Pushbacks an der kroatischen Grenze: Fatales Wegschauen
Videos über eine prügelnde Grenzpolizei in Kroatien haben jüngst die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Dabei ist das Problem seit Jahren bekannt. Konsequenzen? Fehlanzeige.
D ie Videos von prügelnden Polizist:innen an der EU-Außengrenze verbreiteten sich schnell in den sozialen Medien. Das mediale Echo ist angemessen. Dass es erst jetzt kommt, zeigt jedoch Leerstellen in der Berichterstattung auf. Seit Jahren berichten Flüchtende und Aktivist:innen von Gewalt an den EU-Außengrenzen – ohne Reaktionen der breiten Öffentlichkeit.
Die große Mehrheit der Schutzsuchenden im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet hat eine zweistellige Anzahl an versuchten Grenzübertritten hinter sich, die alle mit illegalen Rückführungen endeten. Zugegeben, die neuen Aufnahmen sind wichtig für die Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen. Aber Neues berichten sie nicht.
Dass systematische Gewalt erst nach Veröffentlichung der Videos in den Medien breiter diskutiert wird, zeugt von einer Gesellschaft, in der die Lebensrealitäten von Flüchtenden keinen Platz haben. Das kollektive Wegschauen ist so fatal, weil die Gewalt tief im Zentrum der EU verankert ist. Die Grenzpolizei und Frontex werden mit EU-Geldern finanziert. Europäische Unternehmen sind Teil der Militarisierung und Technologisierung des Grenzregimes.
26, ist politischer Geograf. Er schreibt als Teil des Netzwerks „The border starts here“, das die Perspektiven von Flüchtenden an der EU-Außengrenze sichtbar machen will.
Auch vermeintlich humanitäre Hilfsorganisationen tragen aktiv zur Abschottungspolitik bei, indem sie Schutzsuchende in Camps fernab der Grenzen unterbringen. Die International Organisation for Migration (IOM) unterstützt bei gewaltsamen Räumungen selbst organisierter Camps die bosnische Spezialpolizei. EU-Gelder an die Organisation fließen in Drohnen, Wärmebildkameras und Spezialfahrzeuge.
Diese Informationen sind frei zugänglich, und die Entscheidungsträger:innen hinter dieser Politik werden oftmals wiedergewählt. Wir als Steuerzahler:innen tragen diese Grenze mit. Die Schuld auf das kroatische Innenministerium abzuwälzen, ignoriert die eigene Verantwortung und blendet Möglichkeiten politischen Handelns aus. Wir dürfen unsere Bestürzung nicht auf die kroatische Polizei beschränken: Die Gewalt wird durch unser Wegschauen und unsere Steuergelder ermöglicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja