Protokoll einer Romni: „Keiner weiß, dass wir Roma sind“
Diana S. spricht sieben Sprachen und arbeitet als Dolmetscherin. Sie verheimlicht ihre Herkunft – aus Sorge vor Diskriminierung.
Der Unterschied zwischen Rumänien und Deutschland ist, dass ich in Rumänien meine Identität nicht verstecken konnte. Jeder hat mich sofort als Romni, als Roma-Frau, erkannt, es wäre sinnlos gewesen, das verbergen zu wollen. Deswegen war Diskriminierung für mich normal. Ich bin damit aufgewachsen und kannte es gar nicht anders.
Ich war die einzige Romni auf meinem Gymnasium, niemand hat mich ernst genommen. Die Mitschüler wollten nichts mit mir zu tun haben, jeder hat mich für minderwertig gehalten. Erst, als ich an der Universität war und andere Roma-Studenten kennen gelernt habe, habe ich verstanden, dass ich das Recht auf Gleichbehandlung habe.
Ich spreche heute sieben Sprachen, übersetze auf Konferenzen und bin die erste Romni, die beim EU-Parlament, der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof als Dolmetscherin akkreditiert worden ist. Manchmal fliege ich mehrfach pro Monat nach Brüssel oder Straßburg. Ich bin Roma-Aktivistin, aber hier zu Hause muss ich das vertuschen.
Mein Mann und ich wohnen in Hamburg, in unserer Nachbarschaft weiß keiner, dass wir Roma sind. Wenn sie fragen, welche Sprache ich mit meinen Kindern spreche, sage ich, es sei Rumänisch. Diese Vertuschung ist gegen meine Prinzipien und sie macht mir zu schaffen. Ich schäme mich nicht für meine Identität, ich kämpfe für Roma-Rechte, und trotzdem kann ich in dieser Welt meinen Stolz, Romni zu sein, nicht immer zeigen.
Die Kinder wissen nicht, dass sie Roma sind
Ich bin 32 Jahre und komme aus einer kleinen Stadt in Rumänien. Meine Familie ist Teil einer traditionellen Gruppe von Roma. Die Frauen kleiden sich mit langen Röcken und Kopftüchern, sie tragen niemals Hosen. Die Familie ist bei uns wichtiger als alles andere.
Müssen Frauen heute noch darum kämpfen, aus der Unsichtbarkeit zu treten? Die Reichen und Schönen nicht.
Diana S. hingegen kämpft um ihre Sichtbarkeit als Romni. So wie andere Frauen auch: Die Freundin eines katholischen Priesters, die ihre Liebe verstecken muss. Die Putzfrau, die übersehen wird, kaum dass sie ihren Kittel übergestreift hat. Die isolierte Gefangene, die keinen Besuch bekommt. Die Iranerin, die so sichtbar wurde, dass sie fliehen musste. Die Kranke, die nicht mehr arbeiten kann. Eine Prostituierte, die für ihre Kinder und ihre Nachbarschaft mit diesem Beruf unsichtbar sein will. Die Arbeitsmigrantin aus Rumänien. Und was denkt die Souffleuse am Bühnenrand?
All diese Frauen erzählen etwas über ihre Unsichtbarkeit. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag. In der taz.
Auch mein Mann ist Rom, er stammt aus dem Kosovo, wir haben 2003 in Hamburg geheiratet. Weil er als geduldeter Flüchtling Deutschland nicht verlassen durfte, konnte er meine Familie nicht vor unserer Hochzeit besuchen, wie es der Tradition entspricht. Wir mussten alles per Telefon klären, unsere Familien haben sich dann hier getroffen.
Heute ist er selbstständig. Wir glauben beide an Gott, aber ich bin Christin, mein Mann ist Muslim. Bei uns wird alles gefeiert. Mein Sohn ist beschnitten, aber unsere Kinder, sie sind 6 und 8 Jahre alt, sollen sich später selber für eine Religion entscheiden. Wenn sie älter werden, werde ich ihnen den Unterschied erklären.
Ich werde ihnen auch erst später erzählen, dass sie Roma sind, vielleicht, wenn sie elf sind. Bis jetzt sage ihnen nur, dass wir aus Rumänien stammen. Mein Sohn hat so schon genug Probleme in der Schule. Er ist dunkelhäutig, sie nennen ihn „Cola“. Einmal habe ich ihn mit einer Salbe eingecremt, er hat mich dann gefragt, ob er davon heller wird. Er geht auf eine freie Schule, es war nicht einfach, dort einen Platz zu bekommen. Es gab 89 Bewerbungen auf 24 Plätze. Auch bei der Bewerbung habe ich nicht gesagt, dass ich Romni bin, sonst hätte ich niemals einen Platz für ihn gekriegt.
Automatisch für eine Diebin gehalten
Ich bin mit Deutschen befreundet, mit Polen, Russen, ich kenne sie vom Spielplatz oder aus dem Kindergarten. Sie wissen nicht, dass ich Romni bin. Sie würden den Kontakt zu mir abbrechen. Eine Deutsche hat das getan, als sie es erfahren hat, obwohl wir da schon drei Jahre befreundet waren. Ich habe es danach noch zweimal Müttern, die ich kannte, erzählt, dass ich Romni bin. Eine hat es freundlich aufgenommen, die andere sagte, sie freue sich, dass ich „es so weit geschafft“ habe, aber ich habe gespürt, dass sie danach Abstand genommen hat.
Als ich einmal mit einem langem Rock, hochschwanger, auf der Mönckebergstraße zusammengebrochen bin, hat mir niemand geholfen. Ein Herr, den ich gebeten habe, einen Krankenwagen zu rufen, hat gesagt, er habe keine Zeit. Einmal war ich bei H&M, mit meinem Mann, wir wollten einkaufen und wurden die ganze Zeit von einer Verkäuferin verfolgt. Als ich mich beschwert habe, hat man mir gesagt, ich solle ruhig sein, die Filialleiterin drohte mir mit der Polizei.
Ich habe mich dann an die Zentrale von H&M in Schweden gewandt, die Filialleiterin musste sich dann bei mir entschuldigen. Solche Geschichten passieren mir die ganze Zeit. Wenn ich in ein Geschäft gehe und traditionell gekleidet bin, kommt es vor, dass die Verkäuferinnen eine Durchsage für die anderen Kunden machen: „Bitte passen Sie auf ihre Taschen auf!“ Dabei habe ich noch nie in meinem Leben etwas geklaut.
Wenn ich mit anderen Roma-Frauen darüber spreche, sagen die nur: „Na und, das machen die doch immer.“ Jetzt trage ich nicht mehr so lange Röcke, eher kürzere und unauffällige. Die Leute geben mir sonst einen Stempel, sie sehen mich nur noch als Romni. Ich habe darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen, 2004 wurde mir ein Job in Brüssel angeboten. Aber den konnte ich nicht annehmen, weil mein Mann in Deutschland geduldet war und Hamburg nicht verlassen durfte.
Überall nur Hürden
In meiner Schulzeit wollte meine Lehrerin für Rumänisch mich nicht zum Abitur zulassen, ich habe dann beim Zentralabitur eine der besten Prüfungen gemacht. Über 50 Prozent aller Schüler sind durchgefallen, ich habe bei Rumänisch 9,5 von 10 Punkten bekommen. Dabei war Rumänisch eine Fremdsprache für mich, meine Familie spricht Romanes.
Ich hätte danach fast nicht zur Uni gekonnt, mein Vater konnte mein Studium nicht finanzieren. Meine Mutter hat gesehen, wie ich darunter gelitten habe, sie ist dann mit mir nach Bukarest gefahren und hat gesagt: Wir sehen mal, was du machen kannst, wenn ich meine Prüfung schaffe, dann schaffen wir es auch, das Studium zu finanzieren. Ich habe die Aufnahmeprüfung für Fremdsprachen und Jura gemacht und bestanden. Meine Brüder, die in Serbien gearbeitet haben, haben mir Geld geschickt.
Ich habe dann in Bukarest Jura und später in Hamburg Politik studiert, 2009 einen Bachelor-Abschluss gemacht, obwohl ich da schon zwei Kinder hatte. Mein Mann hat mich sehr unterstützt. Während meines Studiums habe ich in Bukarest angefangen, als Dolmetscherin zu arbeiten, für Journalisten ins Französische übersetzt. Für die Shoah Foundation von Steven Spielberg habe ich Überlebende interviewt.
2001 habe ich Englisch am Manhattanville-College in New York studiert, dann ein Praktikum beim europäischen Romaverband in Budapest gemacht. Die haben mich mitgenommen zum UNO-Weltkongress gegen Rassismus in Durban. 2002 bekam ich dann ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt, das Land durfte ich mir aussuchen. Ich wollte nach Hamburg, weil ich mich in Rumänien mit der Schoah-Geschichte befasst hatte. Das interessiert mich sehr, auch wenn es in meiner Familie keine Holocaust-Opfer gibt, ist das ein Teil meiner Geschichte. Angehörige meiner Gruppe wurden in der NS-Zeit nach Transnistrien deportiert.
Roma-Verweis aus dem Lebenlauf gestrichen
Es war schwierig, ein Visum für Deutschland zu bekommen. Der Vorsitzende des Europäischen Forums der Roma and Travellers musste sich erst an den deutschen Außenminister wenden, bevor ich einreisen durfte. Ich bin dann bei meiner Praktikumsstelle geblieben, habe geholfen eine Konferenz in Polen zu organisieren. Vier Monate war ich in Hamburg, dann sollte ich wieder nach Manhattan, diesmal als Lehrerin.
Doch in der Zwischenzeit hatte ich mich in Hamburg verliebt. Ich bin dann nicht in die USA, sondern habe in Hamburg Kinder in Romanes unterrichtet. 2004 lief das Projekt allerdings aus. Danach fing ich an, als Konferenzdolmetscherin für Romanes zu arbeiten.
Als Dolmetscherin verdient man gut, aber damit allein könnte ich trotzdem nicht alles bezahlen, die Krankenkasse zum Beispiel ist für Selbstständige sehr teuer. Als ich beim Wall Street Institute in Hamburg eine Englischprüfung abgelegt habe, hat mir der Lehrer gesagt, ich sei die beste Schülerin, die er je hatte. Und trotzdem habe ich außerhalb der Romaszene nie Arbeit gefunden. Ich habe ein Jahr lang nach einem Nebenjob gesucht aber keinen gefunden.
Das habe ich einem guten Freund erzählt, er ist Versicherungsmakler. Er hat gesagt: „Es ist unmöglich, dass du nichts findest, mit all deinen Sprachen.“ Dann hat er meinen Lebenslauf gesehen und gesagt: „Alles klar“. Ich sollte alles aus meinem Lebenslauf streichen, woran zu erkennen ist, dass ich Romni bin. Ich habe gedacht, er hat recht, und habe es gemacht. Ich bekam dann eine Absage von einem Sprachinstitut, sie sagten, ich sei überqualifiziert.
Jetzt arbeite ich neben dem Dolmetschen als Berufsberaterin für Roma-Schüler. Es ist wieder ein Job, der mit der Romaszene zu tun hat, aber er gibt mir die Möglichkeit, Roma-Schüler zu motivieren und dabei zu unterstützen, nach einer guten Bildung zu streben. Protokoll: Christian Jakob
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