piwik no script img

Prozessauftakt Bamf-SkandalGroßes Theater für Kleinkram

Im Konzertsaal verhandelt das Bremer Landgericht über die Reste des Bamf-Skandals. Zwei Angeklagten werden 22 vage Taten zur Last gelegt.

Die ehemalige Leiterin (2.v.l.) der Bremer Außenstelle des BAMF im Gerichtssaal Foto: Michael Bahlo/dpa

BREMEN taz | Gerade einmal fünf Zu­schaue­r*in­nen verteilen sich auf die 1.400 Plätze: Vor dem Landgericht Bremen hat am Donnerstag die Hauptverhandlung im so genannten Bamf-Verfahren begonnen. Er soll den vermeintlichen Skandal um die Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufklären. Sitzungsort ist, coronabedingt, „Die Glocke“. Das ist das Bremer Konzerthaus, ein Meisterwerk expressionistischer Architektur.

Auf dem Podest, wo sonst die Philharmoniker Gustav Mahlers Sinfonien 1 bis 10 aufführen, sitzen nun, den Rücken zum Publikum, die beiden Angeklagten Ulrike B. und Irfan Ç. und ihre drei Verteidiger*innen. Im Hintergrund – wo die Kesselpauke steht – hat die Große Strafkammer Platz genommen. Und verhandelt nun Kleinigkeiten.

„Vergehen“ heißt es selbst in der Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen und nicht etwa Verbrechen. „Wir sitzen hier wegen Vorwürfen“, fasst die Vorsitzende Richterin Maike Wilkens zusammen, „die in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts fallen.“

Das ist der Stoff, mit dem das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel zwischen April und September 2018 fast 20 Druckseiten befüllt und wohl auch eine ausländerfeindliche Stimmung geschürt hatte. Polizei und Staatsanwaltschaft Bremen ermittelten, unterstützt von Leuten aus der Nürnberger Bamf-Zentrale, wegen des Verdachts auf insgesamt 16.000 Straftaten. Ulrike B., seit deren Gründung Leiterin der Bamf-Außenstelle, hätte massenhaft falsche Asylbescheide erstellt, hieß es damals.

Spiegel-Leser wissen immer noch nix

Absurdes Justiz-Theater im expressionistischen Konzertsaal „Die Glocke“ in Bremen Foto: Michael Bahlo/dpa

Zusammen mit Irfan Ç., Asylrechtsanwalt in Hildesheim und Angehöriger der jesidischen Gemeinde, hätte sie die Dienststelle, die als ihr Lebenswerk gelten kann, zu einem Schlupfloch gemacht. Bis heute hat das Magazin seine Print­le­se­r*in­nen nicht darüber informiert, dass sich von den damals erhobenen Vorwürfen nichts hat substanziieren lassen.

Denn auch Bremens größter Ermittlungsgruppe seit Bestehen des Bundeslandes war es nur gelungen, 121 Vorwürfe zusammenzuschreiben. Den größten Teil davon hatte dann die Strafkammer nach einem Jahr Prüfung der Anklageschrift für Quatsch befunden: Zur Verhandlung zugelassen hat sie gerade mal 22 Punkte.

So ist übrig geblieben, dass Ulrike B. im elektronischen Bamf-System „Maris“ eine Datei in einen Ordner geschoben hat, in dem für erledigt befundene Vorgänge abgelegt werden. Als Vertuschungsversuch von was auch immer wertet das die Staatsanwaltschaft.

Die Angeklagte hätte zudem – warum ist unklar – Bescheide unter dem persönlichen Account eines ihrer Untergebenen erstellt. Das wird aber nur behauptet. Wie es bewiesen werden soll, ist nicht klar: Einschlägige Zeu­g*in­nen scheint es nicht zu geben.

Ein Stempel passt auf alles

Und dann hat Ulrike B. noch mehrfach per Mail Informationen weitergeleitet: standardisierte Fragebögen, die im Asylverfahren zum Einsatz kommen, und interne Länderberichte, die nicht, wie Info-Broschüren, zum Publikationsprogramm des Bamf gehören. Sie tragen einen VS-NFDG-Stempel. Das Kürzel steht für „Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch“.

Darin will die Anklagebehörde den Verrat von Dienstgeheimnissen erkannt haben. Richterin Wilkens deutete an, in dieser Frage die staatsanwaltliche Einschätzung teilen zu können. Die Verteidigerin Lea Voigt warnte hingegen davor, den Stempel als Indiz überzubewerten. „Damit kann ich alles stempeln“, sagte sie.

„Etwas als Amtsgeheimnis zu klassifizieren, liegt im rechtsstaatlichen Verfahren nicht in der Entscheidung der Behörde“, erinnerte sie an den Transparenz-Grundsatz. Verteidiger Johannes Eisenberg verwies auf einschlägige Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Das hatte 2015 analoge und identisch klassifizierte Bamf-Dokumente, deren Einsicht dem Verein Pro Asyl verwehrt worden war, als nichtgeheim eingestuft.

Daraus, dass sie offenlege, wie sie bestimmte Normen auslegt, „erwächst einer rechtsstaatlichen Verwaltung kein Nachteil“, heißt es in dem Beschluss. Die Frage ist nur, ob das Bamf eine solche sein will.

Bei Irfan Ç. glauben die Ver­tre­te­r*in­nen der Anklagebehörde zwar noch an eine Haftstrafe, aber wie sie zu der Einschätzung kommen, bleibt unklar. Der Vorwurf, er habe Menschen geholfen, sich unerlaubt in Deutschland aufzuhalten, dürfte sich nach der Auftaktsitzung erledigt haben.

Beihilfe zu erlaubtem Aufenthalt

Ç.s Anwalt Henning Sonnenberg wies darauf hin, dass die fraglichen Personen nach Aktenlage alle mindestens über eine Aufenthaltsgestattung verfügten. „Es ist also unmöglich anzunehmnen, dass mein Mandant Beihilfe zu einem nicht vorhandenen unerlaubten Aufenthalt geleistet hätte.“ Die Vorsitzende signalisierte Verständnis für dieses Argument.

Die Staatsanwaltschaft behauptet ferner, Ç. habe Menschen aus den GUS-Staaten angestiftet, sich als Irakis auszugeben. Dabei stützt sie sich auf eine soziolinguistische Einschätzung des Bamf – also eine Analyse von Sprache und Dialekt der Migrant*innen.

Allerdings haben diese gültige irakische Pässe, wie Sonnenberg betonte. Auch Wilkens formulierte Zweifel daran, dass die Staatsbürgerschaft wirklich vorgetäuscht sei: „Diese Menschen halten sich für Iraker“, so die Richterin. Wozu sie Irfan Ç. dann angestiftet haben soll, ist unklar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Von der Presse aufgebauschte Vorwürfe. Fast 20 Druckseiten beim Spiegel. So schnell kann aus einer kleinen Geschichte eine große Story werden. Gut, dass es Gerichte gibt, die sich davon nicht beeindrucken lassen, sondern nach harten Fakten und Beweisen fragen. Behaupten kann man viel. Und der Spiegel schmückt es dann gerne auch noch spekulativ aus. Wie bei allen Strafprozessen gilt die Unschuldsvermutung. Nicht die Angeklagte muss ihre Unschuld beweisen, sondern die Staatsanwaltschaft eine etwaige Schuld. Das erscheint im vorliegenden Fall ziemlich unmöglich. Von 16.000 Vorwürfen werden gerade mal 22 Punkte überhaupt ernsthaft diskutiert.

    Der Spiegel hat es neulich zumindest versucht, das wieder gut zu machen: "Die Unschuldsvermutung gilt nicht nur für Männer" - titelt Margarete Stokowski kürzlich ihre Kolumne. Da ging es zwar um metoo-Geschichten, aber das rechtsstaatliche Prinzip ist natürlich dasselbe.

    • @Winnetaz:

      Das viel größere Problem ist doch, dass der Bundesinnenminister diese Vorwürfe ungeprüft übernommen und sie öffentlich aufgebauscht hat um eine Vorwand zu haben die Amtleitering zu feuern. Dadurch wurde ein schönes Pöstchen für einen Bayerischen Spezi frei...

      • 8G
        82286 (Profil gelöscht)
        @Mainzerin:

        Daß die CDU/CSU wirklich am Ende sind, läßt sich leicht daran erkennen, daß die zwei "Minister" Seehofer und Scheuer noch im Amt sind. Herrn Müller (BM für Entwicklung) möchte ausdrücklich ausnehmen.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    "„Vergehen“ heißt es selbst in der Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen und nicht etwa Verbrechen."

    Eine kurze Definitionsklärung: "Vergehen" sind alle Handlungen, die einen Straftatbestand erfüllen, "Verbrechen" sind solche Vergehen, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt sind. Auch Fahrlässige Tötung und Abtreibung sind daher "nur" Vergehen, womit klar sein dürfte, daß das Kleinreden der Vorwürfe, wie es in dem Wort "selbst" zum Ausdruck kommt, wohl deplatziert ist.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Man könnte fast auf die Idee kommen, Sie hätten in der AT-Vorlesung gut aufgepasst. Und dann fällt einem auf, dass Ihnen dann auch aufgefallen sein müsste, dass die Differenzierung in der Strafandrohung deutlichen Unterschieden in der Unrechtsqualität folgt. Wir differenzieren z.B. Erfolgs- und Handlungsunrecht. Weshalb fahrlässige Tötung denn eben auch ein eigener Tatbestand ist und nicht unter das Vorsatzdelikt Totschlag fällt. Einen Straftatbestand „Abtreibung“ gibt es überhaupt nicht. Was Sie meinen, ist der Schwangerschaftsabbruch, der als Straftatbestand völlig zu recht politisch hoch umstritten ist. Aber das lernen Sie dann in der BT-Vorlesung.

      • 1G
        14390 (Profil gelöscht)
        @wuupVG:

        Entschuldigen Sie bitte, daß mir der Fehler unterlaufen ist, die populäre Bezeichnung "Abtreibung" an Stelle des korrekten Begriffs "Schwangerschaftsabbruch" zu verwenden. Zum Glück haben Sie mich trotzdem verstanden.



        Ob der Schwangerschaftsabbruch - Sie sehen, ich bin lernfähig! - "zu recht politisch hoch umstritten ist", darüber kann man geteilter Meinung sein.



        Aber ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht nur in der AT-Vorlesung recht aufmerksam war, auch im BT-Teil habe ich nicht geschlafen. Jedenfalls danke ich für Ihren väterlichen - oder Dank meines Alters eher großväterlichen? - Umgangston.

      • @wuupVG:

        -;)) vllt