhistorische Arbeit: Der Spielfilm mit dem schönen Namen „Rote Ohren fetzten durch die Asche“, gedreht 1991 von den Film­künst­le­r*in­nen Ashley Hans Scheirl, Ursula Pürrer und Dietmar Schipek, war in den 1990er-Jahren ein Kultfilm der internationalen queeren Szene Als Karola Gramann ihn vor einigen Jahren auf einem Festival zeigen wollte, stellte sie allerdings fest, dass es keine vorführbare Kopie mehr davon gab. Sie startete eine Initiative, den Film zu restaurieren und zu digitalisieren; diese Arbeit war fast schon abgeschlossen, als sie erfuhr, dass doch noch eine Kopie existierte – in Hamburg nämlich.

Gesucht, nicht gefunden – und dann doch

„Blick ins Archiv Spezial – Carte Blanche“: 8.–14. 8., Hamburg, Metropolis

In der Kinemathek fand sich die sogenannte Referenzkopie der Hamburger Filmförderung, die „Rote Ohren“ seinerzeit mitfinanziert hatte. Diese 16mm-Version lagerte lange im Bundesarchiv und war nur äußerst selten abgespielt worden. „Lavendel“ nennen Ar­chi­var*in­nen solche nahezu perfekt erhaltenen Filme. Zum Auftakt des Gastspiels der beiden Frankfurterinnen zeigt das Metropolis am Montag, 8.8., nun beides, die Hamburger Archivkopie und die restaurierten Digitalversion. Es werde Unterschiede beim Ton geben, bei den Farben, vor allem aber eine andere „Bildwahrnehmung“, so Gramann. Aber es ist durchaus ein Wagnis: in einem Double Feature der gleiche Film gleich zweimal.

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