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Prozess gegen IS-RückkehrerinKein Mitleid mit der Sklavin

Das Hamburger Landgericht verurteilt eine IS-Rückkehrerin zu fünfeinhalb Jahren Haft. Die 34-Jährige hat eine Jesidin an der Flucht gehindert.

Will vom Leid der Sklavin in ihrem Haushalt nichts bekommen haben: Jalda A. beim Prozessauftakt Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Am Tag der Urteilsverkündung verbirgt sich Jalda A. nicht vor den Fotografen. Aufrecht steht sie neben ihren Anwälten, schwarzer Pullover, schwarze Hose, lange offene Haare. Dann wird kurz unterbrochen und eine Frau in weißer Bluse kommt in den Saal und setzt sich ebenso aufrecht hinten links zwischen Anwältin und Übersetzerin. Es ist die Nebenklägerin und Zeugin: eine Jesidin, die von 15 IS-Kämpfern verkauft und von 14 von ihnen vergewaltigt wurde, unter anderem von Jalda A.s Ehemann.

In deren gemeinsamen Haushalt lebte sie drei Wochen als Sklavin. Jetzt hört sie zu, wie das Gericht Jalda A. zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Kriegsverbrechen, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord. Sie nickt, während die Dolmetscherin ihr all das übersetzt. Jalda A. senkt kurz den Kopf. Die Staatsanwaltschaft hatte siebeneinhalb Jahre für sie gefordert, ihre Verteidiger hatten kein Strafmaß in ihren Plädoyers genannt.

Norbert Sakuth, der Vorsitzende Richter, rollt noch einmal das Leben von Jalda A. auf: Als Zehnjährige kommt sie nach Deutschland mit ihren Eltern, die vor den Taliban aus Afghanistan geflohen waren. Sie arbeitet in Bremen als Verkäuferin und kellnert am Wochenende, um sich etwas dazuzuverdienen. Ihre Beziehungen zu Männern enden mit Enttäuschungen; ihr Bruder, der in einem islamistischen Kulturverein in Bremen aktiv ist, verspricht ihr einen muslimischen Mann, der sie als Ehefrau akzeptieren wird.

2014 geht Jalda A. mit dem Bruder und dessen Frau nach Syrien und heiratet einen IS-Kämpfer. Möglicherweise, ohne selbst Salafistin zu sein, räumt der Richter ein – aber nicht ohne das Wissen um die Ziele des IS. „Das Unwissen der Angeklagten nimmt der Senat ihr nicht ab“, sagt Sakuth und wird einmal an diesem Mittag bissig: Es sei naiv, zu glauben, dass das Gericht ihr ein solches Maß an Naivität abnehmen würde.

„Taktisches Aussageverhalten“

Ab hier beginnt das, was der Richter „taktisches Aussageverhalten“ nennen wird, denn Jalda A. hat eingeräumt, was zweifelsfrei feststeht, aber sich selbst stellt die 34-Jährige als Frau dar, die von dem, was ihre drei Ehemänner als IS-Kämpfer taten, nichts wusste, die auch von den Vergewaltigungen der Jesidin durch ihren Mann nichts gewusst haben will. Die habe ihr gesagt, wie gut es ihr im Haushalt gehe. Warum habe Jalda A. dann an anderer Stelle erklärt, sie hätten sich wegen der Sprachbarriere überhaupt nicht unterhalten könnten, hält ihr der Richter entgegen.

A.s Hoffnungen auf eine glückliche Ehe in Syrien, dem Land, von dessen Bürgerkrieg sie nichts gewusst haben will, erfüllen sich nicht. Ihr erster Mann, mit dem sie einen Sohn hat, stirbt bei Kämpfen. Während der Schwangerschaft, die riskant ist, reist Jalda A. noch einmal für zwei Wochen nach Bremen. Der zweite Ehemann, der Videos veröffentlicht, die ihn vor den Leichen toter Gegner zeigen, heiratet sie als Zweitfrau.

Nach Spannungen mit der Erstfrau geht A. eine neue Ehe ein, doch der Ehemann hat eine Zweitfrau und A. lässt sich scheiden. 2017 heiratet sie erneut. Ihr Ehemann verschweigt zunächst, dass er eine jesidische Sklavin hat, doch nach einer Woche bringt er sie in den Haushalt. Jalda A. fordert, dass er sie „weggibt“ oder eine Scheidung. Weder das eine noch das andere passiert, „aus ungeklärten Gründen“, sagt Sakuth. Nach vier Wochen verlässt A. ihren Mann, wird festgenommen und bringt in einem Gefangenenlager ihre Tochter zur Welt.

Drei Wochen haben Jalda A. und die jesidische Zeugin in einem Haushalt verbracht – und es ist die Schilderung der Jesidin, der das Gericht folgt. Sie stehe „exemplarisch für das Schicksal der jesidischen Frauen“, sagt der Richter und tatsächlich ist sie exemplarisch, weil sie nach Deutschland gekommen ist, um in Prozessen gegen IS-Rückkehrerinnen auszusagen. „Ich habe sehr unter ihr gelitten“, hat sie über Jalda A. gesagt und drei Fälle geschildert, in denen A. sie geschlagen hat.

„Impulsiv und konfrontationsfreudig“

„Von Eifersucht getriebenes Verhalten“, nennt der Richter das und A. „impulsiv und konfrontationsfreudig“, so sei sie auch von anderen Zeugen beschrieben worden. A. schlug die Jesidin mit einer Taschenlampe, schlug ihren Kopf gegen die Wand und zog sie an den Haaren durch das Zimmer, nachdem diese im Ehebett geschlafen hatte. Dass das nach einer Vergewaltigung geschah, milderte A.s Zorn nicht. Sie habe das Verhältnis zwischen ihrem Mann und der Jesidin als einvernehmlich erlebt, hat A. dem Gericht gesagt. Es ist eben jener Mann, der die Jesidin als menschliches Schutzschild bei Angriffen benutzt. A. will, dass sie geht – und bewacht sie doch, um ihre Flucht zu verhindern. „Es ist eine ungewöhnliche Konstellation“, sagt Richter Sakuth.

Was A. hätte tun sollen, wurde in den Plädoyers gefragt, was hätte ihr gedroht, wenn sie die Jesidin hätte fliehen lassen? Für den Senat hat das bei der Beurteilung ihrer Schuld keine Rolle gespielt. Für ihn hatte Jalda A. Alternativen zu dem Weg, den sie letztlich ging: als sie aus Bremen zurück nach Syrien reiste, als sie sich aus ihrer letzten Ehe anders als aus der vorherigen nicht sofort scheiden ließ. Es sind drei Wochen, die jetzt schwer ins Gewicht fallen.

Das Gericht hat Jalda A. auch wegen Beihilfe zum Völkermord verurteilt und dabei juristisches Neuland betreten. Noch gibt es nur Urteile anderer Oberlandesgerichte dazu, nicht aber vom Bundesgerichtshof. Das hat auch politische Implikationen. Bislang vermeidet die Bundesregierung den Begriff. Laut dem Hamburger Senat hat Jalda A. zum Völkermord beigeholfen, indem sie die Jesidin bewachte und damit deren Flucht vor den Vergewaltigungen verhinderte. Damit habe sie ihr schweren seelischen Schaden zugefügt.

Es dauert lange, bis Richter Sekuth das Urteil erklärt hat, die Tür zum Zuschauersaal ist ein paar Mal auf und zu gegangen. Dann wendet er sich noch einmal direkt an Jalda A. und es wird ganz still im Raum. „Sie haben gesagt, dass Sie als Frau keine andere Möglichkeit gehabt hätten“, sagt er. Aber sie habe Chancen gehabt – nicht aus Bremen zurückzukehren, sich direkt von ihrem Mann zu trennen. „Bevor Sie einen Blick in die Zukunft tun, wäre es gut, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.“ Eine Frau im Zuschauersaal fängt an zu weinen.

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8 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Das Urteil finde ich richtig.



    Allerdings wird man dadurch die Dummheit der Menschen nicht mal ansatzweise bekämpfen können.

  • Sehr gut.

    Und das war auch für das Gericht eine schwierige Sache. Mich wundert, dass diese Frau, die selber in Deutschland als Kind von Flüchtlingen aufgewachsen ist, derart unglaublich sich in Syrien verhalten hat. Wie es in Syrien war und was da passierte, dass hat sie gewusst. Als Frau aus einer muslimischen Familie kannte sie auch die Bräuche und Regeln im Islam, auch hier ist es schwer erklärbar, warum sie da so mitgespielt hat. Was bei diesen IS-Menschen immer sehr unglaublich ist, sind die vielen Straftaten. Es reichte da nicht eine Sache, diese Leute haben immer gleich alles gemacht. Und möglicherweise wissen wir auch bei Jalda nicht alles. Hier war ja erstaunlicherweise eine Frau auch noch Zeugin, aber was passierte zuvor?

  • Ich glaube, man muss doch schon froh sein, dass die Jesidin nicht nolens volens abgeschoben wurde.

    Bei Flüchtlingen aus Syrien ist man ja sonst nicht zimperlich.

    • @Bolzkopf:

      Syrer werden nicht abgeschoben.

  • Jaida hat keine 'mildernden Umstände zu erwarten. Diese Opferrollen sollten wir auch ihr nicht zugestehen. Sie ist mündig und hat Verbrecher unterstützt.

  • RS
    Ria Sauter

    Ich zweifle immer mehr an unserem Rechtssystem



    Etwas über 5 Jahre für solche Grausamkeiten.



    Das ist noçhmals eine Grausamkeit!

    • @Ria Sauter:

      Harte Strafen sind Merkmale eines als veraltet angesehenen Law&Order-Systems aus der Mode gekommen, es geht um Resozialisierung.

      Ich für meinen Teil wünsche mir auch immer mal wieder härtere Strafen, aber andererseits fehlt es mit an allem außer dem Bauchgefühl: Ich bin kein Soziologe, kein Psychologe, kein Ethiker und auch kein Jurist - meine Bewertung kommt aus dem Bauch heraus.

      In dem Bereich in dem ich Experte bin verzweifelt ich gelegentlich an Leuten die ihrem Bauchgefühl einen höheren Stellenwert als wissenschaftlichen Erkenntissen geben, von daher kann es schlichtweg sein dass ich mich mit meinem Gefühle einfach irre. Und das wäre irgendwie auch gut.

      • @Questor:

        Aber @Questor, wir haben bei dem Fall hier keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, welche sollen das sein?

        Auch Gutachter haben sich bei bestimmten Delikten immer wieder getäuscht in Bezug auf Resozialisierungsprognosen und den Ausschluss künftiger Taten. Wir können nicht sicher prognostizieren.

        Wichtiger: sie sprechen von "veraltet" - aber das alleine ist kein Argument. Veraltet - deswegen falsch oder schlecht? Das kann man nicht einfach sagen.

        Sie sprechen von Resozialisierung um die es gehe. Dabei geht es vor Gericht um verschiedene Dinge: Schuldäquivalenz (Vergeltung), Prävention (auch durch Abschreckung) und Resozialisierung. Es ist mitnichten nur eines davon! Und jedes Strafsystem muss auch das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen, die ihm zugrunde liegen, berücksichtigen: Und bei den schwersten Strafen um die es hier geht - viel mehr geht nicht - da müssen sie es ertragen, dass sehr viele andere Menschen die Strafe als verhältnismäßig leicht empfinden.

        Ich will damit dreierlei sagen: Das ist hier keine Sache nur für Experten, das geht uns alle, unsere Gesellschaft an, in unserem Namen wird Recht gesprochen. Und es ist wegen der Sache um die es geht, um Menschen, Taten, Gerechtigkeit, Perspektiven - nicht um Computertechnologie oder Autos - auch nicht so, dass Expertise hier den gleichen Kompetenzgrad wie auf anderen Gebieten beanspruchen kann! Zuletzt noch viel schärfer: Wenn es um Moral und Gerechtigkeit geht, sind es nur wir als Gesellschaft, die das für uns klären können. Natürlich lassen wir uns von Prinzipien, Ideen und so weiter leiten, aber wir sind (zumindest in der Fiktion) es, die das gemeinsam und verbindlich festlegen, niemand sonst. Also auch kein Experte oder Richter. Dieser kann nur stellvertretend für seine Gesellschaft und in Anlehnung an die geltenden Ansichten und Verfassungsnormen urteilen, andernfalls sind Urteile nicht in deren und nicht in unserem Sinn.

        So einfach ist die Rückkopplung des Strafsystems an die Gesellschaft nicht.