Psychologin über Kinder und Terror: „Jedes Gefühl ist erstmal richtig“

Notfallpsychologin Ria Uhle erklärt, wie Eltern ihre Kinder vor dem Terror schützen, ihnen die Angst vor weiteren Anschlägen nehmen.

Ein Polizeiauto steht vor einer Weihnachtsmarktbude mit buntem Weihnachtsmann-Motiv

Nicht nur für Kinder dürfte der Weihnachtsmarkt gerade ein Ort der Angst sein – für sie ist es aber schwerer, damit umzugehen Foto: dpa

taz: Frau Uhle, viele Eltern überlegen gerade, wie sie ihren Kindern das Attentat auf den Weihnachtsmarkt erklären? Was würden Sie einem Achtjährigen sagen?

Ria Uhle: Wichtig ist, dass man die Kinder jetzt nicht mit zu vielen Informationen zuschüttet, die die Kinder nicht gefragt haben, sondern dass man bei den Sachverhalten bleibt. Eltern sollten nicht zu viele Mutmaßungen dazu packen. Das würde ein Kind in dem Alter überfordern. Es soll vielmehr spüren: Mit den Fragen, die ich habe, kann ich mich an meine Eltern wenden. Gerade bei Achtjährigen sind Eltern sehr wichtige Bezugspersonen.

Selbst Kinder im Grundschulalter haben heute Smartphones und kriegen sofort mit, dass etwas Schlimmes passiert ist. Wie nimmt man ihnen die Angst?

Kinder zeigen oder sagen ja oft sehr spontan, wie es ihnen geht: Jetzt habe ich Angst, ich will nicht mehr zur Schule gehen. Da ist es ganz wichtig, ihnen ein Sicherheitsgefühl im familiären Kontext zu geben. Damit Kinder die Angst, die sich möglicherweise aufbaut, nicht generalisieren. Es gibt gute Gründe zu sagen: Das ist an diesem Ort zu diesem Zeitpunkt passiert, aber hier zuhaue bist du sicher. Dazu gehört das die vertraute Umgebung, aber auch Rituale, alltägliche Abläufe. Man sollte jetzt nicht den Alltag komplett umkrempeln, sofern man nicht von einem Todesfall in der Familie oder im Freundeskreis betroffen ist. Das ist natürlich eine andere Situation.

Was aber, wenn ein Kind auf dem alltäglichen Schulweg jeden Tag am Breitscheidplatz vorbei muss und mit seiner Angst neu konfrontiert wird?

Jedes Gefühl ist erst mal richtig. Das müssen Eltern ihren Kindern spiegeln. Ich kann verstehen, wenn du jetzt Angst hast. Das sind deine Gefühle, die gehören zu dir und das ist auch ok. Das ist ganz wesentlich. Aber nehmen wir tatsächlich an, ein Kind müsste jetzt jeden Tag über den Weihnachtsmarkt. Die Entscheidung, drüber zu gehen oder nicht drüber zu gehen, würde auch uns Erwachsene schwerfallen. In dem Fall müsste man mit dem Kind den Schulweg angucken, ob es real Hinweise dafür gibt, dass ein anderen Schulweg sinnvoller ist. Die Frage stellt sich ja aber nur noch wenige Tage. Dann ist Weihnachten.

Auch unter dem Christbaum können Kinder Videos vom U-Bahn-Treter in Berlin oder den Todesschüssen auf den russischen Botschafter in Istanbul angucken. Müssen Eltern ihre Kinder nicht auch vor solchen Bildern schützen?

Grundsätzlich haben Eltern eine Verantwortung hinsichtlich des Mediengebrauchs. Sie sollten überprüfen, welche Inhalte ihr Kind auf dem Smartphone konsumiert, in welchen Chats sich gerade die Jüngeren aufhalten. Das kann ein kleines Kind noch überhaupt nicht einordnen. Es macht sich dann seinen eigenen Reim darauf.

Nach den Terroranschlägen von Paris hat die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres die Schulen gebeten, mit den SchülerInnen über deren Ängste zu sprechen. Schürt das nicht sogar das Unsicherheitsgefühl?

Da gilt das gleiche wie in den Familien. Es geht darum, die Fragen der Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Und jede Frage ist legitim. Und legitim ist es auch, wenn wir Erwachsene keine Antwort geben können. Das ist für mich eine Kommunikation auf Augenhöhe, wenn ein Lehrer sagt: Mich beschäftigt das genau so und ich habe keine Antwort drauf. Das kann auch verbinden, wenn Lehrer nicht allwissend, sondern Menschen mit Emotionen sind. Ich finde es gut, wenn an den Schulen ein Klima der Offenheit herrscht.

Nach Paris gab es auch LehrerInnen, die das Thema bewusst nicht angesprochen haben. Was würden Sie als Lehrerin machen?

Das kommt immer auf den Kontext an. Welches Fach unterrichte ich? Bin ich Vertrauenslehrerin? Was nehme ich mit den Schülern gerade durch? Ob es besser ist, das anzusprechen oder nicht, kann man so pauschal nicht bewerten. Wir Psychologen haben da die Leitlinie: Bei Jüngeren eher reaktiv, bei Größeren kann man es ansprechen. Wenn die sich gerade mit Demokratie befassen, dann passt das Attentat, und was das für die Demokratie bedeutet, zum Beispiel gut mit rein.

Beim Attentat von Nizza waren unter den Opfern auch SchülerInnen aus Berlin. Sie waren damals im Krisenstab des Berliner Senat. Falls jetzt wieder Schulkinder betroffen wären – was müsste dann zunächst passieren?

Wir wissen ja noch nicht, ob sich SchülerInnen unter den Opfern befinden. Deshalb wurden wir bisher nicht von den Schulen angefragt. Nach dem Nizza-Anschlag ging es auch erst mal darum, zu klären, welche Schulen überhaupt in welchem Ausmaß betroffen sind. Wenn sich herausstellt, dass Schüler zu Schaden gekommen sind, greifen verschiedene Maßnahmen. Wir als Bildungsverwaltung haben das Team der Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenintervention. Das ist bereit, die Schulen zu unterstützen, Schüler und Lehrer zu begleiten, wenn sie das möchten.

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