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Proteste in IranDas Regime setzt auf Eskalation

Bei den landesweiten Protesten in Iran gibt es mittlerweile mindestens acht Tote. Der Präsident wirft dem Westen „Doppelstandards“ vor.

Keine Bikergang, Polizisten: Sicherheitskräfte lösen in Teheran am 19. September Proteste auf Foto: Wana/reuters

Berlin taz | Mindestens acht Menschen sind in Iran seit Beginn der aktuellen Proteste ums Leben gekommen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf lokale Medien sowie einen örtlichen Staatsanwalt. Darunter sollen auch ein Polizist sowie ein Mitglied einer regierungsnahen Miliz sein.

Laut der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw wurden alleine in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag in der westiranischen Stadt Shno 3 Menschen getötet, sowie 43 verletzt. Zuvor waren bereits 7 Protestierende von iranischen Sicherheitskräften getötet worden. Nach Angaben von Reuters bestreitet Teheran diese Zahlen.

Auf in den sozialen Medien verbreiteten Videos, die von den Protesten in Iran stammen sollen, sind immer Schwerverletzte zu sehen. Auch das gewalttätige Vorgehen der Staatskräfte wird immer wieder online dokumentiert.

Die iranische Revolutionsgarde soll am Donnerstag das Justizsystem des Landes dazu aufgerufen haben, Menschen zu verfolgen, die „falsche Informationen und Gerüchte“ verbreiteten, so Reuters.

Gut ausgebildete Aufstandsbekämpfer

Die gewaltigen Proteste entzündeten sich am gewaltsamen Tod Mahsa „Zhina“ Aminis – einer 22-Jährigen, die bei einer Kontrolle von der Moralpolizei so verprügelt wurde, dass sie ins Koma fiel und schließlich starb.

Mit einem schnellen Umsturz des islamischen Regimes ist dennoch wohl nicht zu rechnen. Azadeh Zamirirad, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zum Iran forscht, erklärt: „Der Staat ist relativ gut auf Proteste eingestellt.“ Er habe eine ganze Reihe von Mitteln in petto, um ihnen zu kontern: „Mittlerweile können sie die digitale Sphäre unter komplett staatliche Kontrolle stellen, das Internet über längere Zeit blockieren.“ Es gebe außerdem Sondereinheiten, die eben gut ausgebildet seien, wenn es um die Aufstandsbekämpfung und Niederschlagung von Demonstrationen gehe.

Immer wieder protestieren die Iranerinnen und Iraner gegen das Regime. Der Iran-Experte Ali Fathollah Nejad erklärte in der „Tagesschau“: Alleine im letztes Jahr habe es 4.000 Proteste gegeben, im ersten Halbjahr 2022 bereits 2.200.

Zamirirad sagt: Ein Unterschied der vergangenen Proteste zu den derzeitigen sei, dass diese bisher meist singuläre Anliegen betroffen hätten, und damit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. „Was wir jetzt sehen, sind Proteste, deren Gegenstand die Hälfte der Gesellschaft unmittelbar betrifft, nämlich die Frauen.“

Auch, dass die getötete junge Frau Kurdin ist – eine Gruppe, die in Iran Diskriminierungen ausgesetzt ist –, gebe dem Fall eine weitere Dimension. „So finden verschiedene Gruppen der Gesellschaft zueinander, in einer Sache.“ Das sei genau, was den bisherigen Protesten in Iran oft gefehlt habe: eine Solidarität, die Klassen und Schichten übergreifend ist.

Der iranische Präsident Raisi nutzte bei seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) in New York die Gelegenheit, um den westlichen Nationen „Doppelstandards“ vorzuwerfen – zu getöteten Frauen im Westen würde die Welt nichts sagen.

Der deutschen Regierung, vor allem Außenministerin Annalena Baerbock, wurde die Tage vorgeworfen, sich mit Kritik an Iran zu sehr zurückzuhalten. Am Rande der UN-Vollversammlung kritisierte sie das Vorgehen der iranischen Regierung zwar und erklärte: „Wenn Frauen nicht sicher sind, ist niemand in einem Land sicher.“ Ihre Kritik gehe aber nicht weit genug, sagte etwa der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete und SPD-Mitglied Danial Ilkhanipour der Zeitung Welt. Baerbock kündigte in New York später an, dass Deutschland den Fall Mahsa Amini vor den UN-Menschenrechtsrat bringen werde.

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12 Kommentare

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  • Ein Post vom Signal Block, wie man einen Proxy einrichten und ihn den Menschen zu Verfügung stellen kann: "Help people in Iran reconnect to Signal" signal.org/blog/run-a-proxy/

    • @matschepampe123:

      Da wäre eine Anleitung für Dummies hilfreich oder ist das eher etwas für Leute vom Fach?

      • @Jim Hawkins:

        Ist leider mehr was für Leute vom Fach. Bzw. mit Zugriff auf einem Server mit docker.

        Ach und "Block" soll natürlich "Blog" heißen, da hat mein Telefon die Rechtschreibung verkorrigiert

  • Wann, wenn nicht jetzt ist der Zeitpunkt zu dem feministische Außenpolitik sichtbar werden müsste?

    Gegen wen geht es im Iran? In allererster Linie gegen die Frauen, weil sie Frauen sind.

    Wer wehrt sich dagegen? In allererster Linie die Frauen.

    Eine Bilderbuch-Vorlage für jeden Feminismus der sich auch nur halbwegs selbst ernst nimmt und anderenfalls den Bankrott erklären sollte.

    • @Jim Hawkins:

      Bei aller Liebe, dies ist kein guter Zeitpunkt Identitätspolitk zu machen. Es reicht sich für Menschrechte und persönlich Freiheit einzusetzen.

      • @Michael Renper:

        Schon klar.

        Ich meinte nur, wenn man eine so große Fahne schwenkt, sollte man entsprechend handeln.

        • @Jim Hawkins:

          Holla!

          Eine feministische Sichtweise in der Außenpolitik ist für Sie bereits das "Schwenken einer großen Fahne"?

          Das ist doch nur eine stinknormale banale Selbstverständlichkeit, die schon längst hätte integriert sein müssen.

    • @Jim Hawkins:

      Was also schlagen Sie als Mann der den Feminismus ernst nimmt für konkrete-Maßnahmen aus seinen Bilderbüchern vor?

      • @Rudolf Fissner:

        Halten Sie bitte den Ball flach. Menschrechte und persönlich Freiheit behalten ebenfalls das, was Ihnen wichtig ist. Männer, Frauen sind alle Menschen und lassen Sie dieses Spielchen.

        • @Anna Deiport:

          "Spielchen"

          Selbstverständlich sind Menschenrechte überall die gleichen!

          Aber ich halte den Beitrag für einen hämischen Move gegen eine feministische Außenpolitik, gerade so als ob sich diese durch eine besonders harte Hand auszeichnet müsse. Daher würde ich schon gerne wissen, was für eine Bilderbuchpolitik Mann oser auch Sie da bei einer feministischen Außenpolitik da anmahnen.

          • @Rudolf Fissner:

            Konkretes Beispiel: es wäre wirklich hilfreich, wenn das AA nicht ausgerechnet unter der Ägide dieser Außenministerin die Mittel für das Online-Portal Qantara.de streichen würde:

            》Mit diesem Schritt würde das Auswärtige Amt den Autokraten in der arabischen und islamischen Welt einen Gefallen erweisen: Es will der Onlineplattform Qantara.de 380.000 Euro streichen. Das würde ihr Ende bedeuten. In Deutschland traf die Ankündigung unter Akademikern, Kulturschaffenden und Journalisten, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, auf Unverständnis. Sie führte zu Protesten und offenen Briefen. Qantara sei als Brücke zur arabischen und islamischen Welt „unverzichtbar“, heißt es《 is.gd/L6bwhZ

            》Auf Qantara schreiben Autoren, von denen viele in ihrer Heimat sonst keine Möglichkeit haben zu publizieren. Sie wenden sich an ein Publikum, das über Qantara Einblick in Debatten bekommt, die außerhalb ihrer Länder geführt werden. So schreibt Hazem Saghieh, einer der führenden arabischen Intellektuellen: „Qantara.de transferiert deutsche und europäische Sichtweisen zu aktuellen Themen in die arabisch-islamische Welt, und gleichzeitig ermöglicht sie Einblicke in die vielfältigen und aktuellen Debatten in den islamisch geprägten Gesellschaften.“ Die Plattform bringe einen „beträchtlichen Mehrwert für Verständigung“, so der bekannteste Redakteur der vor zwei Jahren eingestellten panarabischen Tageszeitung „al-Hayat“《

            Und hier is.gd/MZe3VG 》 „Klar kann man sich entscheiden, einfach nicht in eine Region zu schauen, und jedes Wissen darüber einfach einzustellen. Wie das zu grüner Außenpolitik und Kulturpolitik passt, ist mir ein Rätsel“, schrieb etwa ZDF-Studioleiterin in Kairo, Golineh Atai, auf Twitter《

            Noch online z.B.: de.qantara.de/inha...tuch-zwang-im-iran - ich finde es keine Häme, Frau Baerbock vorzuhalten, dass sich die von ihr beabsichtigte Schließung nicht mit dem Anspruch "feministische Außenpolitik" in Einklang bringen lässt.

          • @Rudolf Fissner:

            Ich dachte eben, dass Frau Baerbock dazu etwas einfällt.

            Ganz ohne Häme.