Prozess zum Mord an Walter Lübcke: Stephan Ernst gesteht den Schuss
Er habe sich von falschen Gedanken leiten lassen, erklärt der Tatverdächtige im Fall Lübcke. Den Mitangeklagten Markus H. belastet er schwer.
Zwar habe er selbst in der Tatnacht den tödlichen Schuss abgegeben, bekannte Ernst. Die Tat habe er allerdings gemeinsam mit seinem „Mentor“ H. geplant und ausgeführt. „Ich habe mich von falschen Gedanken und Personen leiten lassen“, erklärte der mutmaßliche Mörder und bat die im Gerichtssaal anwesende Witwe und die Söhne Lübckes um Verzeihung. Er wisse, was er ihnen angetan habe, sagte Ernst und fügte hinzu: „Es tut mir leid. Ich kann es nicht rückgängig machen.“
Mit diesem dritten Geständnis korrigierte Ernst seine bisherigen Aussagen, in denen er sich zunächst selbst als Einzeltäter und dann den Mitangeklagten H. als angeblichen Todesschützen belastet hatte. Seine damaligen Verteidiger hätten ihm zu diesen Falschaussagen geraten, verteidigte sich Ernst.
Der Angeklagte überließ es seinem Rechtsanwalt Mustafa Kaplan, die Erklärung zu verlesen, in der er seine „beschissene Kindheit und Jugend“, den Weg in die rechtsextreme und neonazistische Szene, seine politische Radikalisierung und schließlich die Vorbereitung und Ausführung des Mordes nachzuzeichnen versucht. Sein Elternhaus schildert er als „Hölle aus Gewalt, Jähzorn und Einsamkeit“. Der alkoholabhängige Vater habe ihn und seine Mutter regelmäßig und aus nichtigen Anlässen brutal zusammengeschlagen: „Ihre Schreie, ihr Flehen, ihr Weinen – es war nicht auszuhalten.“
Schießübungen auf Fotos von Angela Merkel
Es folgten Angstzustände, als Neunjähriger habe er begonnen, sich selbst zu verletzten. Die Freundschaft mit einem türkischen Jungen zerbricht, der Vater verbietet ihm, mit „Kanaken“ zu spielen. Ihre rassistische Einstellung wird schließlich zum einzigen verbindenden Element zwischen Vater und Sohn.
Die kriminelle Karriere des Jugendlichen beginnt mit Einbrüchen und Diebstählen, schließlich folgt ein Brandanschlag auf Geflüchtete. In der Jugendhaft gibt es erste Kontakte zu „national eingestellten“ Mitgefangenen. Über eine NPD-Party und Demonstrationen gerät Ernst in die Neonazi-Szene mit Straßenschlachten im „Anti-Antifa-Kampf“. Stets hätten ihn Selbstzweifel und Angstzustände begleitet. Er versucht es mit Therapien und Medikamenten.
Nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene will Ernst sich eigentlich auf Familie, Beruf und sein Haus konzentrieren. Doch in seiner Firma trifft er auf den Waffennarr und Extremisten Markus H. Der motiviert ihn zum Bogenschießen in einem Schützenverein. Man redet über Politik. H. habe von bevorstehenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen: „Wir Deutschen müssen uns bewaffnen“, habe er gesagt. „Er hat mich radikalisiert und aufgehetzt und ich habe es ihm erlaubt“, sagt Ernst: „Er bestimmte, wo wir hingehen.“
Es folgen Schießübungen mit scharfen Waffen, man zielt auf Schießscheiben, auf denen Bundeskanzlerin Angela Merkel abgebildet ist. In der Wahrnehmung von Ernst und H. ist sie eine „Volksverräterin“, wie auch Walter Lübcke, der 2015 Merkels Flüchtlingspolitik verteidigte und so ins Fadenkreuz der beiden gerät.
„An den kommen wir ran“, habe H. gesagt. Dann reifte der Plan, Lübcke einen „Besuch“ abzustatten. Wochen vor der Tat hätten sie falsche Kennzeichen vorbereitet, am Tattag seien sie gemeinsam zum Haus des CDU-Politikers gefahren. Bei der Konfrontation mit Lübcke auf dessen Terrasse ein letzter Wortwechsel: „Für so was wie dich gehe ich arbeiten“, habe Ernst gerufen und H. „Zeit zum Auswandern!“. „Verschwinden Sie!“ habe Lübcke entgegnet, dann habe Ernst abgedrückt.
Seit gut einem Jahr sitzt er in Untersuchungshaft. Er bittet den Vorsitzenden Richter, ihn in ein Programm für Aussteiger aus der Neonaziszene zu vermitteln. „Niemand sollte sterben, weil er eine andere Meinung, Religion oder Herkunft hat“, lässt der mutmaßliche Mörder schließlich seinen Verteidiger vortragen.
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