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Prozess gegen Klima-Aktivist*innenZweierlei Maß bei Nötigung

Vor dem Amtsgericht Achim müssen sich Klimaaktivisten wegen schwerer Nötigung rechtfertigen. Eine ähnliche Anklage in Bremen wurde nicht zugelassen.

Zur Verkehrsministerkonferenz 2021 haben Ak­ti­vis­t*in­nen Autobahnschilder neu beklebt. In Achim sieht man darin Nötigung Foto: Michael Bahlo/dpa

Bremen taz | Manchmal kommt es auf Kleinigkeiten an: Ob man die beim Lotto die Neun angegeben hat oder die Elf, ob man über Rot gefahren ist oder gerade noch über Dunkelgrün, ob man sich beim Klimaprotest über der Airbus-Allee vorm Bremer Flughafen abgeseilt hat oder über der A27 bei Achim. Beim Abseilen in Bremen folgt: nix. In Achim hingegen stehen zwei Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen nun wegen Nötigung vorm Amtsgericht.

Nötigung, um genau zu sein, sogar Nötigung im besonders schweren Fall. Sechs Monate bis fünf Jahre Haft drohen darauf. Der Vorfall, der verhandelt werden soll, ist nun bereits gut drei Jahre her. Im April 2021, anlässlich der Verkehrsministerkonferenz in Bremen, sollen sich die Ver­kehrs­wen­de­ak­ti­vis­t*in­nen von der Autobahnbrücke abgeseilt und Transparente angebracht haben, „in der Aufmachung eines Autobahnschildes“, liest der Staatsanwalt vor. „.Weiter so! Immer weiter Richtung Klimawandel!“ habe darauf gestanden.

Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft aufzählt: Gemeinschaftlich handelnd in abgeschlossene Räume eingedrungen zu sein; rechtswidrig Gegenstände zum öffentlichen Gebrauch zerstört zu haben; Tausende Menschen menschenrechtswidrig genötigt zu haben. Oder, konkret gefasst: Ak­ti­vis­t*in­nen hätten eine abgesperrte Schilderbrücke an der Autobahn betreten; das Autobahnschild sei durch Klebeband beschädigt worden; und als sie von der Brücke geholt wurden, da gab es einen Stau. Einen menschenrechtswidrigen.

Der Vorwurf der schweren Nötigung erfordert für gewöhnlich den bedenkenlosen Einsatz physischer Gewalt. Das Strafgesetzbuch nennt zwei Beispiele für besonders schwere Fälle: Eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigen und Nötigung durch Amtsmissbrauch. „Dass die Aktion an der A27 damit verglichen wird, das ist“, der Angeklagte Ruben G. sucht nach Worten, „widerlich“, ruft ein Zuschauer im Prozess.

Nötigung oder Wahrnehmen von Grundrechten

Der Vorwurf der Nötigung wurde nach der Verkehrsministerkonferenz auch von der Staatsanwaltschaft Bremen für die ähnlich gelagerten Aktionen auf Bremer Landesgebiet erhoben – der damit begründete Antrag auf eine Hausdurchsuchung wurde aber sowohl vom Amts-, als auch in zweiter Instanz vom Landgericht abgelehnt. Dem Ziel der Aktion – auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, stünde als „existenzielle Frage der Allgemeinheit“ größeres Gewicht zu als Eigeninteressen – hier also den Eigeninteressen der Autofahrer.

„Eigentlich wird bei jeder Versammlung jemand genötigt“, findet auch Tabea M., die heute in Achim angeklagt ist. „Wer das anklagt, untergräbt wesentliche Freiheitsrechte.“ Schließlich schreibe das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht vor, wo man sich versammeln solle – in der Fußgängerzone, auf einer Autostraße oder auch auf einer etwas größeren Straße.

M. und ihr Mitangeklagter stehen mit etwa zwanzig Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vor der Tür des Amtsgerichts im Zentrum von Achim. Der Prozess verzögert sich, sodass sie die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt zu erläutern.

In ihrem Fall, sagt sie, sei der Vorwurf besonders absurd. „Es wurde ja überhaupt kein physisches Gewaltmittel angewandt“, sagt M.. Nicht einmal den Stau hätten die Ak­ti­vis­t*in­nen bei der fraglichen Aktion selbst verursacht – „den gab es nur durch die Polizeisperrung“.

Der Vorwurf der Nötigung wird dennoch gern in Prozessen gegen politische Ak­ti­vis­t*in­nen verwendet. Es ist schlicht schwierig, im Strafgesetzbuch andere mögliche Paragrafen gegen Aktionen zivilen Ungehorsams zu finden. „Es geht ihnen nicht wirklich um Strafparagrafen“, kritisiert der Angeklagte Ruben G., „sondern um eine moralische Ablehnung.“

Einige ihrer Un­ter­stüt­ze­r*in­nen befinden sich auf einer Art Prozesstour durch Deutschland: Mittwoch war Lingen, Freitag folgt Flensburg.„Ich weiß, wie es sich anfühlt, vor Gericht zu stehen“, sagt Emma, die heute als Unterstützerin dabei ist. „Es hilft mir, meine Stimme zu finden, wenn ich weiß, dass Leute hinter mir stehen.“

Deshalb sei es für sie selbstverständlich, dabei zu sein. „Das ist kein Spaß für uns, das ist einfach notwendig.“ Für manche ist derweil vielleicht auch ein bisschen Spaß dabei: Die Aktivistin Hannah Poddig erzählt gerade von ihren schönsten Prozessen, den derbsten Vorwürfen, den besten Verkleidungen. Im Gerichtssaal wird gescherzt und gelacht.

Politische Prozessführung – mit Laienverteidigung

Beide Angeklagten lassen sich von Lai­en­ver­tei­di­ge­r*in­nen vertreten. „Wir verteidigen uns gegenseitig“, erklärt Verteidigerin Salome. Jura hat sie mal studiert, wenn auch ohne zweites Staatsexamen. Laien­verteidiger sorgten vor Gericht für eine andere Atmosphäre.

Strafverteidiger wollten zumeist einen schnellen Prozess, drängten auf einen Vergleich, knieten sich nicht so rein. „Wenn es die Prozesse gegen uns schon gibt“, sagt Salome, dann wollen wir sie auch auf Augenhöhe führen. Wir führen sie politisch.“ So ein Prozess sei beides, sagt sie, „Einschüchterung und Bühne – die Frage ist, was wir draus machen“.

Was das heißt? Ausschweifen, vor allem. Es geht um abgehackte Wälder und darum, wie grün Elektroautos sind, um Wirtschaftswachstum, um kranke Flüsse, fehlende Natur in Europa, um Nationalismus und abgeriegelte Grenzen gegenüber Geflüchteten – und viel um Prozessrechte, ein paar alberne Gags gibt es: „Nicht, dass das Gericht mich wegen Entziehung von elektrischer Energie anklagt.“

Die Richterin ist ein bisschen genervt von dem Aktivismus, zeigt aber Humor. „Schade, dass wir heute nicht darüber sprechen!“, klagt Ruben G., nachdem er die Nötigungen durch Feinstaub, Verkehrsunfälle und Umweltzerstörung beklagt hat. „Das wissen wir doch noch gar nicht“, entgegnet die Richterin. „Wir haben doch noch keinen einzigen Zeugen gehört. Wer weiß, zu was wir noch alles kommen.“ Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

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5 Kommentare

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  • "Schließlich schreibe das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht vor, wo man sich versammeln solle – in der Fußgängerzone, auf einer Autostraße oder auch auf einer etwas größeren Straße."



    Ein etwas schräges Argument. Dass man sich nicht auf einer vielbefahrenen Straße versammelt, muss nicht im Grundgesetz stehen.

    • @Encantado:

      Nun in seiner wegweisenden Brokdorf-Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Versammlungsfreiheit den Veranstaltern die freie Wahl des Ortes überlässt. Mir sagt das, dass es keine pauschal unzulässigen Versammlungsorte geben kann, ausser Privatgrundstücke. In NRW gibt es ein pauschales Verbot für Autobahnen, das ist aber verfassungsrechtlich umstritten...



      Artikel 8 gilt irgendwie zunächst mal unabhängig vom Ort.

  • Ein Trecker wäre allemal wirkungsvoller gewesen !

  • Nötigung ist doch Alltag. An jedem Wochenende und abends wird man genötigt, Tausende von teilweise illegalen Brüllrohren, hauptsächlich an Motorrädern, anzuhören. Bei JEDER Fahrt mit dem PKW versucht jemand, mich zum schnelleren Fahren in den illegalen Tempobereich zu nötigen. Mit der Aufzählung könnte es endlos weitergehen...

    • @Erfahrungssammler:

      Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, wird man auch genötigt den ganzen Dreck einzuatmen, den die Verbrenner ausstoßen. Dabei wird meine grundgesetzlich garantierte körperliche Unversehrtheit jedes mal verletzt.