piwik no script img

Prozess gegen Lina E.Urteil verzögert sich

Im Prozess gegen vier Linksradikale entbrennt erneut Streit über die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Das Gericht unterbricht deshalb die Plädoyers.

Solidarität mit Lina E. zum Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht in Dresden im September 2021 Foto: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Dresden taz | Eigentlich war am Donnerstag im Prozess gegen die Leipziger Linke Lina E. das Ende der Plädoyers vorgesehen – dann sollte das Urteil folgen. Aber es kam anders. Nun tritt das Oberlandesgericht Dresden noch einmal kurz in die Beweisaufnahme ein. Der Prozess könnte damit womöglich erst im Juni zu Ende gehen.

In dem Verfahren wird Lina E. und drei Mitangeklagten – Lennart A., Philipp M., Jannis R. – vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet und zwischen 2018 und 2020 sechs schwere Angriffe auf Neonazis verübt zu haben. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer dafür acht Jahre Haft für Lina E. gefordert und bis zu 3 Jahre und 9 Monate Haft für die Mitbeschuldigten. Die Verteidigung von Lina E. fordert dagegen allenfalls eine Verurteilung für eine versuchte Körperverletzung in Eisenach und für einen Diebstahl.

Am Donnerstagmorgen hatte nun Rita Belter, Anwältin des Mitangeklagten Lennart A., ihr Plädoyer begonnen. Sie kritisierte zunächst das Gericht, das im Prozess immer wieder die Verteidigung gegängelt habe, insbesondere sie selbst. Dann knöpfte sie sich den Anklagepunkt der kriminellen Vereinigung vor. Eine solche habe es nicht gegeben, betonte Belter. Weder habe es eine feste Gruppenstruktur gegeben noch konkrete Mitglieder oder fixe Aufgabenverteilungen.

Auch sei nicht nachweisbar, dass die angeblichen Kampfsporttrainings als Übungen für Angriffe gedient hätten. Alle Angeklagten seien deshalb für den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung freizusprechen, so Belter. Die angebliche Gruppe um Lina E. sei „ein Papiertiger“. Belter bezog sich dabei auch auf den Kronzeugen Johannes D., ein früherer Szenebekannter von Lina E. Auch dieser habe nur von einem flexiblen Personengeflecht gesprochen, aus dem heraus Angriffe auf Neonazis geschehen seien, so die Verteidigerin.

Beweisaufnahme wird neu aufgerollt

Zu einer vermeintlichen festen Gruppe um Lina E. habe Johannes D. nur Mutmaßungen geäußert. Zudem habe er in dem Prozess, der gegen ihn im Februar vor dem Landgericht Meiningen geführt wurde, die Trainings nochmal relativiert. Anders als vor dem Dresdner Gericht habe er dort nun behauptet, es sei dabei keineswegs um Angriffsübungen auf Neonazis gegangen. Richter Hans Schlüter-Staats reagierte auf diesen Punkt umgehend und verkündete, noch einmal in die Beweisaufnahme einzusteigen.

Er fragte Belter nach ihrer Quelle für die Aussagen von Johannes D. in Meiningen. Belter verwies auf ihren Quellenschutz als Anwältin, benannte aber einen Zeugen aus dem Publikum. Dieser war bei dem Prozess in Meiningen vor Ort und hatte ein Protokoll verfasst, das anschließend auf dem Blog von „Soli Antifa Ost“ veröffentlicht wurde, ein Unterstützerbündnis für Lina E. und die Mitangeklagten.

Prompt wurde der Mann in den Zeugenstand berufen. Dort wiederholte er, dass Johannes D. in Meiningen behauptet habe, die Trainings der Gruppe um Lina E. hätten nur „Sport, Spaß, sozialen Kontakten“ gedient. Schlüter-Staats hakte immer wieder kritisch nach und bemerkte später, dass dies in der Urteilsbegründung aus Meiningen anders stehe. Dennoch verkündete der Richter, nun auch den Vorsitzenden Richter und Oberstaatsanwalt aus dem Meininger Prozess gegen Johannes D. laden zu wollen.

Dies soll nun frühstens am 10. Mai passieren. Bis dahin pausiert der Lina E.-Prozess. Und: Bis dahin sind auch die Plädoyers unterbrochen. Nach den Zeugenaussagen müssen diese dann nochmal von vorne beginnen, wobei die Prozessbeteiligten auch auf ihre bisherigen Schlussvorträge verweisen und diese nur ergänzen können. Schlüter-Staats verkündete vorsorglich neue Termine bis zum 22. Juni.

Wie glaubwürdig ist der Kronzeuge?

Hinter dem Streit am Donnerstag steht einmal mehr die Frage, wie glaubwürdig der Kronzeuge Johannes D. ist. Die Bundesanwaltschaft hat daran keinen Zweifel und auf den Umfang und die angebliche Detailtiefe seiner Aussagen verwiesen. Die Verteidigung dagegen hält den 30-Jährigen für unglaubwürdig. Das Motiv seiner Aussagen sei klar gewesen, den Ermittlern „etwas zu liefern“, um so ins Zeugenschutzprogramm zu kommen und einen Strafrabatt zu erhalten. Hinter dem Streit steht aber auch eine fortgesetzte Auseinandersetzung zwischen der Verteidigung und dem Strafsenat, in dem sich beide Seiten nichts schenken. Immer wieder hatte Schlüter-Staats im Prozess Befragungen der Verteidigung unterbrochen und Anträge abgelehnt, immer wieder war es zu Wortgefechten gekommen.

Für Lennart A., dessen Plädoyer am Donnerstag eigentlich im Vordergrund stehen sollte, hatte die Bundesanwaltschaft drei Jahre und drei Monate Haft gefordert. Der Leipziger war nach einem Angriff auf den Eisenacher Neonazi Leon R. zusammen mit Lina E. in einem Fluchtauto gefasst worden. Seine Verteidigung fordert dagegen nur eine „bewährungsfähige Strafe“.

Belter verwies dabei auch auf diverse Prozesse gegen Rechtsextreme, bei denen diese mit Bewährungsstrafen davon kamen. So etwa nach brutalen Angriffen in Ballstädt, Fretterode, Dresden oder Connewitz. „Muss man Rechtsextremer sein, um eine Bewährungsstrafe zu bekommen?“, schloss Belter ihr Plädoyer. Im Publikum wurde das mit Applaus quittiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "Hatten die ihn dort platziert? Sollte er die Leipziger Szene ausspionieren? Hatte er gar einen Auftrag?" --> Und hier das gewichtigste Argument: Scheinbar gehen Sie davon aus, dass es in der Leipziger Szene etwas zum Ausspionieren gab. Diese Fragen legen nahe, dass es ein Umfeld gab, in dem der Zeuge hätte "platziert" werden können.

    Das würde bedeuten, dass die Ermittlungen berechtigt waren.

    • @Kriebs:

      Vermuten, spekulieren



      Eine Frau sitzt seit langer Zeit in U-Haft .... Reicht das?

  • "Wie glaubwürdig ist der Kronzeuge?"

    Ich finde gut, dass nochmals geprüft wird.

    Ansonsten fällt mir die extrem lange U-Haft für Lina auf. Ich halte die für in dieser Form absolut nicht begründet, außerdem könnte sie sogar frei gesprochen werden.

    Eine direkte Tatbeteiligung, im Sinne der Anklage, ist nur unterstellt, abgeleitet, es könnte so gewesen sein, aber ist nicht bewiesen.

    Dann kriminelle Organisation Lina die Anführerin: Nur der Zeuge sagt(e) das. Er hat einen Strafrabatt dafür bekommen, er kam über das Bundesamt für Verfassungsschutz.

    Sonst behaupten das die geschädigten Neonazis und deren Anwälte.

    Ist das damit wirklich bewiesen?



    Gab es diese Organisation wirklich mit ihr an der Spitze? Hat sie definitiv die Befehle gegeben? Wie sind denn die Aussagen der Opfer (Neonazis) zu werten?

    Ich halte von Gewalt nichts. Dass die Opfer allesamt sich dem Bösen verschworen haben, ist nicht gut.

    Aber noch weniger finde ich ein solches Verfahren in Ordnung, wo ein Mensch mehr oder weniger in einer Dauer-U-Haft landet, weil die Ankläger eine bestimmte Meinung vertreten.

    Wie fair ist dieses Verfahren?



    Ist die U-Haft noch gerechtfertigt, wenn die Beweise eigentlich nur eine Kombination der Sachverhalte darstellen?

    Sie hätte ja auch draußen Schmiere stehen können, eine andere Frau hätte davon düsen können, unerkannt, unbekannt. Das ist schon ziemlich interessant, dass hier so hart vorgegangen wird.

    Vielen Neonazis werden Straferlasse gegeben, wenn sie sich als VP beim Verfassungsschutz anwerben lassen. Im Umfeld der NSU waren wirklich sehr viele. Der Zeuge hier kam auch über den Geheimdienst - warum? Hatten die ihn dort platziert? Sollte er die Leipziger Szene ausspionieren? Hatte er gar einen Auftrag?

    • @Andreas_2020:

      "Aber noch weniger finde ich ein solches Verfahren in Ordnung, wo ein Mensch mehr oder weniger in einer Dauer-U-Haft landet, weil die Ankläger eine bestimmte Meinung vertreten." --> Der Ankläger vertritt immer die Meinung, dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % +x zu einer Verurteilung kommen wird, ansonsten dürfte er gar nicht anklagen. Davon abgesehen, entscheidet nicht die Anklage, ob die U-Haft andauern soll, sondern (zur Vermeidung exakt dieser Interessenkonflikte) der Haftrichter. Gegen diese Entscheidung gibt es dann auch noch mehrere Rechtsmittel. Wenn die Verteidigung diese ausgeschöpft hat, beruht die U-Haft nicht auf der Meinung des Anklägers, sondern zusätzlich auf der des Haftrichters und des zuständigen Beschwerdesenats des Sächsischen Oberlandesgerichts.

      "Ist die U-Haft noch gerechtfertigt, wenn die Beweise eigentlich nur eine Kombination der Sachverhalte darstellen?" --> Nochmal: Bei der U-Haft ist die Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht entscheidend.

      "Sie hätte ja auch draußen Schmiere stehen können, eine andere Frau hätte davon düsen können, unerkannt, unbekannt. Das ist schon ziemlich interessant, dass hier so hart vorgegangen wird." --> Hätte, hätte Fahrradkette. Wenn dies eine ernsthafte Option gewesen wäre, ist die Verteidigung exakt dazu da, diesen alternativen Geschehensablauf vorzutragen. Hat sie (offenbar) nicht gemacht. Damit kann dieser ausgedachte Sachverhalt (sogar aus der Sicht der Verteidigung) als Ammenmärchen gelten.

      " Vielen Neonazis werden Straferlasse gegeben, wenn sie sich als VP beim Verfassungsschutz anwerben lassen." --> Lina E. könnte sich ja auch einfach vom Verf-Schutz anwerben lassen. Will sie scheinbar einfach nicht.

      • @Kriebs:

        Schön im vorherigen Tanz-Artikel sind die Verteidiger mit einer radikalen Grundsatzkritik bereits wieder gegeben worden. Die haben versucht, die Mittel zu nutzen. Das habe ich mir nicht ausgedacht. Und konkret wurde Lina fast nichts bewiesen. Die Aussage des Zeugen ist anzuzweifeln. Und U-Haft muss schon begründet werden, m.M. hätte Lina frei kommen müssen. Ich gehe immer mehr mit, was die Verteidiger vorgetragen haben: Dieser Prozess wird zum Skandal

    • @Andreas_2020:

      So viel falsches hier. Aber der Reihe nach:

      "Ansonsten fällt mir die extrem lange U-Haft für Lina auf. Ich halte die für in dieser Form absolut nicht begründet, außerdem könnte sie sogar frei gesprochen werden." --> Das Wesen der U-Haft ist nicht, dass sie eine Strafe darstellt, sondern dass sie zunächst die Ermittlungen und dann den Prozess sichern soll. Dieser Prozess kann dann auch in einem Freispruch enden. Das ist immer so. Aus einem möglichen leitet sich keine Unzulässigkeit der U-Haft ab.

      "Eine direkte Tatbeteiligung, im Sinne der Anklage, ist nur unterstellt, abgeleitet, es könnte so gewesen sein, aber ist nicht bewiesen." --> Das ist in der härteren Strafjuristerei (fast) immer so. Fast jeder Schuldspruch wird "abgeleitet" aus Indizien. Geständnisse sind insbesondere im Bereich organisierte Kriminalität, die Lina hier vorgeworfen wird, extrem selten. Die Mafia hat dafür mit Omertà sogar einen eigenen Begriff.

      "Sonst behaupten das die geschädigten Neonazis und deren Anwälte.

      Ist das damit wirklich bewiesen?" --> Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Aber nur als kleiner Lakmus-Test: Gehören Sie sonst auch zur Fraktion "Glaubt den Opfern"? Wenn ja, geht das "Glaubt den Opfern" dann bei Ihnen nach guten und schlechten Opfern?

      "Gab es diese Organisation wirklich mit ihr an der Spitze? Hat sie definitiv die Befehle gegeben? Wie sind denn die Aussagen der Opfer (Neonazis) zu werten?" --> Genau zur Aufklärung dieser Fragen ist der Strafprozess da. Es wäre merkwürdig und nicht rechtstaatlich, wenn dieses Ergebnis bereits vorher feststünde.

      • 3G
        32051 (Profil gelöscht)
        @Kriebs:

        Danke für die sachliche Aufarbeitung, das erspart es mir.

        Grundsätzlich ist sie Beschuldigte, und wenn man die politische Sympathie oder Antipathie raus lässt, ist festzuhalten, dass das Gericht und nicht irgendwelche Außenstehende über den Prozess zu werten haben.

        Vielleicht wird sie freigesprochen. Soll mir recht sein.

        Vielleicht wird sie verknackt. Soll mir auch recht sein.

        Tatsache ist, im demokratischen Rechtsstaat gibt es keine guten und schlechten Straftaten.

        Sonst sind wir wieder in der Weimarer Republik.

  • "Hinter dem Streit steht aber auch eine fortgesetzte Auseinandersetzung zwischen der Verteidigung und dem Strafsenat, in dem sich beide Seiten nichts schenken." --> Das derzeitige Verhalten des Vorsitzenden Richters scheint eher in eine andere Richtung zu deuten:

    Schließlich erhebt der Richter nach dem eigentlichen Abschluss der Beweisaufnahme jetzt noch einmal umfassend Beweise durch Befragung von 3 Zeugen zur Entlastung der Angeklagten. Das spricht nicht für einseitige Parteinahme des Richters.

    Hier stellt sich die Frage, weshalb die Verteidigung erst jetzt mit diesem entscheidenden Argument rausrückt. Frau Belter ist ja bereits die zweite Verteidigerin, die ihr Abschlussplädoyer hält. Entweder liegt hier einfach schlampige Verteidigung vor oder die Verteidigung glaubt selbst nicht an ihren Entlastungsbeweis und wollte mit dem eifrigen "Prozess-Stenografen" nur maximale Aufmerksamkeit auf das "voreingenommene Gericht" lenken.

  • „Muss man Rechtsextremer sein, um eine Bewährungsstrafe zu bekommen?“



    Mir kommt das tatsächlich so vor, ich frage mich aber hin und wieder, wie viel solche Aussagen bei einem Prozess nützen.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Hanette Preus:

      „Muss man Rechtsextremer sein, um eine Bewährungsstrafe zu bekommen?“

      "ja aba aba die anderen" ist links und rechts gleichermaßen ein miserables Argument.