Prozesse nach Protesten auf Kuba: Den eigenen Gesetzen zum Trotz
Nach den Demonstrationen vom 11. Juli sitzen Minderjährige in Haft. In Sammelprozessen finden Verurteilungen ohne Verteidigung statt.
Doch genau das scheint nicht in vollem Umfang der Fall zu sein, wie selbst die Generalstaatsanwältin der Insel, Yamila Peña, bereits am Samstag gegenüber der Presse einräumte. Demnach seien einige wenige Minderjährige inhaftiert worden.
Elf sind es laut den Recherchen von Cubalex, einer juristischen Beratungsorganisation, die seit 2017 aus Pennsylvania in den USA arbeitet. Geleitet wird die in Kuba 2010 gegründete Organisation, die Ende 2016 nach der Beschlagnahme von Computern und Akten in Havanna in die USA emigrierte, von Laritza Diversent. „Unter den elf Fällen von Minderjährigen, die unseren Recherchen zufolge von den kubanischen Sicherheitskräften festgenommen wurden, sind zwei 15-Jährige, die auch in Kuba noch nicht strafmündig sind.“
Hintergrund ist, dass im kubanischen Strafgesetzbuch die Strafmündigkeit ab 16 Jahren fixiert ist, wonach rein formell die Verhaftung der neun anderen Jugendlichen gesetzlich gedeckt ist. So wie die von Gabriela Zequeira, einer 17-Jährigen, die am 22. Juli in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt wurde. „Störung der öffentlichen Ordnung“ lautete die Anklage gegen die junge Frau, deren Fall die britische BBC publik gemacht hat. Anders als es die kubanischen Gesetze vorschreiben, wurde der 17-Jährigen kein juristischer Beistand gewährt.
Aufenthaltsort unbekannt
„Kein Einzelfall“, so kritisiert Laritza Diversent, die auf das Beispiel des kubanischen Fotografen Anyelo Troya verweist. „Er wurde am 20. Juli ebenfalls in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt, und auch in diesem Verfahren war kein Anwalt zugegen“, kritisiert die Juristin.
Das verstoße gegen kubanische Gesetze. Zudem sei es auch nicht mit dem kubanischen Strafgesetzbuch vereinbar, dass Familienangehörige in vielen Fällen nicht über den Aufenthaltsort ihrer Angehörigen informiert werden. „Wir recherchieren derzeit noch in 36 Fällen, in denen die Familien nicht wissen, wo ihre Angehörigen sind. Sie wurden nicht über deren Festnahme informiert und erhielten in vielen Fällen auch keine Information auf Polizeirevieren oder von Haftanstalten, ob ihre Angehörigen dort festgehalten werden“, so Laritza Diversent.
Das erfülle den Tatbestand des gewaltsamen Verschwindenlassens und sie weist darauf hin, dass Kuba zu den Unterzeichnern der internationalen Konvention gehört, die das gewaltsame Verschwindenlassen ächtet.
Dem widersprach die kubanische Regierung bereits vor einer Woche. „In Kuba gibt es keine Verschwundenen“, so Regierungssprecher Humberto López. Und Víctor Álvarez Valle vom Innenministerium ergänzte, dass es in Kuba auch keine geheimen Gefängnisse gäbe.
Havanna ignoriert Strafgesetzbuch
Dem gegenüber stehen die Recherchen von Cubalex, die weitgehend von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch bestätigt werden. 707 Festnahmen hat die Rechtsberatungsorganisation bisher registriert, 236 davon werden noch überprüft und in 260 Fällen wurden die Menschen wieder freigelassen. Meist sind es die Familienangehörigen, die sich über ein Notruftelefon bei dem Team um Laritza Diversent melden und deren Aussagen aufgenommen werden.
Zudem wird im Internet zu den einzelnen Verhaftungen recherchiert, Verbindungen zu anderen Fällen in der gleichen Stadt und zu Anwält*innen aufgenommen. So hat die Organisation, die sich über Spenden finanziert, auch international auf sich aufmerksam gemacht. Existentiell sind jedoch die guten Kontakte auf der Insel und in die kritische Zivilgesellschaft. Zu Organisationen wie den Künstlergruppen Movimiento San Isidro oder 27N, von denen mehrere Aktivist*innen wie Luis Manuel Otero Alcántara inhaftiert oder unter Hausarrest stehen.
Rein rechtlich, so erklärt Laritza Diversent, sei auch die Verhängung von Hausarrest gegenüber Aktivist*innen der Zivilgesellschaft juristisch nicht haltbar. „Ein Polizist, der einen daran hindert, die eigene Wohnung zu verlassen, ist im kubanischen Strafgesetzbuch nicht vorgesehen. Hier wird im rechtsfreien Raum agiert und das seit Monaten“, kritisiert Diversent.
Alarmierend sei auch, dass rund um den 11. Juli das Strafgesetzbuch nur selektiv angewandt werde. „Wir wissen von keinem Fall, in dem gegen die Sicherheitskräfte wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung ermittelt wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trump und Krypto
Brandgefährliche Bitcoin-Versprechen