Putin-Konkurrent verlässt Russland: Dmitri Gudkow fürchtet Sippenhaft
Der russische Oppositionspolitiker ist überraschend nach Kiew ausgereist. Er fürchtet, dass seine Tante für dessen Aktivismus büßen muss.
Warum zieht sich der russische Berufspolitiker, der soeben zwei Tage in Untersuchungshaft verbracht hatte, so kurz vor den Wahlen ins Ausland zurück? Es ist nicht die Angst vor einer Verfolgung gegen ihn, die den Sohn des KGB-Majors und Ex-Abgeordneten Gennadi Gudkow einen Rückzug nach Kiew antreten lässt. Es ist seine Tante, derentwegen der begeisterte Basketballspieler das Land verlässt.
Über hundert vermummte Sonderpolizisten waren kürzlich wie bei einer Terroristenjagd im Einsatz gewesen, um seine Tante und ihn wegen einer geringfügiger Summe ihrer Mietschulden festzunehmen. Und so sei es die Sorge vor einer anhaltenden Sippenhaft gegen seine Tante gewesen, die ihn zur Reise nach Kiew bewegt habe. Der Tante hätten die zwei Tage U-Haft nach ihrer Coronaviruserkrankung sehr zugesetzt.
Hineingewachsen ist Gudkow junior in die Politik über seinen Vater, Gennadi Gudkow, einen früheren Funktionär der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. Während seines Journalistik-Studiums an der Moskauer Staatsuni hatte er bereits für den Vater gearbeitet, in dessen Sicherheitsfirma und in dessen Wahlkampfteam.
Nach 2001 wurde er Mitarbeiter des Duma-Abgeordneten Gennadi Gudkow und Pressesprecher von dessen „Volkspartei der Russischen Föderation“. Nach der Vereinigung mit der Partei „Gerechtes Russland“ leitete Gennadi Gudkow die Presseabteilung. Zeitweise war er auch Chef der „Jungsozialisten Russlands“. 2010 wurde er Berater von Parteichef Sergei Mironow, 2011 kam er auf der Liste von „Gerechtes Russland“ in das Parlament.
Protestaktionen für gerechte Wahlen
Doch dann trennten sich die Wege. Während sich „Gerechtes Russland“ immer mehr zur putinfreundlichen Oppositionspartei wandelte, fühlte sich Gudkow junior mehr und mehr von der außerparlamentarischen Opposition angesprochen. Ende 2011 und Anfang 2012 beteiligte er sich an den Protestaktionen für gerechte Wahlen, im Oktober 2012 wurde er in den Koordinierungsrat der Opposition gewählt. Dies brachte ihm im März 2013 den Ausschluss aus der Partei „Gerechtes Russland“ ein.
Als sich das russische Parlament im März 2014 mit überwältigender Mehrheit für die Annexion der Krim aussprach, war Gudkow einer von vier Abgeordneten, die die Annexion nicht billigten. Er sei immer ein gemäßigter Politiker gewesen, erklärte er kürzlich. Und die seien, da sie bis in höchste Regierungskreise Sympathisanten hätten, für die Machthaber eine größere Gefahr als radikale Oppositionelle.
Nun hofft Gudkow, dass Russlands Machthaber nicht auch noch seine Frau Valeria Gudkowa und seinen 7-jährigen Sohn Alexander, die in Moskau zurückgeblieben sind, in Sippenhaftung nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch