Prozess gegen Inger Støjberg: Hardlinerin vor Gericht
In Dänemark beginnt ein historischer Prozess gegen die Ex-Integrationsministerin. Mit dem „Kinderbräute“-Erlass soll sie Gesetze gebrochen haben.
Es ist ein historisches Verfahren, für das eine klare Mehrheit des dänischen Parlaments im Februar den Weg freigemacht hatte. In Dänemark, das kein Verfassungsgericht kennt, war diese schwerwiegendste Sanktionsmöglichkeit des Parlaments gegen ein Mitglied der Regierung bereits 1849 eingeführt und dann in die jetzt geltende Verfassung übernommen worden. Seit 1910 hatte es aber nur ein einziges Verfahren gegeben.
1994 war der ehemalige Justizminister Erik Ninn-Hansen vom Reichsgericht zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte es zu verantworten, dass unter Verletzung geltenden Rechts anerkannten Flüchtlingen aus Sri Lanka systematisch die Einreise und der Aufenthalt von Angehörigen im Rahmen des Familiennachzugs verweigert worden war.
Um Geflüchtete geht es auch im Verfahren gegen die 48-jährige Støjberg, die zwischen 2009 und 2016 unterschiedliche Kabinettsposten in mehreren Regierungen innehatte. In einem „Kinderbräute“-Erlass hatte sie am 10. Februar 2016 die Trennung aller nach Dänemark geflüchteten Paare mit einem Partner unter 18 Jahren angeordnet. Offiziell hatte sie das damit begründet, dass sie minderjährige Mädchen vor erzwungener Partnerschaft schützen wolle.
Junge Frauen reagierten „panisch“
Zwar wäre eine solche Entscheidung in Einzelfällen durchaus zulässig gewesen, konstatierte ein 3.400 Seiten umfassender, im Dezember 2020 veröffentlichter Untersuchungsbericht. Die Anordnung aber, alle Paare zu trennen, sei nicht nur ein untaugliches Mittel, sondern „eindeutig illegal“ gewesen. Erschwerend kommt hinzu, dass Støjberg durch ihr eigenes Ministerium auf die Gesetzwidrigkeit ihrer Anordnung hingewiesen wurde.
23 Frauen waren seinerzeit von ihren Partnern zwangsweise getrennt worden, darunter fünf Schwangere, vier Mütter und einige Erkrankte. Laut dem Untersuchungsbericht kam es bei solchen Zwangstrennungen teilweise zu dramatischen Szenen und Polizeieinsätzen: Mehrere der jungen Frauen hätten „panisch reagiert“, „geweint und sich gewehrt“, seien „völlig zusammengebrochen“, einige hätten versucht, sich das Leben zu nehmen und mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Støjbergs Ministerium war in allen Fällen über die Auswirkungen des Erlasses informiert worden. Trotz wachsender Kritik, auch innerhalb der Behörden, wurde er nicht gestoppt.
Støjberg hatte sich in den Jahren 2015 bis 2019 als Einwanderungsministerin einen Ruf als Hardlinerin erworben. Zu ihren populistischen Initiativen gehörten auch ein „Schmuckgesetz“, aufgrund dessen syrische Flüchtlinge gefilzt wurden, um mit eventuellen Habseligkeiten ihren Aufenthalt in Dänemark zu bezahlen, oder der Plan, abgewiesene Asylsuchende in einem Internierungslager auf einer virenverseuchten Insel unterzubringen.
Auf dem Weg zur „Støjberg-Partei“
Støjberg hält sich in Bezug auf die Anklage für unschuldig. Sie habe nichts Unrechtes getan, ihre Politik habe seinerzeit die Unterstützung einer Parlamentsmehrheit gehabt. Ihre Partei, die rechtsliberale Venstre, hatte sie im Februar verlassen, nachdem auch der Parteivorsitzende den Prozess gegen sie unterstützt hatte.
Das jetzige Verfahren will die parteilose Parlamentsabgeordnete offenbar nicht nur für einen Frontalangriff gegen ihre Ex-Partei nutzen, sondern auch für einen politischen Neuanfang. Zum Auftakt des Verfahrens ging Støjberg mit einer Webseite online, auf der sie sich als Verfechterin für „den begonnenen Kampf um dänische Werte“ präsentiert: „Niemand sollte das Fundament der Freiheiten erschüttern, auf denen Dänemark aufgebaut ist. Die unfreie Kultur des Islam darf unser Land nicht verändern“, steht dort. Sie fordert ihre Anhänger auf, sie finanziell zu unterstützen.
Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem „Volksklub, der Dänemark liebt“. Falls aus diesem „Volksklub“ demnächst eine „Støjberg-Partei“ werden sollte, würde das kaum verwundern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch