piwik no script img

Punkpoet King KruleSommersprossen, Segelohren

Gilt als Punkpoet des britischen Prekariats und singt wie ein geprügelter Hund: Der 19-jährige Londoner King Krule und sein Debüt „6 Feet beneath the Moon“.

Dauerregen in London: King Krule. Bild: jamie-james medina

Zeit für eine Verschwörungstheorie. Sie würde ungefähr so gehen: Dieser „King Krule“, der gerade sein Debütalbum „6 Feet Beneath the Moon“ veröffentlicht hat, ist eigentlich ein 47-jähriger Alkoholiker, der allerdings so fertig und kaputt aussieht, dass die Plattenfirma es für unzumutbar hielt, ihn den Leuten zu zeigen. Deswegen haben sie sich ein 19-jähriges Milchgesicht geschnappt – rote Haare, Sommersprossen, Segelohren, die Unschuld in Person – und ein paar Videoclips aufgenommen, auf denen das Milchgesicht den Mund bewegt und so tut, als sei es ein ganz Großer.

In dem Video zu „Easy Easy“ trägt der Junge zum ersten Mal in seinem Leben einen richtigen Anzug, und dass der einige Nummern zu groß und deplatziert wirkt (weil er nämlich eigentlich für den 47-jährigen Alkoholiker gedacht war), versuchen die Leute von der Plattenfirma damit zu übertünchen, dass sie den Kleinen ständig beim Rauchen zeigen.

Wenn man aber nicht an eine solche Theorie glaubt, ist „6 Feet Beneath the Moon“ wohl tatsächlich ein sehr gelungenes Album des 19-jährigen Londoners Archy Marshall, der zuvor unter den Künstlernamen Zoo Kid, DJ JD Sports und Edgar The Beatmaker von sich reden machte – und jetzt als King Krule.

Platte und Konzert

King Krule: „6 Feet Beneath the Moon“ (XL/Beggars Group/Indigo) Live: 15. Oktober, Berghain Kantine, Berlin; 16. Oktober, Uebel & Gefährlich, Hamburg.

Dieser King Krule singt so verstörend tief, krächzt und heult, klagt und leidet wie ein geprügelter Hund, dass man meint, er habe bereits Jahre vor seiner Geburt mit dem Trinken angefangen. Mit „6 Feet Beneath the Moon“ hat er ein Album geschaffen, das lauter handwerklich gute, ausgetüftelte Variationen von Kaputtheit präsentiert.

Komplexe Arrangements

Es ist keine Musik, die man nebenbei so weghört, dazu sind die 14 Songs zu unterschiedlich, zu komplex arrangiert. Es gibt gitarrenlastige, dunkle Stücke wie „Easy Easy“, und langsame, wie das melancholisch-träge „Ceiling“ oder das bekifft-suizidale „Cementality“. Dann plötzlich „A Lizard State“, der getriebene, wütende Blues, der eine „fucking bitch“ beschimpft, und das mehr gesprochene als gesungene „Neptun Estate“.

Verbindendes Element ist Marshalls tiefe, klagende Stimme, die die Wörter durchkaut und ausspuckt, in einem Nebel aus Hall. Ab und an ein paar Jazzharmonien, Dubstep-Beats, schläfrig aufgelöste Akkorde. Es ist diese musikalische Unverbindlichkeit, die in keine bestimmte Richtung drängt, und die das Album doch so interessant macht, in Verbindung mit den Texten, sofern man es schafft, sie zu verstehen.

Wenn Doggen sprechen könnten

Wenn Hunde, vornehmlich Doggen, wie Papageien sprechen lernen könnten, hätten sie wahrscheinlich eine ähnliche Aussprache wie Marshall. Die Themen, um die die Songs kreisen, sind Enttäuschung, Müdigkeit und grauer Himmel. King Krule besingt mit derselben „Ach, das ist doch Scheiße“-Haltung die Frau, die sein Herz gebrochen hat und das Sandwich, das er im Tesco-Supermarkt gekauft hat und das schon schlecht war.

Es gibt viel „I tried so hard“ und „I’m drifting away“, ständiges Scheitern und Sichverlieren, und mindestens genau so viel „Girl“ und „Baby“, Herzschmerz und Desillusionierung und die Suche nach jemandem, der (bzw. die) das alles auffängt: „Girl I could have been someone to you“ heißt es in „Baby Blue“. Und in „Has this Hit“: „I know when I look into the sky / There is no meaning.“

Totaler Zweifel

King Krules Mischung aus Zweifel am Privaten und am Sozialen ist es wohl, die dazu geführt hat, dass er für dieses Album nicht nur als „Wunderkind“ bezeichnet wurde – eine unvermeidliche Zuschreibung für alle SolokünstlerInnen unter 20, von denen man noch viel erwartet –, sondern vor allem als „Stimme einer neuen Generation“ und als „Stimme des britischen Prekariats“.

Der Guardian nannte ihn einen romantischen Punk-Poeten, was vielleicht etwas kitschig ist, aber deutlich angemessener für jemanden, in dessen Texten das eigene Leiden so sehr im Mittelpunkt steht, und der vermutlich genau dann ein Gebäude in Brand setzen würde, wenn seine Angebetete zufällig Pyromanin wäre. Die anderen sind, wenn sie nicht sein „Girl“ oder sein „Baby“ sind, King Krule herzlich egal, für sie hat er nur wenige Ratschläge parat: „If you’re going through hell / Well just keep going.“

Leiden ist eine Kunst, und auf diese Kunst versteht sich King Krule selbstzerstörerisch gut. In einem Interview sagte er, es sei ihm egal, ob Leute seine Musik illegal runterladen. Sollen sie ruhig. Er selbst lade sich ja auch all die Musik, die er hört, runter. Er liebe, sagt er, „die Tatsache, dass das Internet die Musikindustrie wirklich gefickt hat“. Eine Scheiß-drauf-Haltung in Perfektion. Deswegen wäre ihm wahrscheinlich auch die Sache mit der Verschwörungstheorie ziemlich egal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • F
    Fae

    Bitte? Frau Stokowski sollte so etwas einfach nicht schreiben, wenn sie keinen Zugang zu bestimmten Musikern hat.

     

    Das Album von King Krule hat es verdient, drei - viermal durchgehört zu werden, um tiefer einzutauchen in das, was er beispielsweise mit seiner Stimme macht. Man bemerkt dann, dass er garnicht singt - seine Stimme ist nur ein weiteres Instrument, das er verdammt gut einzusetzen weiß. Eine Vielfältigkeit, die man so selten hört in einer Zeit der Gaga, Perry, etc.

     

    Wir haben hier einen Text, der sich nur durch diese sarkastische, ätzende Art der Wortaneinanderreihung die man heute so gerne Schreibstil nennt, und unverschämte Bemerkungen zum Aussehen dieses jungen Musikers über Wasser hält und sich im Grunde nur selbst darstellen will.

     

    Hier geht es nicht um King Krule, sondern um Frau Stokowski, die nichts damit anzufangen weiß und das, traurigerweise, öffentlich kund tun muss.

  • R
    Ruhender

    Was hat der mit Punk zu tun? Ein Neo-Tom Waits für Arme, mehr ist da nicht.

  • W
    Werner

    ich mag diese Texte von Frau Stokowski.