Proteste in Iran: Volk und Prinz
Die Hoffnung auf einen raschen Sturz des iranischen Regimes hat sich nicht erfüllt. Im US-Bürger Reza Pahlavi suchen manche jetzt ihren Kronprinzen.
Die Hoffnung so vieler, es werde kurzfristig zu einem Sturz des Regimes in Iran kommen, hat sich nicht erfüllt. Gleichwohl ist nichts wie zuvor; die Proteste haben das Land verändert, neue Allianzen der Solidarität hervorgebracht, die Bedeutung der Frauen unauslöschlich auf den Mauern verzeichnet. Über eine von Wut und Schmerz zerklüftete Landschaft wird sich keine Ruhe senken.
Der entscheidende Hebel zum Sturz des Regimes wäre allerdings die Beteiligung jener breiten Bevölkerungskreise, die sich der Bewegung bisher nicht anschließen mochten. Das sind keineswegs nur Loyalisten, die durch Jobs und Vergünstigungen vom System profitieren. Abseits steht auch, wer Zweifel daran hegt, ob die eigenen Bedürfnisse nach einem Umsturz bessere Berücksichtigung fänden. Und natürlich gibt es auch Opportunisten: Sie warten auf deutliche Anzeichen für einen Zerfall des Machtapparats. Etwa die Superreichen; sie verlachen Islam und Geistlichkeit und sorgen sich einzig darum, wohin sie ihr Vermögen transferieren könnten.
Aber dann sind da – und dies ist vielleicht das Wichtigste – die Konservativ-Religiösen und jene, die ihren Glauben gegen staatlichen Missbrauch verteidigen. Begegnungen mit ihnen haben mich am meisten über Iran gelehrt. Doch diese Menschen werden leicht übersehen, unter anderem weil die Diaspora zu diesen Kreisen weniger Verbindungen hat. Eine Bekannte, die dem Milieu familiär verbunden ist, schrieb mir unlängst aus Iran, der Streit um Orientierung habe sich tief in die privaten Verhältnisse eingegraben; die Polarisierung bringe Verwandte gegeneinander auf.
Im Text einer iranischen taz-Autorin begegnete mir am selben Tag folgender Satz: „Der Islam ist seit 1.400 Jahren ein Zwang in Iran.“ Ungewollt wird hier herabgesetzt, was geehrt werden soll. Der Philosoph Ramin Jahanbegloo, der in Delhi lehrt, schrieb einmal, es sei „eine der kulturellen Katastrophen der iranischen Gesellschaft“, die drei Schichten ihrer geistig-moralischen Substanz immer neu gegeneinander auszuspielen, nämlich vorislamisches Persertum, schiitische Identität und Modernismus. Das legt die Schlussfolgerung nahe: In einer Revolution, die das Verhängnis von 1979 nicht mit anderen Vorzeichen wiederholt, müssen all diese Identitätsschichten aufgehoben sein, in einer gewiss schwierigen Balance.
Die Herrschenden der Islamischen Republik zu „Fremden“ zu erklären, die gegen das Volk Krieg führen, macht es eher schwer, das Beharrungsvermögen des Machtapparats zu verstehen. Auf Demonstrationen hierzulande begegnete mir in Gesprächen öfter die Redewendung vom Krebsgeschwür: das Regime ein Tumor, der herausgeschnitten werden müsse; dann werde der Volkskörper gesund. Das gute Volk – darin liegt die Sehnsucht nach einem Kollektiv, das Identifikation erlaubt, aber auch ein Abspalten von Schuld: Die Gesellschaft ist frei von Verantwortung für das, was seit 1979 geschehen ist.
Diese Sicht ist mir in Iran nie begegnet. Eher hörte ich Klagen, wie sehr Moral und Anstand gelitten hätten und wie das staatliche Vorbild schäbiger, strafloser Korruptheit Nachahmer zeuge. Aus diesem Wissen speist sich übrigens die Angst, in einer Umbruchsituation könnten offene Rechnungen in nächster Nachbarschaft durch Selbstjustiz beglichen werden.
Die Aktivistinnen der Diaspora und ihre Unterstützer haben getan, was sie konnten, um Solidarität zu mobilisieren – in der westlichen Welt. Aber die Fähigkeit dieses Teils der Welt, Geschehnisse außerhalb zu beeinflussen, wird überschätzt. Zum Vergleich: Die EU vermochte es durch ein Jahr koordinierter Sanktionen nicht, Putin so zu schwächen, dass er wenigstens an den Verhandlungstisch kommt.
Um die Verurteilten in Teheran vor dem Henker zu retten, bräuchte es politischen Druck aus Indien, China, aus muslimischen Ländern. Ich höre, wie manche bitter auflachen – und ich teile die Bitterkeit. Aber so sind die Weltverhältnisse, jedenfalls in Bezug auf Iran. Dem Westen ist es auch nicht gelungen, das Teheraner Nuklearprogramm einzudämmen, obwohl dazu die Chance bestanden hätte. Trump setzte lieber auf maximum pressure und verhob sich daran. Nun deutet der israelische Angriff auf eine Militäranlage in Iran eine neue Phase an; sie dürfte den zivilen Aufstand eher erschweren, denn das Regime weiß solche Angriffe für sich zu nutzen.
Eine inklusive Erinnerung, die den Widerstand gegen zwei Folterregime unterschiedlicher Natur integrieren könnte, hat sich im Exil wenig entwickelt. Die Schah-Ära wird im heutigen Blick geschönt; es gibt Enkel, die ihrem Großvater nicht glauben wollen, dass er in einem Schah-Gefängnis saß. Nur vor diesem Hintergrund ist erklärlich, dass der Sohn des 1979 gestürzten Monarchen nun zur starken Figur innerhalb einer provisorischen Auslandsführung zu geraten scheint. Fast eine halbe Million Unterzeichner haben den US-Bürger Reza Pahlavi, der sich von seinen Anhängern „Kronprinz“ nennen lässt, zu ihrem Repräsentanten erklärt.
Die Pahlavi-Dynastie steht nicht nur für Repression, sondern für das Ersticken früherer iranischer Demokratiebestrebungen nach dem Sturz des beliebten Premiers Mossadegh. Der Dreiklang von Monarchie, USA und Unterdrückung brachte der Revolution von 1979 den massenhaften Rückhalt.
Den Sohn trifft keine Schuld für Taten des Vaters. Aber er hat sich von dessen Politik nie distanziert, sich nie dazu erklärt. Wie kann so jemand Führungsfigur eines demokratischen Aufstands sein? Es gibt zwar Gegenwind und Gegenpetitionen. Aber Reza Pahlavi ist klug. So spricht er sich nicht nur für eine säkulare Demokratie und freie Wahlen aus, sondern er betont auch seinen muslimischen Glauben und wirbt um regimekritische Geistliche. Man könnte auch sagen: Er sieht, was bisher fehlt.
Leser*innenkommentare
Normalo
Der junge Juan Carlos, Spross einer auch nicht gerade zimperlichen Dynastie und ganz sicher kein Engel, hat in Spanien als überparteiliche Autorität eine Schlüsselrolle bei der Einführung einer stabilen, demokratischen Staatsordnung im Anschluss an das Franco-Regime gespielt, INDEM er die Königswürde annahm und nutzte. Ähnliches gelang - hier allerdings nicht so gründlich und nachhaltig - König Bhumibol von Thailand.
Das ist keine Garantie in Bezug auf die Person von Reza Pahlavi, aber Beispiele dafür, dass eine monarchische Restitutionen durchaus in der Lage ist, demokratische Verhältnisse zu fördern. Auch müssen eben Thronfolger nicht notwendigerweise Wiedergänger ihrer grausamen Vorfahren sein - auch wenn sie sich nicht explizit(!) kritisch mit deren Taten auseinandersetzen.
Lowandorder
Danke. Über den inkriminierten Satz bin ich auch gestolpert:
“Ja ok. Kann frauman so sehen. Aber wohin führt das?“
Sie zeigen klug die intendierten vielfältigen Verwerfungen.
Na & der distanzlose Schah-Sohn? Auch du heiliger Strohsack. Woll.
Da hörste doch - nach Verwehen der Kreide - die Jubelperser der Prinzenrolle trappeln.
unterm——-servíce —-
de.wikipedia.org/wiki/Jubelperser
Andreas_2020
Der 'Kronprinz' hat tatsächlich ein Buch geschrieben,Winds of Change, The Future of Democracy in Iran. Da schreibt er ziemlich viel. Sein Vater hatte auch ein Buch verfasst.
Beide haben die Neigung, sich als 'Modernisierer', als 'Reformer', als Diener ihres Volkes zu verkaufen.
Die Zeit Reza Shahs bis 1979 war von Repression geprägt, es war einfach eine Militärdiktatur mit einem Shah als Diktator an der Spitze. Frei waren die Menschen vor dem Schador, dem Kopftuch und wer ein Bier trinken wollte, konnte das, aber eigentlich auch nur in Großstädten.
Die Gefolterten waren zahlreich, allerdings haben sich die Zahlen seit 1979 mehr als verzehntfach, die Islamische Republik kommt wahrscheinlich auf einen einsamen Spitzenplatz bei Menschenrechtsverletzungen.
Ich bin sehr skeptisch, ob der 'Kronprinz' wirklich als Monarch eine konstitutionelle Monarchie mit stabiler Demokratie etablieren kann. Oder ob, das ein PR-Trick ist, um sich von der US-Regierung fördern zu lassen. Seine Familie ist mit ihrer Raffgier und der Unterdrückung eine Plage gewesen.
Außerdem hat schon der Vater versucht, über Religion und willige Geistliche Politik zu machen, das ist gescheitert, das Ergebnis ist eben auch die Islamische Republik, aber auch sogar der Libanon, wo schon der Shah Einfluss haben wollte.
Die Islamische Republik ist (leider) noch nicht zu Ende gescheitert. Ob es wirklich Zeit ist für einen Shah als konstitutionellen Monarchen?
Die Shah-Familie hat jahrelang eine Kommunistenpanik geschoben, am Ende hat die Tudeh-Partei weder den Iran revolutioniert, noch die Oberschicht hingerichtet.
Es gibt viele Gespenster, wenn ich an die Shah-Familie zurück denke. Bis heute ist nicht ganz klar, wie viel Geld, Diamanten, Kunstschätze und Gold sie bei der Flucht mitgenommen haben, wie viel in der Schweiz und anderen Steuerparadiesen lagert (e).
= Das ist in einem Land mit so vielen armen Menschen nicht gerade eine Empfehlung. Oder ein Regierungsauftrag.
Hassan Abdul
@Andreas_2020 Herr Pahlavi hat schon mehr als nur ein Buch geschrieben. Wenn mensch mal seine Vorurteile lässt, macht er einen erstaunlich gebildeten und auch sehr ausgeglichenen Eindruck. Ich habe mir einige der Reden der letzten 40 Jahre mal angeschaut und bin schon etwas beeindruckt. Vor allem weil ihn wirklich niemand auf dem Schirm hatte als die immer noch vorhandenen Jubelperser. Ohne die Last dieser Gruppe und die untrennbare Verbindung mit dem Vater und Großvater wäre er sicher ein wichtiger Beitrag für die Orientierung der Opposition und ein Ansprechpartner für den Westen.
Herausragend ist hier sein schon penetrantes festhalten daran, dass eine Bewaffnete Auseinandersetzung vermieden und auch nach einem Umsturz keine Rache erlaubt sein soll. Dies kommt bei vielen Opfern nicht gut an, ist aber ein Gebot der Stunde.
Sicherlilch ist lobhudelei hier fehl am Platz, vor allem was das Regime von Mohammad Reza Pahlavi angeht. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Verbrechen schon lächerlich übertrieben wurden. Nur als Beispiel wird heute davon ausgegangen, dass die Attentäter des Cinema Rex in Abadan in den Reihen der Mullas und eben nicht im SAVAK zu finden sind. Der Schwarze Freitag auf dem Jaleh-Platz hatte auch nicht wie kolportiert 4000 Tote zu beklagen sondern weniger als 100. Auch die kolportierte Ausbeutung des Landes ist gerade im Hinblick auf den permanenten Raubzug der Mullahs und der Pasdaran als eher moderat einzuschätzen, auch wenn man Diktatoren wie Assad, al-Bakr oder König Faisal oder gar das türkische Militär. Im Nachbarland Pakistan putschte sich Zia-ul-Haq zur gleichen Zeit nach oben und führte erst einmal die Sharia und die ganzen Umstände ein, unter der Pakistan noch heute leidet.
Verglichen damit hat der Shah wenigsten auch aufgebaut, davon zehren die Iraner heute noch.
Alles in Allem hätte der Shah vielleicht doch nicht als das personifizierte Böse der 68iger aufgebaut werden sollen. Ohnesorg und wahrscheinlich die RAF währen und erspart geblieben.
Daniel Drogan
@Andreas_2020 Viele Punkte aufgegriffen, die maßgeblich gegen einen Shah sprechen. Bin bei vielen bei Ihnen. Aber ebenso sollte man erwähnen das alle anderen Herrschaftsregime oder -systeme im Iran, zu keinem Zeitpunkt eine wirklich Herrschaft des Volkes unternahmen. Bei einem System sind die einen die Prügelknaben, bei dem Anderen, die anderen halt.
Eine Figur wie Mossadegh, würde aber international speziell aus dem Westen aber keine Unterstützung erhalten und somit wohl schon vor seinen Bemühungen beerdigt sein.
Die Zukunft der Iraner scheint somit weiter zwischen religiösen oder eben diktatorischen Radikalen (mit Unterstützung des Westens) zu fallen... Wie das geht hatte man schon im Irak gesehen, wo allein nur die Handelsbeziehungen zwischen Irak und dem Iran zu einer "Absetzung" des Premierministers führte,...
Lowandorder
@Andreas_2020 anschließe mich - op gau platt:
“Söchst du Wuust im Hunnenstall?!“
kurz - Diese Sorte von Raffkes brutale - sind schlicht nicht lernfähig •
Takker
Vielen Dank, ein sehr guter Kommentar.