Proteste in Frankreich: Jetzt wird alles blockiert
In Frankreich weiten sich die Proteste gegen die Rentenreform noch weiter aus. Die Regierung ist von der Einheit der Gewerkschaften überrascht.
![Zwei Demonstrant*innen in Gefängniskleidung protestieren gegen Gefangenschaft durch Arbeit. Zwei Demonstrant*innen in Gefängniskleidung protestieren gegen Gefangenschaft durch Arbeit.](https://taz.de/picture/6140849/14/32337281-1.jpeg)
Auch am Tag der Frauenrechte am 8. März war die Ablehnung einer Reform, die als besonders frauenfeindlich kritisiert wird, ein zentrales Thema. Und seit Längerem geplante Demonstrationen von Studierenden und Mittelschüler*innen am Donnerstag werden für die Jugend von heute zum Anlass, gegen die Aussicht auf schlechtere Renten und eine längere Lebensarbeitszeit zu protestieren.
Die Regierung, die unbeirrt an ihrer Vorlage festhalten will, kommt unter Druck. Um diesen aufrechtzuerhalten, haben die vereinten Gewerkschaften bereits für den Samstag und den Mittwoch danach weitere Aktionstage angekündigt. Die Erwartung der Staatsführung, dass die Einheit der Gewerkschaften der Eskalation der Protestaktionen nicht standhalten werde und dass die gemäßigteren Arbeitnehmerverbände sich gegen härtere Kampfformen aussprechen würden, hat sich nicht erfüllt.
Sowohl für die Regierung wie für die Gewerkschaften geht es inzwischen um viel mehr als eine strittige Reformvorlage: nicht zuletzt um die politische Glaubwürdigkeit und Legitimität der Repräsentation.
Benzin ist bereits knapp
Die Gewerkschaften können, unterstützt von den linken Oppositionsparteien, Frauen- und Jugendorganisationen und auch von der öffentlichen Meinung, in ihrer Mobilisierung noch zulegen. Sie hatten ultimativ damit gedroht, das Land mit einem Generalstreik „zum Stillstand“ zu bringen, und damit haben sie am Dienstag ernst gemacht.
„On bloque tout!“ („Wir blockieren alles!“), lautet in Frankreich der neue Kampfruf bei den Protesten gegen Emmanuel Macrons Rentenreform.
Seit Dienstag sind sämtliche Erdölraffinerien von Streikenden blockiert, damit kein einziger Lkw mehr Treibstoff von dort zu den Tankstellen bringen kann. Vergeblich hatten Industrie und Behörden versprochen, es werde keine Versorgungsprobleme geben. Die Autofahrer*innen glaubten ihnen kein Wort und tankten auf Vorrat.
Daraufhin hatten bereits am Mittwoch Hunderte Tankstellen keinen Sprit mehr. Aus Angst vor einer Versorgungskatastrophe wie bei den Streiks im Oktober droht die Regierung mit Polizeieinsätzen und mit einer Zwangsverpflichtung des Personals.
Wegen Streiks beim Energiekonzern EDF ist zudem die Stromproduktion um schätzungsweise 15.000 Megawatt (laut Libération entspricht dies der Kapazität von 10 bis 15 Reaktoren) gesunken.
Wichtige Häfen sind dicht, der Müll wird nicht abgeholt
Blockiert waren weiterhin auch die größten Seehäfen in Marseille, Fos-sur-Mer und Le Havre, in mehreren Großstädten wird wegen Streiks kein Müll mehr eingesammelt, und die Verbrennungsanlagen sind stillgelegt.
Auch im Bahnverkehr halten die Ausfälle bis voraussichtlich Ende der Woche an: Derzeit fahren bei der SNCF höchstens ein Drittel der Züge, auch städtische Transportunternehmen wie die RATP in Paris melden stark reduzierte Fahrpläne. Am Dienstag war der Bahnverkehr sogar fast ganz lahmgelegt.
Die Zugänge zu rund 40 Hochschulen und zahlreichen Mittelschulen wurden besetzt. An mindestens 20 Orten haben außerdem Lkw-Fahrer und andere Demonstrierende Straßen und Autobahnzufahrten mit Fahrzeugen und Barrikaden blockiert. Die werden zwar meist von der Polizei geräumt, tauchen aber kurz darauf an anderer Stelle erneut auf.
Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Protesten
Auch diese verschärften Aktionen werden laut Umfragen von einer Bevölkerungsmehrheit – laut Institut Odoxa von 59 Prozent – gebilligt. Seit dem Beginn der Debatte und des Konflikts lehnen 70 bis 80 Prozent der Befragten, unter ihnen alle sozialen Schichten und Alterskategorien mit Ausnahme der Senioren, die mit 50 zu 50 geteilter Meinung sind, die Rentenreformvorlage ab.
Die von der Regierung beschlossene Prozedur, nach der die Vorlage gegebenenfalls auch ohne Schlussabstimmung im Parlament per Dekret in Kraft gesetzt werden kann, sorgt ihrerseits für Ärger – und weitere Proteste.
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