Kriterium für Abschiebung fällt weg: Erleichterung für queere Geflüchtete

Die Regierung hat entschieden: Keine Abschiebungen mehr mit dem Hinweis, ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ sei möglich.

Jemand trägt ein Schild mit der Aufschriuft "Stop Deportation - Asyl für alle verfolgten Queers"

Christopher Street Day in Berlin, Juli 2021 Foto: M. Golejewski/AdoraPress

BERLIN taz | Queere Geflüchtete dürfen nicht mehr mit dem Hinweis auf ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ abgeschoben werden. Das gab die Bundesregierung am Dienstagnachmittag bekannt. Zukünftig muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) davon ausgehen, dass die Menschen im Herkunftsland ihre sexuelle Identität „offen“ ausleben.

Auch die sogenannte Verhaltensprognose fällt weg. Diese ist Teil eines zweistufigen Prozesses, in dem das Bamf bewertet, ob einer asylsuchenden Person im Heimatland Verfolgung droht. In der ersten Stufe überprüft das Bundesamt, wie sich Geflüchtete bei einer Rückkehr im Herkunftsland „verhalten“ würden.

Zweitens, wie staatliche oder nichtstaatliche Akteure auf dieses Verhalten reagieren. Und diese Überprüfung konnte bis dato zu einer Ablehnung des Asylantrags führen, mit dem Hinweis, sich „diskret“ zu verhalten. Ab 1. Oktober soll nun die Bundesregierung Betroffenen Schutz bieten – egal, ob sie ihre Sexualität offen oder heimlich ausleben. Damit will die Regierung klarstellen, dass auch bei diskretem Verhalten Gefahr im Heimatland drohen kann.

Überfällige Entscheidung

Po­li­ti­ke­r:in­nen der SPD und Grünen sowie Ver­tre­te­r:in­nen von Interessenverbänden begrüßen die Entscheidung der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Dies ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt“, kritisieren SPD-Politiker Dirk Wiese und Falco Droßmann jedoch den Zeitpunkt der Bekanntgabe.

Patrick Dörr, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), ist glücklich und erleichtert, dass die Prognoseentscheidungen abgeschafft wurden. Er betont, dass die Aufforderung nach einer „diskreten“ Lebensweise im Heimatland schon 2013 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für rechtswidrig erklärt wurde: „Trotzdem fand das sogenannte ‚Diskretionsgebot‘ bis heute Anwendung in der Bescheidungspraxis des Bamf.“

Forderung nach Korrektur

Die jetzige Entscheidung der Bundesregierung, das sogenannte Diskretionsgebot abzuschaffen, erfolgt auf Grundlage des Koalitionsvertrags. Hier wurde festgeschrieben, dass die Ampelregierung Asylverfahren für queere Verfolgte überprüfen wolle. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigt dies gegenüber der taz.

Von den Grünen fordern die Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Ulle Schauws: „Wir erwarten, dass unmittelbar auf alle noch laufenden behördlichen Verfahren die Bescheide entsprechend korrigiert werden. Auch sollten in einschlägigen gerichtlichen Verfahren, in denen bereitsim Sinne der queeren Geflüchteten entschieden wurde, mit sofortiger Wirkung auf weitere Rechtsmittel verzichtet beziehungsweise diese zurückgezogen werden.“

Zuletzt gab es im August Kritik am Frankfurter Verwaltungsgericht, das einem offen homosexuell lebenden Algerier vermehrt kein Asyl gewährte, wie die taz berichtete. Der 34-jährige Abdelkarim Bendjeriou Sedjerani betonte vor Gericht, das Leben für einen Homosexuellen sei in Algerien lebensgefährlich. Sedjerani kritisierte öffentlich im deutschen Fernsehen und auf CSD-Veranstaltungen die Homofeindlichkeit in Algerien. Sein Richter empfahl ihm schon 2020, sein Leben „unauffällig“ zu gestalten. Dieses Jahr wurde dies wiederholt, mit der Begründung, dass öffentliche Zuneigungen auch bei heterosexuellen Paaren in Algerien „verpönt“ seien.

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