Prozess um Vergewaltigung in Freiburg: Zehn Haftstrafen und ein Freispruch
Der Prozess zur Gruppenvergewaltigung in Freiburg ist nach fast zwei Jahren zu Ende gegangen. Der Haupttäter muss für über fünf Jahre ins Gefängnis.
Elf Angeklagte und zehn zum Teil langjährige Haftstrafen, dazu ein Freispruch, so lautet die Bilanz nach 46 Verhandlungstagen in einem Verfahren, das in der Presse als Freiburger Gruppenvergewaltigung bekannt wurde. Es sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit, weil die meisten der Angeklagten, die zur Tatzeit zwischen 18 und 30 Jahre alt waren, Geflüchtete sind. Einige von ihnen waren bereits vorbestraft, manche auch schon wegen Gewaltdelikten.
Der Prozessauftakt im vergangenen Jahr war noch von Demonstrationen begleitet gewesen, die Urteilsverkündung fand unter Corona-Bedingungen in einem Gemeindesaal statt. Mit leichter Verzögerung verkündete Richter Bürgelin nun das Urteil der Jugendstrafkammer. Der Hauptangeklagte Majid H. muss wegen Vergewaltigung für fünf Jahre und sechs Monate in Haft.
Er hatte die alkoholisierte und unter Drogeneinfluss stehende Miriam W. in das Wäldchen nahe einer Diskothek geführt, um ihr angeblich eine Tätowierung zu zeigen. Danach hat er sie auf den Boden geschubst, festgehalten und vergewaltigt. Er habe die 18-Jährige dann alleine liegen gelassen und die anderen Männer geholt. Es folgte ein stundenlanges Leiden für die junge Frau.
Keine Strafe für den „Retter“
Sein Freund Ibrahim M., der der Frau eine Ecstacy-Tablette verkauft hatte, muss für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Auch er habe die Frau sexuell missbraucht und andere aufgefordert, das Gleiche zu tun.
Die anderen jungen Männer, denen das Gericht eine Vergewaltigung nachweisen kann, erhalten Haftstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bis zu vier Jahren. Zwei Angeklagte erhalten eine Strafe von vier und sechs Monaten wegen unterlassener Hilfeleistung.
Nur Mohammad M. wird von allen Vorwürfen freigesprochen und muss sich nur noch wegen eines Drogendelikts verantworten. Er war derjenige, der der Frau half und ihr zusammen mit ihrer Freundin in der Nacht eine Möglichkeit zur Übernachtung gab. Ihn hatte die 18-Jährige in ihrer Aussage als „Retter“ bezeichnet. Insgesamt folgte das Gericht mit seinem Urteil im Wesentlichen den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Der Abend im Oktober 2018 hatte für die 18-Jährige diesen dramatischen Verlauf genommen, nachdem sie Majid H. in der Diskothek kennen gelernt und eine hochdosierte Ecstacy-Tablette eingenommen hatte. Der psychologische Gutachter und Drogenexperte Torsten Passie bescheinigte der Frau, die vorher keine Erfahrungen mit Drogen hatte, während der Vergewaltigung in einem „psychoseähnlichen“ Zustand, gewesen zu sein, der eine Gegenwehr unmöglich gemacht habe. Sie selbst hat in ihrer nichtöffentlichen Aussage, die das Gericht in der Urteilsbegründung zitiert, nur noch von bloßen „Erinnerungsinseln“ an die Tatnacht gesprochen.
Keine glaubhaften Gegendarstellungen
Alle Behauptungen der Angeklagten, die Frau habe Sex mit den Männern gewollt, nannte das Gericht – gestützt auf psychologische Gutachten – „eine Standardeinlassung von Angeklagten bei Vergewaltigungsprozessen“ und nicht glaubhaft. Eventuelle Rufe von ihr, die die Männer ermuntert haben könnten, seien dem offensichtlichen Drogeneinfluss geschuldet, den auch die Täter bemerken mussten. Die junge Frau hat bis heute mit schweren gesundheitlichen Folgen zu kämpfen.
Für die Angeklagten falle die lange Prozessdauer mildernd ins Gewicht, erklärte die Jugendkammer. Der Prozess dauerte fast zwei Jahre und wurde durch den Corona-Lockdown zusätzlich verzögert. Außerdem stellte das Gericht bei den Angeklagten Flucht- und Gewalterfahrungen in ihrer Jugend in Rechnung, betonte aber auch, dass Vorstrafen bei Einzelnen zur Strafverschärfung geführt haben. Übrigens auch bei dem einzigen Angeklagten mit deutschem Pass, Timo B., der zu drei Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Auch er ist bereits wegen Raubes vorbestraft und muss nun für 3 Jahre in Haft.
Die Anwältin von Miriam W. die im Prozess als Nebenklägerin aufgetreten war, äußerte sich zufrieden zu dem Urteil. Sie hoffe, dass ihre Mandantin mit dem Geschehenen abschließen könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus