Prozesse gegen Aktivist*innen: Tönnies zerlegt Protest
Weil Tierschützer*innen einen Schlachthof blockierten, stehen sie vor Gericht. Tönnies klagt aus taktischen Gründen in 13 Städten gegen Einzelne.
In einem Park gegenüber dem Kieler Landgericht protestieren Aktivist*innen gegen Massentierhaltung und Großschlachtbetriebe. Die Plakate sind vom Gebäude aus zu sehen, in dem das Verfahren gegen Leyla S. (Name geändert) eröffnet wird. Bei der Blockade in Kellinghusen vor eineinhalb Jahren war sie auf das Dach des Schlachthofs geklettert, während andere Mitglieder ihrer Gruppe die Rampen blockierten, über die sonst die Schweine hineingetrieben werden.
Auch gegen diese Aktivist*innen finden derzeit Prozesse statt – aktuell sind es 13 Verfahren in verschiedenen Städten bundesweit, abhängig vom Wohnort der Beschuldigten. Weitere könnten noch folgen.
„Rechtsmissbrauch“, meint Verteidiger Dieter Magsam, der gemeinsam mit Anwältin Ulrike Donat mehrere der Aktivist*innen vertritt. Tönnies setze diese Aufteilung als „Zermürbungstaktik“ ein und verursache unnötige Kosten. Schließlich wäre es auch möglich, alle Fälle in Kellinghusens nächstem Gerichtsstandort Itzehoe zu verhandeln.
15.000 Euro plus Gebühren
Martin Bocklage, Geschäftsführer der Tönnies Central Services, einer Tochterfirma des Schlachtkonzerns, erklärt, dass die Firma aus prozesstaktischen Gründen „kein Interesse“ an einem gemeinsamen Verfahren hatte.
„Wenn die Folge sein sollte, dass sich das Gegenüber künftig im Vorfeld überlegt, welche Konsequenzen ein Verhalten hat, spricht nichts dagegen“, sagt er der taz. Immerhin seien alle Aktivist*innen erwachsen, und Tönnies nutze die legalen Möglichkeiten. Legal, dennoch problematisch, findet Magsam: „Hier soll Kritik mundtot gemacht werden.“
Das erste der Verfahren ist bereits beendet. Das Gericht verurteilte einen Aktivisten zu 15.000 Euro plus Gebühren – eben jene Summe, um die es auch im Prozess gegen Leyla S. geht. Diesen Schadensersatz kann die Firma von allen Beklagten verlangen, doch wenn das Geld einmal gezahlt wird, ist der Fall insgesamt erledigt. Es bleiben dann individuelle Unterlassungsklagen. Da die Verteidigung im ersten Prozess Berufung eingelegt hat, bleiben die weiteren Verfahren offen.
Ein Fall hätte in Braunschweig verhandelt werden sollen, das dortige Gericht erklärte sich aber für nicht zuständig und schickte die Klage nach Itzehoe weiter.
Die Richterin im Kieler Verfahren zweifelt hingegen nicht an ihrer Zuständigkeit: „Es steht dem Kläger frei, den Ort zu wählen.“ Dennoch fragt sie detailliert nach, worauf sich der Schadensersatzanspruch des Schlachthofs gründet. Laut Tönnies seien Kosten entstanden, weil eigene wie fremde Arbeitskräfte warten mussten, und ein Stall musste gemietet werden, um die Tiere unterzustellen. Zudem hätten die Schweine durch das Warten an Wert verloren.
Dieter Marksam, Verteidiger der Tierrechts-Aktivist*innen
Bocklage beschrieb seine Branche als „traditionelles Geschäft, ganz wie früher auf dem Viehmarkt“, nur dass inzwischen per Mail oder Telefon gehandelt werde. Dennoch gebe es kaum Verträge, nur mündliche Absprachen. Die Extrakosten, die die Blockade verursacht habe, habe Tönnies freiwillig bezahlt, berichtete Bocklage: „Der Viehmarkt in Schleswig-Holstein ist überschaubar. Man trifft jeden Tag auf dieselben Leute, da ist man gut beraten, die Marktmacht nicht auszuspielen.“
Und diese Marktmacht ist groß: Tönnies schlachtet im Jahr europaweit 21 Millionen Schweine, die allein in Deutschland von 16.000 Landwirt*innen oder Erzeugergemeinschaften geliefert werden.
In den Belegen, die Tönnies dem Gericht vorlegte, seien die Zahlen nicht plausibel, so die Richterin. Problematisch sieht sie auch die weitreichende Unterlassungsklage, die Leyla S. künftig sogar verbieten würde, draußen auf der Straße gegen den Schlachtbetrieb zu demonstrieren. So weit dürfe die Unterlassung nicht gehen.
Meinungsfreiheit versus Eigentumsrecht
Für Verteidigerin Ulrike Donat dreht sich das Verfahren um einen zentralen Punkt: „Natürlich darf niemand in einem privaten Garten demonstrieren, aber wie privat ist das Gelände einer Firma mit beherrschender Marktmacht?“
In einer ersten Einschätzung wiegt die Richterin das Recht auf Meinungsfreiheit gegen das Eigentumsrecht auf: „Das Recht auf Demonstrationen findet Grenzen im Eigentumsrecht.“ Doch das Recht verschiebe sich an diesem Punkt gerade, sagt Donat, und Dieter Magsam stimmt zu: „Zu Beginn der Brokdorf-Proteste hieß es auch, die Demonstrationen dürften nicht vor Ort stattfinden.“
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