Pulse of Europe in Berlin: Mit Schirm, Charme und Sternchen
Am Gendarmenmarkt beteiligen sich trotz Wind und Regen mehrere tausend Menschen am „Pulse of Europe“, darunter viele Über-60-Jährige.
„Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium!“ An diesem verregneten Sonntagnachmittag haben die Veranstalter vorm Konzerthaus am Gendarmenmarkt gute Arbeit getan. Sie haben Zettel mit Friedrich Schillers Text der Europa-Hymne verteilt. Und vor allem haben sie den legendären Klarinettisten Giora Feidman gewonnen. Mit einem Feidman, derden Ton angibt, fällt die Hymne kinderleicht. Großes Gelächter, als er kurz vor seinem Abgang sagt: „Ich habe noch nie vor so vielen Regenschirmen gespielt.“
Der Puls von Europa schlägt nun zum sechsten Mal auf dem zentralen Berliner Platz. Und trotz widrigen Wetters wird er kräftiger. Hatten es unterschiedlichen Schätzungen zufolge vergangenen Sonntag 700 bis 3.000 Leute geschafft, waren es diesmal 2.000 laut Polizei und 4.000 Schirme laut Veranstalter – also mehr als 4.000 Teilnehmer, wenn man all jene mit zählt, die im Regen standen oder sich einen Schirm teilten. Zeitgleich gehen in rund 60 anderen Städten Europas Menschen unter dem gleichen Motto auf die Straße.
In Berlin sind viele über 60 gekommen; gut situierte Menschen, die sich entschuldigen, wenn sie weiter nach vorn wollen. Manche heben und senken an diesem Sonntag ihre vorwiegend blauen Schirme elegant, statt sie umständlich unters Kinn zu klemmen, um in die Hände klatschen zu können. Hier sind Leute, für die eine Welt ohne Schlagbäume, Passkontrollen und Wechselstuben niemals selbstverständlich sein wird: Dietrich, 71, Künstler aus Prenzlauer Berg, die Pensionäre Christel und Bernd, 78 und 75 aus Reinickendorf – und die Deutschlehrerin Monique, 65, aus Steglitz: Sie sind aus tiefster Überzeugung gekommen.
Sie sagen, dass sie Angst vor der weltpolitischen Lage haben wie lange nicht mehr. Sie sind Nachkriegskinder und bekommen es nicht mehr aus den Knochen, wie es um Europa einmal stand. Besonders gut finden sie, dass die Veranstalter betonen, sich nicht von der großen Politik vereinnahmen zu lassen, dass man eine Bürgerbewegung sein will, also offen für alle. Beruhigender Weise wünschen sie sich keine Welt, die wieder übersichtlicher, sondern eine Welt, die wieder gerechter und mitfühlender werden soll.
Auch ein paar Youngsters
Aber es sind auch ein paar jüngere da. Familie Krause aus Schöneberg und Familie Weiß aus Wedding mit je zwei und drei Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter zum Beispiel. Sie klatschen besonders laut, als ein 10-jähriger Franz ans offene Mikrofon tritt. Mit bewundernswerter Selbstsicherheit berichtet Franz von seiner multikulturellen Familie – und davon, welche europäischen Fußballmannschaften er besonders mag (Frankreich, Italien, Portugal, Island und Kroatien – fehlt noch eine?).
Dann bringt Franz plastisch auf den Punkt, was die „Pulse of Europe-Bewegung“ auch immer wieder betont: Es geht nicht nur darum, für den Erhalt Europas in Zeiten von Brexit, AfD und Trump auf die Straße zu gehen. Sondern es geht auch darum, für ein besseres Europa zu demonstrieren.
Franz sagt es ganz einfach so: „Stellt euch vor, ihr wohnt in einem Mietshaus. Es kommen viele Flüchtlinge vorbei. Aber nur die Mieter im Erdgeschoss lassen sie rein. Die weiter oben wollen nichts von den Flüchtlingen wissen.“
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