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Prozess gegen ehemalige KZ-SekretärinZwei Jahre auf Bewährung

Wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen hat das Landgericht Itzehoe eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof bei Danzig schuldig gesprochen.

Die Angeklagte Irmgard F. sitzt im Gerichtssaal neben ihren Anwälten Niklas Weber (2.v.r.) und Wolf Molkentin Foto: Marcus Brandt/dpa

Itzehoe dpa | Die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof, Irmgard F., ist der Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen schuldig. Das Landgericht Itzehoe verurteilte die 97-Jährige am Dienstag zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Nach Festellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet. Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt.

Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.

„Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldigsprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten“, erklärte Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat.

Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht 8 der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof.

Am ersten Verhandlungstag verschwand sie

Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.

Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.

Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte sie ihr Schweigen gebrochen. „Es tut mir leid, was alles geschehen ist“, sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: „Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.“

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13 Kommentare

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  • Man sieht staunt und fragt sich was sollte das....

  • Die eigentlichen Verbrecher waren andere.

    • @Sonntagssegler:

      Der Holocaust hätte nicht funktioniert, wenn nicht abertausende von Volksgenossen brav und fleißig mitgearbeitet hätten.

      Eike Geissel hat diese Leute als "Otto Normalvergaser" bezeichnet.

      Sie taten, was sie tun mussten, sie erfüllten ihre Pflicht, wie sich das für Deutsche gehört.

      Sie waren Teil einer monströsen Jahrtausendaufgabe und glaubten der Welt einen Gefallen zu tun.

      Jede und jeder, der mitgemacht hat, trägt Schuld und Verantwortung.

      Deshalb sind diese Prozesse gegen diese Greise richtig. Deswegen und natürlich wegen der Holocaust-Überlebenden.

      • @Jim Hawkins:

        die dame war 18 und wurde mit hoher wahrscheinlichkeit von eltern oder sonst wen dahin geschickt.



        es ist leicht zu urteilen aus der entfernung und ohne empathie...



        von den eigentlich schuldigen waren später viele richter politiker und beamte, für das versagen soll jetzt ein damals kleines mädchen zahlen... das ist freislergerechtigkeit....

        • @beck jürgen:

          "Freislergerechtigkeit".

          Ein Fantasiewort erklärt alles.

          Der bundesrepublikanische Volksgerichtshof verurteilt in einem Schauprozess einen unschuldigen Teenager. Nein, "ein kleines Mädchen".

          Das Volk der Täter wird zum wehrlosen, unschuldigen Opfer.

          Eine Meisterleistung der Täter-Opfer-Umkehrung.

          Als würde die Assistentin von Piech sagen:

          "Ich wusste nicht, dass in diesen Fabriken Autos hergestellt wurden."

          Das wird nie vorbei sein.

          Horkheimer beschrieb die Deutschen als das am meisten verhärtete Kollektiv und Sie haben die Bestätigung für diese These geliefert.

          • @Jim Hawkins:

            ein ganzes volk, tod oder lebendig zum täter zu erklären ist genau das was ich meine... freislergerechtigkeit...



            haben die scheiß nazis nicht exakt das getan?



            wenn das wort alles erklärt, warum schreibst Du denn weiter?

            • @beck jürgen:

              Ach wissen Sie, normalerweise schreibe ich so lange weiter, solange es mir Spaß macht.

              Und:

              Sie haben natürlich recht, bekanntlich wäre es dem massenhaften deutschen Widerstand um ein Haar gelungen, den Nazis das Handwerk zu legen.

      • @Jim Hawkins:

        Kausal ist ein Ereignis, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne das der tatbestandliche Erfolg entfiele.

        Danach wäre das Tun der Sekretärin nicht kausal.

        Psychische Beihilfe liegt vor, wenn der Täter durch den Helfer in seinem Tun bestärkt wird. Hat irgendein SS-Wachmann sich bestärkt gefühlt, weil da die Sekretärin saß?

        Rechtsstaat ist, wenn man sich an Regeln hält auch wenn es weh tut.

        Wie ist das eigentlcih mit der Bürokratie hinter den mauerschützen? Die zu Beispiel den Grenzern Munition, Essen brachten und die Einsatzberichte tippten? Auch Helfer zum Totschlag?

        • @Erwin Schiebulski:

          Ich gehe davon aus, dass sich das Gericht bei seinem Urteil an die geltenden Gesetze gehalten hat.

          Ein SS-Wachmann brauchte keine Bestärkung, ihm genügte sein Eid auf den Führer.

          Der aparte Vergleich mit der DDR hinkt meines Erachtens. Die Cordhut-Diktatur war natürlich keine Demokratie.

          Es gab aber keine KZ, keine Vernichtungskriege, keine SS und keine Nürnberger Gesetze.

          Die Zahl der Toten an der Grenze zu Westdeutschland entspricht in etwa der der Flüchtlinge, die pro Monat bei dem Versuch, Grenzen zu überwinden, im Mittelmeer ertrinken.

          Dafür wird niemand zu Rechenschaft gezogen. Schuldig sind wir wohl alle.

          • @Jim Hawkins:

            Das sind alles keinerlei Aspekte, die juristische Relevanz hätten.

            Wir kommen immer weiter zu einem Gesinnungsstrafrecht. M. E. macht sich das Gericht da einen schlanken Fuß und geht den Weg des geringsten Widerstandes, um den unangenehmen Fall unter Beifallklatschen der Journaille loszuwerden.

            Wie gesagt, Rechtsstaat tut schon mal weh. Jetzt ist die Beihilfe-Regelung vollkommen konturlos und alles und nichts kann Beihilfe sein.

        • @Erwin Schiebulski:

          Ich bin der Meinung, dass es Zeit wurde, dass sich die Rechtsauffassung durchgesetzt hat, dass es sich hier um Beihilfe handelt. Wenn auch zu spät.



          Ohne Hilfe und Unterstützung der "Bürokratie" bzw. der Verwaltung hätte das Lager seinen Mordbetrieb nicht so reibungslos abwickeln können.



          Die Opfer sind hier nicht die Sekretärinnen und Buchhalter.



          Fragen Sie sich nicht, wie man "drauf sein muss" um einen Arbeitsort zu wählen, an dem Kinder und ihre Familien gequält und ermordet werden?

          • @Nansen:

            anschließe mich - schau erst jetzt hier rein: “Freislergerechtigkeit“ - da packste dich ja echt an die Birne.

            • @Lowandorder:

              Da möcht man brechen. Das passendste, was mir zu diesem Foristen, der das von sich gegeben hat, einfällt ist von Eric Cantona:

              "Mit Rassisten diskutieren, das ist, wie mit einer Taube Schach spielen: Egal wie gut du bist, egal wie sehr du dich anstrengst, am Ende wird die Taube aufs Spielfeld kacken, alles umschmeißen und umherstolzieren, als hätte sie gewonnen."

              Jetzt brauche ich nur noch einen passenden Ersatz für"Rassisten". Wie sieht's aus mit "NS-Relativierer"? Ich weiß, nicht grade griffig.