Queere Geflüchtete in Deutschland: Schutz vor homofeindlicher Gewalt
Noch 2022 erklärte ein Richter einem schwulen Geflüchteten aus Algerien, er könne dort ja diskret leben. Nun wurde er doch als Flüchtling anerkannt.
Der 35-jährige Algerier darf bleiben: Menschen, denen aufgrund ihrer queeren Identität in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht, dürfen nicht länger abgeschoben werden. Die Behörden müssen nun immer davon ausgehen, dass die sexuelle Orientierung offen gelebt wird und dürfen nicht mehr auf ein diskretes Leben verweisen.
Mit der entsprechenden Anweisung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Oktober einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet, freut sich Patrick Dörr vom Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands. Seit Jahren setzt sich der LSVD für die Rechte queerer Flüchtlinge ein.
Mitte Dezember hatte Bendjeriou-Sedjerari überraschend eine Einladung zu einer erneuten Anhörung in der Bamf-Außenstelle erhalten. „Ich war hin- und hergerissen“, sagt er. Umso größer war letztlich die Freude: „Ich habe einen Luftsprung gemacht“, beschreibt Bendjeriou-Sedjerari am Telefon den Moment, als er den positiven Asylbescheid in Händen hielt.
„Unüblich und verpönt“
Im August letzten Jahres hatten ihn nach der Verhandlung im Verwaltungsgericht Frankfurt noch Freunde trösten müssen. Richter Andreas Gegenwart hatte ihm auch in zweiter Instanz Schutz in Deutschland abgesprochen. Derselbe Richter hatte ihm in der ersten Instanz vorgeschlagen, in Algerien ein „diskretes und unauffälliges“ Leben zu führen, um Gewalt und Verfolgung zu entgehen.
Im Berufungsurteil blieb er bei dieser Haltung, obwohl ihm Fälle von Verfolgung Homosexueller in Algerien vorgelegt worden waren: „Der Verzicht auf Umarmungen und Küsse in der Öffentlichkeit“, bewege sich „unterhalb dessen, was flüchtlingsrechtlich relevant ist“, so Richter Gegenwart und: „Die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigungen (sei in Algerien) auch unter heterosexuellen Paaren unüblich und verpönt.“
„In der Vergangenheit wurde durch die Anwendung dieser ‚Diskretionsprognosen‘ unzähligen Asylsuchenden ihr Recht auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung abgesprochen“, stellt Patrick Dörr vom LSVD fest; „auf ihrer Grundlage sollten Asylsuchende in die schlimmsten Verfolgerstaaten wie Pakistan, Irak und Iran abgeschoben werden.“
Der Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori ist zufrieden. „Ich bin dankbar, dass Nancy Faeser diesen Fall zum Anlass genommen hat, um eine unmenschliche Praxis durch eine neue Dienstanweisung an das Bamf zu beenden“, sagt der Politiker der taz. Er hatte sich bei Faeser für Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari eingesetzt.
Schon erste Korrekturen
In elf Fällen habe die neue Linie bereits zu Korrekturen von Entscheidungen geführt, sagt Knud Wechterstein von der Aids-Hilfe, die queere Flüchtlinge berät und begleitet. Achtmal direkt nach Anhörungen in der Gießener Außenstelle des Bamf, dreimal vor Gericht.
Bendjeriou-Sedjerari ist vor allem erleichtert. Die Party aber werde nachgeholt: „Noch habe ich so viel mit meinem Umzug zu tun.“ Gerade ist er aus einer Unterkunft nur für queere Geflüchtete aus- und zu einer älteren Dame unters Dach gezogen. In Frankfurt absolviert er eine Ausbildung zum Elektriker.
„Ich freue mich auf alles, auf den Frühling und vor allem, dass ich jetzt endlich mit meinem Freund reisen kann, das war bis jetzt nicht möglich“, sagt er. Als mögliches Urlaubsziel nennt er die Kanaren – die Inseln vor der Küste Marokoos, die auf dem gleichen Breitengrad wie sein Heimatland Algerien liegen, dem er als schwuler Mann den Rücken kehren musste.
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