Putin und der Mord in Berlin-Tiergarten: Von wegen Aufklärung
Russlands Präsident lehnt eine Mitwirkung brüsk ab. Der Ermordete sei kriminell gewesen und hätte an Russland überstellt werden müssen.
„Das war eine militante, gewalttätige und blutbefleckte Person“, nannte der russische Präsident den Georgier Selimchan Changoschwili, der im August am helllichten Tag von einem Agenten des Moskauer Geheimdienstes im Berliner Tiergarten erschossen worden war.
Angela Merkel hatte Russlands Präsidenten auf den Vorfall, der die bilateralen Beziehungen wieder einmal trübt, angesprochen. Vorsichtig hatte sie an Moskaus mangelnde Bereitschaft erinnert, bei der Aufklärung des Mordes mitzuwirken. Darum hatte Berlin gebeten.
Hätte die Generalbundesanwaltschaft den Fall nicht an sich gezogen, wäre die Angelegenheit mit Rücksicht auf russische Interessen und „omnipräsente Kränkungen“ als unwesentlicher Störfall behandelt worden. Deutschland ist im Umgang mit Moskau ein Leisetreter.
„Verbrecher und Bandit“
„In Berlin wurde ein Krieger getötet, der in Russland gesucht wurde, ein blutrünstiger Mensch“, sagte Putin in Paris, „ein Bandit!“ Den „Verbrecher und Mörder“ hätte Berlin trotz Gesuch russischer Behörden nicht ausgeliefert.
„Ich bin erschrocken über die Wortwahl“, sagte der SPD-Politiker Nils Schmid über Putins Einlassungen in der ARD. Putin behauptete überdies, Changoschwili sei an einem Attentat auf die Moskauer Metro beteiligt gewesen und hätte bei einem Anschlag im Kaukasus den Tod von 98 Menschen verschuldet.
Den Anschuldigungen folgten weder Beweise noch Details – wie meist bei Putins Äußerungen, die er in unangenehmen Situationen aus dem Ärmel zieht. Das bestätigte auch der Chefredakteur der russischen Enthüllungsplattform TheInsider. Laut Roman Dobrochotow gebe es keine Hinweise auf eine Beteiligung Changoschwilis an Terrorakten.
Die vermeintlichen Beweise seien „banale Lügen. Hätte der Georgier aus dem Pankissi-Tal Verbindungen zu Terrorgruppen unterhalten, wäre Changoschwili gar nicht in die EU reingelassen worden, meint Dobrochotow. Bei derartigen Anfragen liefert die deutsche Seite aus, sobald sich der Verdacht erhärtet.
Keine Zweifel
Wie soll Berlin Putins Aussage werten? Zweifel gibt es keine, dass der Kreml auf fremdem Hoheitsgebiet Gegner beseitigt. 2018 versuchte der militärische Geheimdienst GRU den Doppelagenten Sergej Skripal in England auszuschalten. In diesem Fall ermittelten englische und russische Journalisten die Täter.
Auch Wadim Sokolow, der Changoschwili getötet haben soll, wurde kurz nach der Tat festgenommen. Will Russland Angst erzeugen? Es gibt Täter preis, leugnet aber die Verbindung zu ihnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen