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Putin-Kritiker über Folgen nach Skripal„Keine Geschäfte mit Terroristen“

Bill Browder vermutet, dass mehr Länder Finanzsanktionen gegen Putins Elite verhängen werden. Doch in Deutschland sei die prorussische Lobby zu stark.

Fast so kalt wie St. Petersburg im Winter: die Beziehung zwischen Russland und Großbritannien Foto: dpa

taz: Herr Browder, im Fall Skripal zeigen die britischen Behörden auf Russland als Täter. Es gebe keine andere plausible Möglichkeit, heißt es. Wie schätzen Sie die Schuld der Russen an der Nervengiftattacke ein?

Bill Browder: Ich finde, es gibt genug Beweise. Sich dagegenzustellen, ist eine gemeine Behauptung.

Russische Stimmen sehen das anders …

Entschuldigung, aber Russland hat es mit seinen eigenen Institutionen getan. Der Westen ist nicht in die Krim einmarschiert oder hat meinen Anwalt Sergei Magnitsky umgebracht oder das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen oder Alexander Litwinenko umgebracht. Das waren staatlich getragene Verbrechen. Schauen Sie sich einfach mit Intelligenz die Fakten an. Hier gibt es einen Erfahrungshintergrund. Außerdem handelte es sich um ein hochgradig giftiges chemisches Produkt namens Nowi­tschok. Das sind Prima-facie-Beweise.

Aber für das alles müssen wir dem Wort der Briten Glauben schenken. Wäre eine gerichtliche unabhängige Untersuchung nicht besser, bevor man die Schuld zuweist?

Dafür gibt es keine Zeit. Ein Gerichtsverfahren würde um die fünf Jahre dauern und am Ende nur diejenigen verurteilen, die das Nervengift direkt angewendet haben. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob es viel bringt. Ich meine, hat man jemals einen Gerichtsprozess zu Osama bin Laden gemacht, ob er persönlich alles getan hat? Alle sind im Fall Salisbury zum gleichen Schluss gekommen.

Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?

Die russische Wirtschaft ist so groß wie die von New York, sie ist unwichtig. Niemand schert sich um Russland, außer wenn es als globale Bedrohung auftritt.

Bild: Daniel Zylbersztajn
Im Interview: Bill Browder

Der 1964 in den USA als Enkel des ehemaligen US-amerikanischen KP-Chefs geborene Brite ist Gründer des Investmentfonds Hermitage Capital Management, zeitweise der größte einzelne Fondsanleger in Russland. Nachdem Hermitage sich gegen ständige Schmiergeldforderungen wehrte, wurde es Opfer von Überfällen, Diebstählen und schließlich einer Steuerforderung von 230 Millionen US-Dollar. Im November 2008 wurde Hermitage-Wirtschaftsprüfer Sergei Magnitsky verhaftet, erkrankte und starb im November 2009 qualvoll in der Haft. Browder wurde in Abwesenheit in Russland verurteilt, Interpol lehnte aber einen russischen Fahndungsantrag gegen ihn ab.

In der Diskussion um Reaktionen auf den Skripal-Anschlag wird immer wieder ein Magnitsky-Gesetz ins Spiel gebracht – das nach Ihrem in Russland zu Tode gekommenen Anwalt benannte US-Gesetz, das gezielte Finanzsanktionen ermöglicht. Sie sagen, das würde in diesem Fall helfen?

Ja. Man geht Menschenrechtsverbrechen nach, findet heraus, was Personen, die etwas damit zu tun haben, an Besitz haben, und leitet rechtliche Schritte ein. Das bedeutet also, und das ist wichtig, dass nicht alle Menschen in Russland betroffen sind, keineswegs. Sondern nur die Individuen, an die 10.000, welche schwere Verbrechen mit vollem institutionellem Schutz begangen haben. Es ist die Regierung Putin, nicht das russische Volk, gegen die hier vorgegangen wird. Man kann also immer noch Geschäfte mit Russland machen, aber nicht mit Terroristen.

Was sind die Vorteile eines Magnitsky-Gesetzes?

Es ist ein spezifisches chirurgisches Instrument, sehr technisch, aber vor allen Dingen revolutionär. Es würde die Straffreiheit, mit der Russland agieren konnte, beenden. Wissen Sie, Menschen arbeiten nach dem Prinzip von Risiko und Belohnung. Wenn es für unmoralisches Verhalten keine Konsequenzen gibt, dann gibt es keine Gründe, es nicht wieder zu tun.

Sie sprechen nur von Russland oder auch von anderen?

Nein, von allen Ländern, egal wo. Der Fall von Dan Gertler im Kongo wäre ein guter Fall. In den USA hatten wir gerade Diskussionen mit Opfervertretern aus Ländern wie Vietnam, Kuba und anderen Ländern, die alle meinten, dass das Magnitsky-Gesetz gegen Personen aus ihren Ländern angewendet werden sollte. Saudi-Arabien wäre auch ein guter Fall.

In welchen Ländern würden Sie gerne so ein Gesetz eingeführt sehen?

Vor allem in Frankreich, denn hier leben in Strandorten im Süden, wie St. Tropez, viele Russen. In Deutschland würde ich es auch gerne sehen, aber ich habe das Land fast aufgegeben, da die prorussischen Lobbys zu stark sind. Was Großbritannien angeht, wird es hier bald eingeführt werden, das kann ich Ihnen schon verraten. Nach meinen Gesprächen, die ich hier in London mit Parlamentariern führe, besteht hierfür eine Mehrheit. Der ehemalige Premierminister David Cameron hat auch schon zugegeben, dass er es bereut, es nicht schon unter seiner Führung getan zu haben.

Haben Sie Unterstützung bei der Lobbyarbeit für ein britisches Magnitsky-Gesetz?

Transparency International hier in London war gut, aber generell sind die größeren Organisationen nicht so hilfreich. In Kanada half mir vor allem eine Person, Marcus Colga, ein estnischer Filmemacher und Journalist. Die großen Organisationen wollen gerne vorsichtiger sein und nicht zu viel Aufsehen erregen. Später springen sie dann doch gerne auf den Zug.

Was halten Sie von den bisherigen Maßnahmen in Großbritannien? Es wurden ein paar Botschaftsangehörige ausgewiesen, es gab eine verbale Verurteilung, man schickt keine Prinzen zum World Cup.

Großbritannien ist sehr zurückhaltend. Wollen die etwa Terroristen unterstützen? Beim Litwinenko-Fall warfen sie gerade mal drei russische Beamte raus, und sie haben jahrelang die auffälligen Tode verschiedener russischer Exilanten auf britischem Boden nicht richtig untersucht, zum Beispiel den meines Bekannten Alexander Perepilichny, der beim Jogging in Surrey plötzlich kollabierte. Für dieses Versäumnis zahlt Großbritannien nun den Preis.

Strafen gegen Menschenrechtsverletzer weltweit

Magnitsky-Gesetz

Die Empörung über Magnitskys Tod in den USA führte zur Verabschiedung des Magnitsky-Gesetzes, das Präsident Obama Ende 2012 in Kraft setzte. Es schloss 18 namentlich genannte Russen vom Staatsgebiet und dem Bankensystem der USA aus. Ende 2016 verabschiedete der US-Kongress das Global Magnitsky Human Rights Accountability Act, das solche Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer weltweit ermöglicht. Ende 2017 wandte US-Präsident Donald Trump es erstmals an und sanktionierte 52 Personen aus Ländern wie China, Kongo, Myanmar, Russland und Usbekistan.

Internationale Magnitsky-Gesetze Seit Ende 2016 haben Estland, Lettland, Litauen und Kanada eigene Magnitsky-Gesetze verabschiedet. In Großbritannien stimmte das Unterhaus im Februar 2017 für eine entsprechende Gesetzesnovelle, sie ist aber noch nicht in Kraft. Seit dem Skripal-Anschlag am 4. März wird darüber neu diskutiert, auch auf der Kanalinsel Jersey, wo viel russisches Fluchtkapital steckt.

Und auf europäischer Ebene?

Auch in Deutschland ist es absurd, dass man dort Geschäfte mit der Gaspipeline Nord Stream II macht. Die Konsequenz ist, dass Deutschland sich verletzbar macht: Russland muss nur den Gashahn zudrehen. Die Schröder-Affäre, die das möglich macht, halte ich für vollkommen unverständlich. In Deutschland gibt es viel zu viele Putin-nahe Interessengruppen. Ich verstehe das nicht. Gerade Deutschland hat doch in diesen Angelegenheiten eine moralische Verantwortung? In der EU sprach sich das Europaparlament für ein Magnitsky-Gesetz aus und wurde von der außenpolitischen EU-Beauftragten Francesca Mogherini verunglimpft. Das ist eine Schande!

Herr Browder, Sie sprechen hier offen gegen Russland. Das macht Sie in Russland nicht gerade beliebt. Angesichts der Art, wie Putin über Feinde spricht, sind Sie ein mutiger Mann, oder?

Nein, ich würde eher sagen, dass es meine moralische Pflicht ist für meinen verstorbenen Anwalt, der trotz Folter nichts sagte und so starb. Was soll ich denn tun? Wenn ich das hier nicht machen würde, dann könnte ich erst recht nicht mit mir leben. Ich muss mich für Gerechtigkeit einsetzen. Wissen Sie, ich habe viele Freunde deswegen verloren, denn viele wollen einfach weiter Geschäfte machen. Ich verstehe genau, wogegen ich ankämpfe, und verlasse mich nur auf meine eigenen Sicherheitsvorkehrungen. Sollte mir dennoch etwas zustoßen, dürfte klar sein, wer dahintersteckt.

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7 Kommentare

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  • „Ich finde, es gibt genug Beweise. Sich dagegenzustellen, ist eine gemeine Behauptung.“

    Dann weiß er mehr als wir Plebs. Bisher kamen nur Indizien an die Öffentlichkeit.

     

    „Das sind Prima-facie-Beweise.“

    Der Hintergrund eines Täters reicht also schon zum Beweis aus.

     

    „Großbritannien ist sehr zurückhaltend. Wollen die etwa Terroristen unterstützen?”

    Wer nicht die maximale Härte androht ist also ein Unterstützer.

     

    „In Deutschland gibt es viel zu viele Putin-nahe Interessengruppen.”

    In Deutschland gibt es auch zuviele USA-nahe Interessengruppe, zum Beispiel die Atlantikbrücke, und zu wenig Interesse eigenständige Politik zu machen.

  • Bisher dachte ich ja immer, SPON sei die Pressestelle der #Atlantikbrücke, aber offensichtlich hat die TAZ das jetzt übernommen. Rechtsstaatliche Ermittlungen, die zu belastbaren Beweisen führen - außer natürlich dem Fund von Putins Ausweis - sind in der Sache Skripal bisher nicht bekannt geworden. Aber ein US-Amerikaner mit diesem Hintergrund ist natürlich uneingeschränkt glaubwürdig und so mutig! Wo ist eigentlich der journalistische Ansatz geblieben, der die TAZ mal auszeichnete? Das hier ist ja nur noch peinlich!

  • Walter Litwinenko, Vater des in Großbritannien vergifteten russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko, hat einen Geschäftsmann aus dem Umfeld von Boris Beresowski der Ermordung seines Sohnes beschuldigt.

    Er ist überzeugt, dass sein Sohn von Alex Goldfarb vergiftet worden ist, einem Mann aus der „engen Umgebung“ des verstorbenen Milliardärs Boris Beresowski. Im Jahr 2000 habe Goldfarb Litwinenko geholfen, von der Türkei nach Großbritannien zu gelangen. Das habe er von Goldfarbs Ehefrau erfahren, so Walter Litwinenko weiter. Außerdem habe der tschetschenische Exil-Politiker Achmed Sakajew, der seit 2003 politisches Asyl in Großbritannien genießt, Goldfarb als CIA-Agenten bezeichnet.

    „Er (Alexander Litwinenko – Anm. d. Red.) wurde, glaube ich, mehrmals vergiftet. Sogar im Krankenhaus hat ihn man vergiftet“, so Walter Litwinenko. Jeder habe in die Klinik gelangen können.

    Zuerst habe man bei seinem Sohn eine Lebensmittelvergiftung diagnostiziert. Später wurde die Diagnose korrigiert – „Vergiftung mit Thallium“. Und erst beim dritten Versuch hätten die Ärzte die richtige Diagnose gestellt.

  • "Nach Angaben von Rybaltschenko wurde das Nervengas A-234 in den Vereinigten Staaten entwickelt. Dem russischen Verteidigungsministerium liege ein entsprechendes Dokument vor, aus dem dies hervorgehen würde.

     

    "Tatsache ist, dass wir im Jahr 1998, als wir eine andere Version der spektralen Bibliothek durchgesehen haben, die vom National Bureau of Standards der Vereinigten Staaten (NBS) veröffentlicht wird, eine Substanz gefunden haben, die wir interessant fanden, da sie eine phosphororganische Substanz war. Und wir haben festgestellt, dass sie eine starke tödliche Wirkung haben musste. Jetzt stellt sich heraus, dass es, nach dem Namen dieser Substanz zu urteilen, genau derselbe Nervenkampfstoff war, A-234 ", sagte der Leiter des russischen Militärlabors.

    Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang, dass in den nächsten Versionen der Bibliothek diese Substanz nicht mehr aufzufinden gewesen sei."

  • Wie ist der denn gestrickt?

     

    "Ich meine, hat man jemals einen Gerichtsprozess zu Osama bin Laden gemacht, ob er persönlich alles getan hat?"

     

    Genau das wäre aber notwendig gewesen. Einen jahrelangen Krieg, der noch immer nicht beendet ist, ohne Gerichtsverfahren. Das stärkt das Faustrecht statt für mehr Recht zu sorgen.

     

    Das vorgeschlagene Mittel versagt z.B. komplett bei bekannten Tätern aus den USA. Wieder nur die Rechtsprechung der Supermächte?

     

    Man muss solchen Scharfmachern nicht unbedingt eine Bühne bieten.

  • Da ist der Investmentfond-Gründer natürlich enttäuscht, dass Deutschland nicht so funktioniert, wie er das gerne hätte.

  • "In Deutschland gibt es viel zu viele Putin-nahe Interessengruppen. Ich verstehe das nicht. Gerade Deutschland hat doch in diesen Angelegenheiten eine moralische Verantwortung? " Witzig, würde da das Gegenteil schlussfolgern wegen Operation Barbarossa, Leningradbelagerung usw.