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Psyche bei ArmutVor der Krankheit gleich

Menschen in prekären Verhältnissen sind stärker von psychischen Erkrankungen betroffen. Das Leiden erhöht wiederum das Armutsrisiko. Ein Teufelskreis.

Waschmaschine kaputt: Armut erzeugt Stress, und Stress kann krank machen Foto: Ragnar Schmuck/imago images

W ussten Sie, dass von Armut Betroffene besonders häufig an psychischen Störungen erkranken?

Wer in prekären Verhältnissen lebt, sich also ständig überlegen muss, ob das Geld reicht, steht unter extrem hohem Stress. Wie bezahle ich die Klassenfahrt des Kindes? Was mache ich, wenn die Waschmaschine kaputtgeht? Besteht der Stress über einen langen Zeitraum, wird gar chronisch, wirkt sich das auf die Gesundheit aus. Herz-Kreislauf-und Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes und auch psychische Störungen können die Folge sein.

Nun sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits Top­ma­na­ge­r*in­nen protestierend die Hände heben – von wegen erhöhtem Stresspotenzial. Und klar: Je­de*r kann psychisch erkranken. Das ist ja eigentlich das „Tolle“ daran; vor der Störung sind wir alle gleich. Fast jedenfalls. Denn Menschen mit mehr finanziellen Ressourcen können dem aufkeimendem Stress etwas entgegensetzen. Wer Geld hat, kann es sich leisten, seine Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten. Bei wem es akut wird, der*­die kann sich eine Auszeit gönnen und gegebenenfalls selbst für Therapiekosten aufkommen. Ge­ring­ver­die­ne­r*in­nen können das nicht.

So erzählte die Schriftstellerin Ronja von Rönne in einem Interview, dass sie bei ihrer letzten schweren Depression in eine private Klinik ging. Dort gab es nicht nur sofort einen Platz für sie, sondern auch ein Fitnesscenter, einen Malsaal und dreimal die Woche Einzeltherapie. Als „obszön und pervers“ beschrieb sie den Unterschied zu der öffentlichen Einrichtung, in der sie zuvor einmal war. Wer arm ist, darf halt nur den Standard erwarten.

Angst vor der Abwärtsspirale

Wussten Sie, dass psychisch Erkrankte besonders von Armut betroffen sind?

Die Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen erreichten im vergangenen Jahr einen Höchststand. Laut dem Psychoreport der DAK waren Versicherte durchschnittlich rund 39 Tage deshalb krankgeschrieben. Werden psychische Störungen chronisch, kann dies bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führen, was, wer hätt’s geahnt, wiederum das Armutsrisiko erhöht. Das Fiese an Erkrankungen der Psyche ist ja, dass Prognosen zur Genesungszeit mindestens schwierig sind. Als ich letzthin von meiner Ärztin krankgeschrieben wurde, setzte sie zehn Tage an. Nachdem diese verstrichen waren, war ich ratlos. Vermutlich hätte ich eine längere Auszeit gebraucht, aber da ist eben immer auch die Angst, die einem im Nacken sitzt. Die Angst vor der Abwärtsspirale. Was, wenn ich zu lang raus bin? Schaffe ich den Einstieg dann überhaupt wieder? Wann wird aus lang zu lang? Ich muss wohl nicht betonen, dass diese Angst zu vermehrtem Stress führt, der dann wieder … Na, Sie wissen schon.

Wie also umgehen mit dieser Situation, in der ein Elend das andere bedingt? Neben niedrigschwelligen psychologischen Hilfsangeboten könnte dies erfolgversprechend sein: ein bedingungsloses Grundeinkommen.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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6 Kommentare

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  • 4G
    47261 (Profil gelöscht)

    Schwierig ist auch, dass die meisten Psychotherapeuten aus der Mittel- und Oberschicht kommen. In der Ausbildung scheint auch vielen kein oder wenig Verständnis mitgegeben worden zu sein, was Armut bedeutet. Ich habe oft miterlebt, dass die Therapeuten einer Klinik die Patienten, die in Armut aufgewachsen waren, schlicht nicht verstanden, nichts nachempfinden konnten.

  • Das bedingungslose Grundeinkommen ist gerade eben keine gute Lösung für chronisch Kranke. Die Höhe des Grundeinkommens wird sich zwangsläufig am Durchschnittsbedarf orientieren. Gleichzeitig fallen aber alle anderen Sozialleistungen weg. Wer da als kranker oder behinderter Mensch einen deutlichen Mehrbedarf hat auf den kommen dann ganz neue Probleme zu.

    • @Šarru-kīnu:

      Es gibt fürs Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) verschiedene Modelle. Die allermeisten - alle einigermaßen vernünftigen - wollen nicht alle anderen Sozialleistungen ersetzen, sondern zusätzliche Leistungen für Behinderte und Kranke beibehalten.



      Das BGE ist für alle und daher - im Gegensatz zu bedarfsabhängigen Leistungen - nicht mit Bürokratie und Stigmatisierung verbunden. Es wäre deshalb ein Riesenfortschritt. Man müsste nicht erst krank werden, um leben zu dürfen ohne Erwerbsarbeit.



      Bin selbst betroffen und kenne das heutige System seit vielen Jahren aus eigener Erfahrung.



      (Ich hoffe das war jetzt nahe genug am Thema.)

  • Kommentar entfernt, bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Moderation

  • Der neoliberale Zynismus, der Menschen kaputt macht, geht dann in etwa so:



    Ach, die sollen sich mal nicht so anstellen und lieber arbeiten gehen. Würden sie nicht die ganze Zeit auf dem Sofa sitzen, Soaps gucken und ihr Geld für Fast Food ausgeben, dann hätten sie schon längst Geld verdient, was sie dann in Aktien hätten anlegen können. Eigenverantwortung! Fragt die Reichen (und FDP-Politiker*innen). Die haben es Alle von der*dem Tellerwäscher*in zu der*dem Millionär*in gebracht! ;-S

  • Möglicherweise kann man sich als Besserverdiener eine solche Behandlung finanziell leisten, sie passt sie nicht in den Terminkalender. Meine dringend notwendige Wurzelbehandlung hab ich grade in den Juni verschoben, weil da hält noch Termine bei mir frei sind. Ist wohl auch irgendwie Stress.