Prozess wegen G20-Jahrestag: Von der Park- auf die Anklagebank
Am zweiten Jahrestag des G20-Gipfels in Hamburg sind drei Menschen mit Brandsätzen festgenommen worden. Nun wird ihnen der Prozess gemacht.
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten die Verabredung zu gemeinschaftlicher Brandstiftung in drei Fällen und schwere Brandstiftung in einem Fall vor. Die beiden männlichen Angeklagten Felix R. und Ingmar S. sitzen seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft, die dritte Person, eine junge Frau, ist unter Auflagen frei. Eine vierte, unbekannte Person verdächtigen die Ermittler*innen, in die Pläne involviert gewesen zu sein. Von dieser Person fehlt offenbar aber jede Spur.
Laut der Generalstaatsanwaltschaft, die das Verfahren an sich gezogen hat, soll sich das Trio am zweiten Jahrestag des G20-Gipfels, also in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2019, gegen Mitternacht in einem Park in Hamburg-Eimsbüttel getroffen und auf die vierte Person gewartet haben, um von dort aus zu den vier mutmaßlichen Zielen der Brandanschläge aufzubrechen. Diese stehen alle in Verbindung mit der Hamburger Wohnungspolitik und Immobilienbranche: das Wohnhaus der Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld (SPD), ein Maklerbüro der Immobilienfirma Grossmann & Berger, ein Geschäftsraum des Wohnungskonzerns Vonovia und ein Auto desselben Konzerns. Diese Adressen sollen auf einem Zettel gestanden haben, den einer der Angeklagten bei sich trug.
Zum Brand kam es jedoch nicht. Nach einer halben Stunde, in der die drei auf einer Parkbank saßen und nichts passierte, nahmen fünf Zivilpolizist*innen das Trio fest. Die Fahnder fanden laut Aussage der Staatsanwaltschaft bei allen Wechselbekleidung und Feuerzeuge, aber keine Zigaretten. Einer der Festgenommenen, Felix R., soll vier Brandsätze in einer Reisetasche dabei gehabt haben.
Angeblich auffälliges Verhalten
Wie die Polizei darauf gekommen war, das Trio zu kontrollieren, war zunächst nicht ganz klar gewesen. Die drei hätten sich auffällig verhalten, hatte es in der offiziellen Sprachregelung der Polizei geheißen. Da das aber sehr unwahrscheinlich ist – wie auffällig verhält man sich wohl nachts in einem Park, wenn man Brandsätze dabei hat? Und wie wahrscheinlich ist es, dass dann gerade fünf Polizist*innen vorbei schlendern? – war es schnell ein offenes Geheimnis, dass die drei, oder einer oder zwei von ihnen, im Vorfeld des zweiten G20-Jahrestags observiert worden waren. Auf taz-Anfragen weigerten sich aber sowohl die Polizei als auch die Innenbehörde, das zuzugeben.
Mit Verlesung der Anklage ist es nun nicht mehr zu leugnen. Detailliert beschreibt der Oberstaatsanwalt den Tagesverlauf des Beschuldigten R.: Er habe Brandstoff für drei Brandsätze beschafft und Halbliter-PET-Flaschen mit einer Lunte, Kabelbindern und Streichhölzern versehen. Dann sei er mit dem Fahrrad zur nächsten Shell-Tankstelle gefahren, wo er einen Kanister mit Benzin befüllte. Anschließend soll er zu einer Kleingartensiedlung geradelt sein, wo er den Inhalt des Kanisters in eine PET-Flasche umfüllte. Dann soll er zurück zur Wohnung gekehrt sein, die er später zusammen mit S. Richtung der Grünanlage verließ.
Angeklagten drohen Haftstrafen
Für die Angeklagten sieht es nicht besonders gut aus – das erwartete Strafmaß liegt laut Staatsanwaltschaft bei mindestens einem und höchstens 15 Jahren Haft. Zugute kommen könnte den Angeklagten, dass sie nicht vorbestraft sind. Die insgesamt sechs Anwält*innen der Betroffenen halten sich derweil bedeckt und äußern sich nicht gegenüber der Presse. Ob sie zu sechst bleiben, ist noch nicht ausgemacht.
Weil das Verfahren so umfangreich wird – 28 Termine sind bis April angesetzt, danach können weitere folgen – hatte die Verteidigung beantragt, jedem Angeklagten eine*n zweiten Verteidiger*in zur Seite zu stellen. Die Richterin hatte zugestimmt. Der Generalstaatsanwaltschaft passt das aber nicht, sie hat Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt.
Der nächste Termin soll am 16. Januar stattfinden. Die linke Szene Deutschlands überhäuft die „Drei von der Parkbank“ derweil mit Solidaritätsbekundungen. Am Vorabend des Prozesses waren 400 Personen zur Untersuchungshaftanstalt gezogen. Ein Lautsprecherwagen spielte „We are your friends“, Gefangene standen an den Fenstern, einer tanzte. „Vom Prozess versprechen wir uns nicht viel“, sagte eine Rednerin an die zwei Inhaftierten von der Parkbank addressiert. „Aber wir freuen uns, dass wir jetzt 28 Tage zusammen verbringen können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört