Prozess gegen Ölkonzern: Exxon wusste alles

Der Ölkonzern Exxon weiß seit Jahrzehnten, dass sein Geschäft das Klima zerstört. Jetzt wird er deshalb in New York verklagt.

Menschen stehen am Straßenrand und protestieren gegen die Klimapolitik von Exxonmobil

Gegen die Klimapolitik von Exxonmobil: Proteste im Mai in Dallas, Texas Foto: Jennifer Hiller/reuters

„In God we Trust“, steht am Kopfende des holzgetäfelten Saals im zweiten Stock des obersten Gerichts von New York, direkt hinter und über dem Ledersessel von Richter Barry Ostrager. Aber bei dem bereits 2015 eingeleiteten Ermittlungen zum Verfahren „das Volk von New York gegen ExxonMobil“ setzt der größte börsennotierte Mineralölkonzern der USA vorsichtshalber auf gut bezahlte Experten statt auf Gott. Mit Zahlen und Diagrammen von Aktienkursen und mit Zitaten von „Analysten“ und „Vermögensverwaltern“ versuchen die nachzuweisen, dass ExxonMobil seine Anleger nicht über den Klimawandel betrogen hat.

ExxonMobil ist angeklagt, eine doppelte Buchführung über die Risiken des Klimawandel zu haben: Ein Buch mit Daten, die für die Anleger gedacht sind. Und eine anderes nur für den internen Gebrauch. Dafür will Leticia James, die Justizministerin und Generalstaatsanwältin des Bundesstaats New York, die den Prozess angestrengt hat, den Konzern zur Rechenschaft ziehen.

Als Grundlage dient der New Yorker „Martin Act“, das strengste Gesetz gegen Wirtschaftskriminalität, das die USA kennen. Es geht um viel Geld. Bei der Prozesseröffnung vor zweieinhalb Wochen hat einer der Anwälte der Klägerin, Kevin Wallace, den Schaden zwischen 476 Millionen und 1,6 Milliarden Dollar beziffert. So viel müsste der Konzern an die Anleger zurückerstatten, sollte er verurteilt werden.

2015 hatten das Onlinemedium Inside ClimateNews und die Los Angeles Times Artikel veröffentlicht, die zeigten, dass ExxonMobil schon in den 70er Jahren im eigenen Haus Wissenschaftler beschäftigte, die über die Folgen von Mineralölförderung und -verarbeitung für das Klima forschten. Sie warteten mit präzisen Informationen auf. Doch ihre Abteilung wurde aufgelöst und die Ergebnisse ihrer Arbeit gerieten unter Verschluss.

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Als James' Amtsvorgänger Eric Schneidermann 2015 in New York die Ermittlungen anstieß, versuchte ExxonMobil, diese auf gerichtlichem Wege zu stoppen. Seit das gescheitert ist, macht der Konzern geltend, seine Buchführung sei regelmäßig und keineswegs betrügerisch. „Wir haben die Anleger ordnungsgemäß informiert“, versicherte Rex Tillerson vor Gericht. Der langjährige ExxonMobil-Chef, der ab 2017 als Trumps Außenminister diente, war der prominenteste Zeuge in dem Prozess.

Andere Akteure an der New Yorker Börse werfen der Justizministerin jetzt vor, sie verfolge „politische Absichten“ mit dem Prozess. Paul S. Atkins, ehemaliges Mitglied der Securities and Exchange Commission, nennt den Prozess einen „empörenden Missbrauch von Staatsgewalt“. Und das börsennahe Wall Street Journal spricht gar von einem „Showprozess“. James ist Demokratin und die erste schwarze Frau in dem Amt. Während der Ermittlungen hat ihr Büro mehrere Millionen Seiten Material über ExxonMobil gesammelt.

#ExxonKnew

„Exxon wusste es“, lautet ein Slogan und Hashtag von Klimaaktivisten, die seit Prozessbeginn mehrfach vor dem obersten Gericht demonstriert haben. Ein Video einer Anhörung mit der demokratischen US-Abgeordneten Alexandra Ocasio-Cortez wurde millionenfach geklickt, in dem ein ehemaliger Exxon-Wissenschaftler zugibt, dass der Ölkonzern bereits 1982 intern prognostizierte, die globale Temperatur würden bis 2019 um im Schnitt ein Grad ansteigen.

Im Gerichtssaal ging es zwar auch um die Klimazerstörungen – insbesondere bei der besonders belastenden Ölförderung im Teersandgebiet in der kanadischen Provinz Alberta, wo ExxonMobil massiv investiert hat –, aber im Vordergrund stand die Frage, ob ExxonMobil sein Wissen mit den Anlegern geteilt hat.

Richter Ostrager sitzt mit mit geschlossenen Augen in seinem Ledersessel, während der Experte Allen Ferrell referiert, dass er in 566 Berichten von „Analysten“ nur 76 Erwähnungen von Klimawandel gefunden habe, was bei nur einem „Analysten“ zu einer Änderung seiner Bewertung von ExxonMobil geführt habe. „Die Aktionäre haben keine Nachteile erlitten“, erklärt Ferrell kategorisch.

Den Experten der Gegenseite wirf er „Falschdarstellung“ vor. Er lehrt an der Harvard University. Drei Viertel seines Einkommens kommen aus seiner Expertentätigkeit für 1.250 Dollar pro Tag. Während des Verfahrens in New York hat er bereits 125.000 Dollar eingenommen.

Das Urteil wird in den nächsten Tagen erwartet. Für ExxonMobil steht viel auf dem Spiel. Noch ist der Konzern ein Ort, dem US-amerikanische Universitäten, Rentenfonds und Privatleute ihr Kapital anvertrauen. Aber schon jetzt läuft zwei Bundesstaaten weiter nördlich, in Massachusetts, ein zweiter Prozess gegen ihn. Dort ist die Klage weiter gefasst, ExxonMobil steht nicht nur wegen Betrugs von Aktionären, sondern auch wegen mangelnder Transparenz gegenüber Verbrauchern vor Gericht. Mindestens ein Dutzend weiterer Kommunen und Bundesstaaten in den USA erwägen ihrerseits ein gerichtliches Vorgehen gegen ExxonMobil.

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